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"Ihr Ziel liegt links.", spricht die Dame aus dem Navigationsgerät meines Autos zu uns.

Ich entdecke drei Häuser weiter eine Parklücke am Straßenrand, in welche Sebastian mein Auto hineinlenkt, nachdem ich sie ihm gezeigt habe. Heute fährt er mal. Außer Wincent und meiner Mama habe ich bisher niemanden hinter das Steuer meines Autos gelassen, aber manchmal muss man eben über seinen Schatten springen.

"Denkst du er ist schon da?", will Sebastian wissen, als er die Parkuhr aufs Amaturenbrett legt.

"Nein, meistens kommt er ein paar Minuten zu spät und wir sind auch noch fünf Minuten zu früh.", lache ich. "Vermutlich müssen wir noch etwa fünfzehn Minuten auf ihn warten."

Wir steigen aus und gehen auf das Haus mit dem grünen Logo zu. Schon beim Betreten entdecke ich Wincent, der an einem Tisch direkt neben dem Eingang sitzt. 

"Heute ist er wohl mal pünktlich.", flüstere ich und greife nach Sebastians Hand.

"Sieht so aus.", murmelt er.

Wir gehen auf Wincent zu. Erst als wir direkt vor ihm stehen, löst er seinen Blick von seinem Handy und sieht auf.

"Oh, hi. Da seid ihr ja endlich.", lächelt er freundlich.

Ich kenne ihn. Ich merke, dass die Freude nur aufgesetzt ist, aber ich freue mich darüber, dass er sich Mühe gibt. Er steht auf und umarmt mich, was vermutlich komisch aussieht, da ich Sebastians Hand dabei keine Sekunde los lasse. Etwas irritiert darüber, lässt Wincent mich wieder los und gibt Sebastian förmlich die Hand.

"Ich hole uns mal etwas zu Trinken. Was möchtest du?", sagt Sebastian und sieht mich fragend an. 

"Ich hätte gerne einen Iced...", beginne ich.

"... Iced Caramel Macchiatto.", werde ich von Wincent unterbrochen. "Habe ich dir schon geholt."

Er deutet auf einen der beiden durchsichtigen Becher auf dem Tisch. Auf dem Plastik steht 'Kat' geschrieben. Niemand außer ihm nennt mich so. 

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und sehe Wincent tadelnd an. Es ist bestimmt nur nett gemeint, sendet aber die falsche Botschaft an Sebastian.

"Okay. Dann eben nur für mich. Bin gleich wieder da.", sagt Sebastian ruhig, als würde ihn die Bloßstellung von Wincent nicht stören.

Er stellt sich in die kleine Schlange vor der Kasse und studiert das Angebot an der Wand.

"Das hätte echt nicht sein müssen.", mahne ich meinen besten Freund.

"Was? Dass ich bin wie immer? Wir haben es doch bisher immer so gehandhabt, dass derjenige, der als erstes hier ist, für den Anderen auch etwas zu Trinken holt.", zuckt Wincent verwirrt die Achseln.

"Ja, klar. Aber nicht, wenn Sebi dabei ist. Das ist doch komisch!", versuche ich ihm mein Problem damit zu erklären. 

"Ach so! Du möchtest also nicht, dass er merkt, dass ich dich viel besser kenne als er es jemals wird.", grinst Wincent.

"Wincent, bitte! Reiß dich zusammen.", schimpfe ich.

"Okay, ist ja gut. Ich versuche es.", lenkt er ein, verdreht dabei aber theatralisch die Augen.

Sebastian kommt zurück zum Tisch und stellt seinen Becher ab.

"Also...", beginnt er, ohne zu wissen, wohin der Satz führen soll.

"Also?", fragt Wincent nach.

"Also wie geht es denn mit deinem Fernstudium voran?", frage ich an Wincent gewandt, um die peinliche Situation zu beenden.

"Ganz gut."

"Du studierst? Neben der Musik?", fragt Sebastian - gespielt interessiert.

Irgendwie ist es ja süß, wie viel Mühe sich die beiden für mich geben. Keiner von ihnen ist ernsthaft am Anderen interessiert - sie machen das hier nur für mich.

"Ja.", sagt Wincent knapp.

Na gut, sie geben sich mehr oder weniger Mühe. Ich werfe ihm erneut einen warnenden Blick zu.

"Und du? Was machst du so beruflich?", fragt er nach, als er meinen Blick auffängt.

"Ich studiere Sportwissenschaften.", erzählt Sebastian.

"Das passt zu dir.", lacht Wincent. "Sieht man dir irgendwie an."

"Das nehme ich jetzt mal als Kompliment.", lacht auch Sebastian, allerdings viel verunsicherter als Wincent.

"Klar.", nickt Wincent. "Wie lange studierst du denn schon? Wie alt bist du eigentlich?"

"Ich bin 27 und studiere jetzt seit zwei Jahren. Ich habe davor eine Ausbildung zum Fitnesskaufmann gemacht.", beantwortet Sebastian artig Wincents Fragerei.

"Oh, cool. Arbeitest du neben dem Studium auch?"

"Nein, im Moment nicht. Bis vor Kurzem habe ich noch im Fitnessstudio gejobbt, aber jetzt nicht mehr. Das lässt sich mit dem vielen Lernen nicht mehr so gut vereinbaren."

"Ach ja."

Ich weiß, was Wincent von Studenten hält, die alles von ihren Eltern finanziert bekommen. Allerdings trifft das bei Sebastian nicht ganz zu. Er nimmt hier und da mal einen Modeljob an und finanziert sich dadurch selbst seinen Lebensunterhalt. Für alles Weitere kommen seine Großeltern auf. 

Im Laufe der nächsten eineinhalb Stunden kommt immer mal wieder ein kurzes Gespräch in die Gänge, aber so richtig gut verstehen sich die beiden nicht.

Ich beschließe die beiden von ihrem Leid zu erlösen und verkünde, dass wir aufbrechen müssen. 

"Schade.", grinst Wincent mich schief an.

Unter dem Tisch versuche ich ihm auf sein Bein zu hauen, doch er fängt meine Hand ab und hält sie eine Sekunde zu lange fest. 

"Na dann. Bis zum nächsten Mal.", sagt Sebastian und steht auf.

Auch Wincent und ich stehen auf. Ich greife nach den drei leeren Bechern und bringe sie zum nächsten Mülleimer, ohne dabei die Jungs aus den Augen zu lassen. Wir gehen gemeinsam vor die Eingangstür und verabschieden uns dort. Wincent umarmt mich und küsst mich auf meinen Haaransatz. Sebastian gibt er wieder äußerst auf Abstand bedacht die Hand. 

Sebastian und ich drehen uns um und gehen zu meinem Auto, während Wincent in die andere Richtung zu seinem Hotel läuft.

"Hey, Kat!", ruft er mir auf einmal nach.

Ich drehe mich um und sehe, dass er stehen bleibt und wieder ein paar Schritte näher zu uns kommt.

"Meine Mam möchte sich demnächst noch mit deiner Mam und uns beiden zusammentelefonieren, um den Rest in Bezug auf Griechenland zu klären. Kannst du das arrangieren?"

Mir rutscht mein Herz in die Hose. Das ist doch nicht sein Ernst! 

Sebastians Augen weiten sich und er blickt verwirrt zwischen Wincent und mir hin und her. Meine Augen hingegen verengen sich zu wütenden Schlitzen, die Wincent am liebsten auf der Stelle töten würden. 

"Ja.", sage ich nur knapp, drehe mich um und öffne, ohne ein weiteres Wort oder einen weiteren Blick zu Wincent, die Beifahrertür.

"Was meint er damit?", will Sebastian wissen, noch bevor er auf dem Fahrersitz richtig Platz genommen hat.

"Ich... Ich erkläre dir das zu Hause in Ruhe, okay?", stottere ich.

"So schlimm? Ach, komm schon. Was soll das denn? Spuck es doch einfach aus.", sagt Sebastian ungeduldig. 

Er schließt die Tür und startet den Motor, ohne den Blick von mir abzuwenden. Abwartend sieht er mich an.

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now