6)

2K 49 2
                                    

"Wincent? Wir müssen jetzt."

Ich drehe mich um und bemerke Sascha, der hinter mir steht.

"Okay.", nickt Wincent ihm zu.

"Siehst du zu?", fragt er an mich gerichtet.

Ich nicke und stehe auf.

"Viel Spaß.", lächle ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.

Wincent geht zu seiner Band, die nochmal eine kurze Besprechung haben, wie immer vor einem Auftritt.

"Danke nochmal, Sascha.", lächle ich seinen Manager an.

"Kein Problem. Ich freue mich immer, wenn du kommst.", sagt er.

"Ja?", lache ich.

"Ja! Wenn du zu den Auftritten kommst, ist Wincent immer viel besser drauf. Er ist sowieso beinahe nie schlecht drauf, aber wenn du da bist, ist er der glücklichste Mensch der Welt. Aber das weißt du sicherlich auch."

Sascha lässt das so im Raum stehen und geht hinüber zu Wincent und seinen Bandkollegen. Obwohl ich nicht ganz kapiere, wie er das eben genau gemeint hat, frage ich nicht nach.

Ich gehe zum Übergang zum normalen Festivalbereich hinüber, als Wincents Band gerade eben die drei Stufen zur Bühne hinaufgehen.

"Sie dürfen da jetzt nicht durch.", hindert mich der Securitymann daran, durch die Tür zu gehen.

"Wieso denn? Ich möchte nur wieder in den normalen Bereich rüber."

"Da müssen Sie den Auftritt abwarten. Während dem Hauptact darf ich hier niemanden rein oder raus lassen. Vor der Tür stehen zu viele histerischen Fans."

"Aber..."

Der Mann schüttelt bestimmt mit dem Kopf, sodass ich keine weiteren Versuche mehr unternehme. Ich zücke mein Handy, um Sebastian anzurufen oder ihm eine Nachricht zu schreiben, doch ich habe hier kein Netz.

"Habe ich hier irgendwo Empfang?", will ich von dem Mann wissen.

"Ja, auf der anderen Seite. Hier hinten hast du keine Chance."

"Na, toll. Danke auch.", murmle ich und gehe zurück zu der Liege, auf der ich eben noch mit Wincent saß.

Ich höre, wie die Fans beginnen zu Kreischen und Wincent durch das Mikrofon alle begrüßt.

"Wieso schaust du dir denn den Auftritt nicht an?"

Sascha kommt zu mir.

"Würde ich ja gerne, aber ich werde nicht zurück vor die Bühne gelassen!", schimpfe ich und versuche zum dritten Mal Sebastian anzurufen.

"Das kannst du aufgeben. Hier ist kein Empfang.", sagt Sascha mit einer Handbewegung auf mein Handy.

"Das habe ich auch schon gemerkt.", seufze ich.

"Aber es war doch bekannt, dass zwischen 19:50Uhr und 22:10Uhr niemand durch den Übergang vom Backstage darf.", zuckt er die Achseln.

"Mir war das nicht bekannt! Sonst wäre ich doch schon davor wieder nach Drüben gegangen."

"Hat Wincent dir das nicht gesagt? Er hat das ja so angeordnet, weil es noch jedes mal Probleme gab, seine Fans von der Tür fernzuhalten."

Ich sehe ihn entsetzt an. Es war Wincents Wunsch, dass die Tür während seines Auftritts geschlossen bleibt? Und davon hat er mir nichts gesagt?

"Er hat nichts gesagt.", sage ich.

"Hat er bestimmt vergessen. Er hat sich so auf dich gefreut!", grinst er.

Dann steht er auf und reicht mir seine Hand. "Na, komm. Wir gehen vor an die Bühne und sehen uns den Auftritt an."

Obwohl ich gerade keine große Lust verspüre, Wincent beim Singen zuzugucken, gehe ich mit ihm mit. Was soll ich auch sonst machen?


Nach seinem Auftritt kommt Wincent schweißgebadet, aber strahlend, die Treppe hinunter und direkt auf mich zu.

"Hat's dir gefallen?", will er wissen.

"Klar, wie immer.", nicke ich verhalten.

Er greift nach einem Handtuch und rubbelt sich damit über den Kopf.

"Darf ich jetzt zu meinem Freund rüber?", frage ich genervt.

"Wie bitte? Was meinst du?"

"Die Sperre während deines Auftritts!?"

"Oh, ja!" Wincent klatscht sich theatralisch mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Sorry, die hatte ich total vergessen."

Ich ziehe zweifelnd eine Augenbraue in die Höhe und mustere ihn. Vergessen, ja?

"Okay, ich wechsle schnell mein Shirt und ziehe mir eine Sonnenbrille und ein Kappi auf, dann können wir gemeinsam hinüber gehen und ich lerne deinen tollen Kerl auch gleich kennen. Einverstanden?"

Ich zögere. Ist es wirklich eine gute Idee, die beiden einander vorzustellen, nachdem ich Sebastian gerade zwei Stunden lang warten hab lassen? Aber wann soll es sonst passieren? Ich kann es nicht noch weiter hinauszögern - das macht es doch auch nicht besser.

"Okay.", nicke ich.

Er knufft mich kurz in den Oberarm und verschwindet.

Kurz darauf kommt er, wie angekündigt, mit einem anderen Shirt und getarnt, sodass ihn nicht alle sofort erkennen, zurück.

Wir passieren den Übergang und ich beginne sofor die Suche nach Sebastian. Erleichtert stelle ich fest, dass er direkt neben dem Backstageeingang wartet.

"Es tut mir so leid.", stürme ich auf ihn zu. "Ich wurde nicht mehr rausgelassen."

"Hat er dich festgebunden oder was?", sagt Sebastian unfreundlich und nickt mit dem Kopf zu Wincent, der hinter mir ist.

"Nein, natürlich nicht. Aber es gibt eine Sperre während dem Auftritt. Davon wussten wir nichts. Den Zeitpunkt hatte ich leider verpasst. Tut mir leid. Sei bitte nicht böse!"

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, doch er dreht sich zur Seite.

"Schon okay.", murmelt er.

In dem Moment schiebt Wincent mich ein Stück zur Seite und hält Sebastian die Hand hin.

"Hi. Ich bin Wincent."

"Ich weiß. Hallo.", sagt Sebastian patzig.

"Tut mir auch leid. Ich wollte sie nicht von dir fernhalten."

Die beiden Jungs sehen sich fest und ernst in die Augen. Keiner wendet den Blick ab. Ich stehe in der Mitte, leicht rechts von beiden und sehe zu ihnen auf. Beide sind etwa einen Kopf größer als ich.

"Dafür bleibt sie ja ab jetzt die ganze Nacht bei mir."

Ist es etwa das, was ich denke? Markiert Sebastian mich gerade als sein Revier?

"Klar. Ich hatte sie lange genug davor.", grinst Wincent.

Bitte? Ist das hier etwa ein Duell?

"Okay, alles gut. Das war's dann auch."

Ich versuche die beiden voneinander wegzudrücken, doch beide bewegen sich keinen Millimeter.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt Wincent schließlich seinen Blick sinken und sieht mich an.

"Es war schön, dich wieder zu sehen. Ich hoffe, das nächste Mal dauert nicht wieder so lange.", lächelt er und umarmt mich.

Er küsst mich auf die Stirn und streicht mir liebevoll über den Kopf, ehe er sich einfach umdreht und geht, noch ehe ich etwas darauf erwidern kann.



Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now