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Ich fühle mich als hätte mir jemand den Boden unter den Füßen weggerissen und ich befinde mich im freien Fall. Was ist heute bitte passiert?

Als Mama vom Essen zurückkommt, stelle ich mich schlafend. Ich möchte jeglichem Gespräch so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Auch Samira hat mehrfach versucht mich zu erreichen. Natürlich haben mir auch einige andere Freundinnen geschrieben, nachdem sie mich auf den Fotos mit Wincent erkannt haben. Und mein Anfragenordner auf Instagram quillt sowieso über. Aber all das ist mir im Moment vollkommen egal. In meinem Kopf dreht sich alles um Wincent und seine Entscheidung.

Am nächsten Morgen wache ich schon sehr früh auf, da ich nicht mehr schlafen kann. Ich stehe auf, springe in meine Sportklamotten und verlasse das Zimmer.

Ich drehe eine Runde am Strand. Es fühlt sich gut an, sich richtig auszupowern. Endlich einmal wieder zumindestens ein wenig den Kopf frei zu bekommen.

Aber es hält genau so lange an, bis ich auf dem Rückweg Wincent entdecke, der ebenfalls eine Runde Laufen war. Unsere Blicke treffen sich und wir bleiben sofort beide wie angewurzelt stehen.

Wir können beide nicht den Blick vom Anderen lösen, jedoch kann auch keiner von uns einen Schritt auf den Anderen zugehen.

Eine gewühlte Ewigkeit starren wir uns einfach nur an. Dann dreht Wincent sich plötzlich um und geht davon.

Eine Sekunde lang überlege ich, ob ich es ihm so einfach machen soll. Ob ich ihn so einfach vor all den Problemen davonlaufen lassen soll. Ob ich es ihm erlauben soll, so feige zu sein.

Nein!

Kurzentschlossen setze ich mich in Bewegung und laufe ihm nach. Da Wincent nicht besonders schnell geht, habe ich ihn schnell eingeholt. Ich bekomme ihn am Arm  zu packen und drehe ihn zu mir herum.

"Was ist nur mit dir los?", frage ich ihn. "Was ist passiert, dass du so einfach aufgibst? So kenne ich dich doch gar nicht!"

"Ich gebe nicht auf.", sagt er tonlos ohne mir dabei in die Augen sehen zu können.

"Natürlich tust du das! Was ist es denn sonst? Beim ersten Anzeichen eines kleinen Problems schmeißt du alles hin."

"Das ist doch kein kleines Problem, Kat!", antwortet Wincent mit etwas lauterer Stimme. "Das ist Hetze! Was da im Internet geschrieben wird geht zu weit. Das kann ich nicht verantworten. Das kann ich dir doch nicht zumuten."

"Ich kann sehr gut selbst entscheiden, was man mir zumuten kann und was nicht. Ich finde nicht, dass das ein Grund ist, um das alles aufzugeben, was wir haben."

Wincent seufzt schwer, dreht seinen Kopf von mir weg und sieht nachdenklich auf das Meer hinaus. Habe ich ihn etwa doch zum Nachdenken gebracht?

Ich lasse meine Hand von Wincents Oberarm hinab zu seiner Hand gleiten und streiche sanft über seine Handoberfläche. Wincent zuckt kurz zurück, lässt die Berührung aber zu.

"Es tut mir leid.", flüstert er und dreht sich zu mir um.

Noch ehe ich mich versehe, schließt er mich in seine Arme und drückt mich so fest an sich, dass ich japsend nach Luft schnappen muss.

Lächelnd lege ich meine Hand in seinen Nacken und streichle ihn zärtlich. Ich atme tief den Duft seines Shampoos ein und drücke meine Lippen in die Kuhle an seiner Schulter.

Er schiebt mich ein kleines Stück von sich weg, damit er mir tief in die Augen sehen kann. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, dann platziert er seine Lippen auf meinen. Ich erwarte einen vorsichtigen, zaghaften Kuss, doch er küsst mich mit einer Wucht, die mich umhaut. Leidenschaftlich, zärtlich, liebevoll, stürmisch.

Der Kuss fühlt sich schon wieder anders an. Anders als all unsere Küsse zuvor. Er fühlt sich an wie... ein Abschied!

Entsetzt schubse ich ihn von mir weg und sehe ihn mit erschrockenen Augen an. Wincent fährt sich zuerst über die Lippen, dann mit der rechten Hand durch sein Haar. Er sieht mich an als wüsste er ganz genau, was mir gerade durch den Kopf geht.

Und er korrigiert es nicht.

"Das war... Das ist...", stammle ich.

Wincent sieht mich nur an. Wir wissen beide, was das war.

Ich möchte ihn anschreien. Ich möchte ihm sagen, wie sehr er mich verletzt. Doch ich bringe keinen Ton heraus.

Auch er sieht mich an, als würde er mir noch so viel sagen wollen. Doch tut er es nicht. Er sieht mich einfach nur an, ohne etwas zu sagen. Er erklärt sich nicht. Er erklärt nicht, wieso er das macht. Er erklärt nicht, wieso er uns keine Chance geben will.

Ich bin mir sicher, dass ich stark genug bin, dem Druck standhalten zu können. Wieso traut er mir das nicht zu?

Ich strecke meine Hand nach ihm aus, will ihm zeigen, dass ich bereit bin, für uns zu kämpfen. Doch er nimmt sie nicht an. Stattdessen dreht er sich um und geht endgültig weg.

Weg von mir.

Wincent wird nicht um uns kämpfen. Er wird nicht darum kämpfen, dass wir zusammen bleiben können. Er wird nicht darum kämpfen, dass uns das erhalten bleibt, was zwischen uns ist. Er wird nicht um unsere Beziehung kämpfen. Er wird nicht um unsere Freundschaft kämpfen.

Er wird nicht um mich kämpfen.













Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now