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Als ich an diesem Abend nach Hause komme, lasse ich mir als erstes ein heißes Bad ein. Ich stecke meine Haare nach Oben, sodass sie nicht nass werden, und steige in die Wanne hinein. Die ersten Minuten hänge ich nur meinen Gedanken nach. Wie wird Wincent auf Sebastian reagieren? Hat Samira vielleicht Recht damit, dass er sich gekränkt fühlen könnte? Uns war aber doch beiden klar, dass diese Sache nicht immer so weiter gehen wird. Irgendwann hätten wir uns ohnehin neu verliebt und wären neue Partnerschaften eingegangen. Es hätte genauso gut Wincent als erstes treffen können. Und wieso sollte Sebastian die Freundschaft nicht gut finden? Das was war, ist beendet. Jetzt sind wir nur noch einfache Freunde. Wo liegt das Problem?

Mein Handy, welches ich auf dem kleinen Hocker neben der Badewanne deponiert habe, vibriert kurz. Ich hebe es auf und sehe eine Nachricht von Sebastian.

> Schon zu Hause? <

> Ja, gerade gekommen. Hast du am Wochenende schon was vor? <

Prompt kommt auch schon die Antwort.

> Nein. Vorschläge? <

> Eine Nacht in Rosenheim? Mit einem Abstecher zu einem Festival? <

Nachdem er fünf Minuten später immer noch nicht geantwortet hat, versuche ich Wincent anzurufen, um die Sache schonmal zu erwähnen. Immerhin muss er mir dann auch zwei Eintrittkarten besorgen. Doch er nimmt nicht ab. Das kommt häufig vor. 

Fünfzehn Minuten später steige ich aus der Wanne und trockne meine schrumpelige Haut ab. Ich öffne mein langes Haar und schüttle es, sodass es locker über die Schultern fällt. Dann wickle ich mir ein Handtuch um meinen Körper und tapse hinüber ins Zimmer. 

In dem Moment ruft Wincent zurück.

"Hi.", hebe ich ab.

"Hey. Na? Was gibt's?"

Dass er sofort fragt, was anliegt, zeigt mir, dass er nicht viel Zeit hat. Er will gleich wissen, ob es etwas Wichtiges ist oder wir das Gespräch verschieben können.

"Ich wollte nur ankündigen, dass ich vorhabe am Wochenende nach Rosenheim zu kommen."

"Wirklich? Ja, cool! Das freut mich. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen."

Das stimmt. Unser letztes Treffen ist schon wieder zwei Monate her. Damals war er das ganze Wochenende bei mir in München. Nachdem wir den ersten Abend nur noch auf der Couch verbracht hatten, traf er sich am Samstag mit ein paar alten Freunden ohne mich. Am Abend sind wir in einen Club gegangen und den ganzen Sonntag über haben wir dann mein Appartment nicht mehr verlassen. 

"Ja, stimmt. Kannst du zwei Karten organisieren?"

"Zwei? Kommt Sami mit?"

Ich höre in seinem Unterton, dass er nicht sehr erfreut darüber wäre. Ich habe ihm nie davon erzählt, wie Samira über unsere Beziehung denkt, aber er mochte sie von Anfang an nicht besonders. Sie arrangieren sich miteinander. Sie kommen miteinander aus, wenn wir mal gemeinsam unterwegs sind, das war es aber auch. 

"Nein, ich möchte dir dort jemanden vorstellen.", sage ich vorsichtig.

Sofort wird es still am anderen Ende der Leitung. Bis eben habe ich Schritte im Hintergrund gehört, als ob er eine Treppe steigt. 

"Jemanden?", hakt er nach.

"Ja. Jemanden, der mir wichtig ist."

Wieder Schweigen. 

"Okay.", entgegnet er zögerlich.

Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, sage ich erst einmal gar nichts. Es wundert mich, dass er so reagiert. Eigentlich ärgert es mich sogar. Wieso freut er sich denn nicht für mich? Seine Reaktion klingt beinahe vorwurfsvoll.

"Ich sehe mal, was ich machen kann. Bis dann."

Und schon hat er aufgelegt. Was soll das denn? Er sieht mal, was er machen kann? Bisher hat er immer Karten organisiert. Wenn es nicht mehr über den normalen Einlass machbar war, dann zumindest immer über den Backstagebereich. Will er mich etwa nicht sehen? Will er die Person, die mir so ans Herz gewachsen ist, denn nicht kennenlernen?

Ich merke, wie die Wut in mir hochkocht. Ich drücke auf den Hörer, doch er drückt mich weg. Das macht er sonst eigentlich nie! Wenn er gerade keine Zeit hat zu telefonieren, hat er sein Handy normalerweise gar nicht erst in Reichweite, sodass er mich nicht wegdrücken kann. 


Zehn Minuten später sitze ich in bequemer Jogginghose und Shirt auf meinem Sofa und zappe durch das Programm, doch das Gespräch geistert mir immer noch durch den Kopf. 

Da vibriert mein Handy. Sofort hebe ich es hoch und will schon abheben, als ich merke, dass es nur eine Nachricht von Sebastian ist. Wincent hat sich immer noch nicht wieder gemeldet. 

> Klingt gut. Welches Festival? <

Ich google schnell, wie es heißt und wer da noch so auftritt, und schicke ihm dann einen Link dazu. 

Seine Antwort folgt schnell.

> Cool. Machen wir. <

Es stört mich ein wenig, wie kurz und knapp Sebastians Nachrichten immer sind. Er telefoniert auch nicht gerne. Aber, wenn wir uns dann persönlich unterhalten, ist er ganz anders. Vielleicht ist diese Art Nachrichten zu verfassen auch eine Männerkrankheit. Eine Männerkrankheit, die allerdings nicht auf Wincent abgefärbt hat. Seine Nachrichten sind nicht so abgehakt und kurz angebunden. Mit ihm schreibe ich manchmal den ganzen Tag über, wenn er unterwegs ist und ich in der Arbeit, sodass wir nicht telefonieren können. Mit Sebastian würde das gar nicht erst funktionieren.

Ich stelle fest, dass im Fernsehen nichts Anständiges läuft, und schalte um auf Netflix. Ich entscheide mich für die neue Folge Riverdale.

Drei Stunden später gehe ich hinüber in mein Bett. Ich stecke mein Handy ans Ladekabel und dieses in die Steckdose und schalte dann das Licht aus. Immer noch kam keine Antwort von Wincent. So kenne ich ihn nicht. Wenn wir uns mal gestritten haben, konnten wir nie lange böse aufeinander sein. Und meistens haben wir uns auch nur wegen Kleinigkeiten gezofft. Einen ernsteren Hintergrund hatte das nie. 

Na ja, gestritten haben wir uns ja vorhin eigentlich auch nicht. Vielleicht ein bisschen angezickt, aber auch nicht mehr. Trotzdem hätte ich gedacht, dass er sich nochmal meldet. Wir schreiben uns natürlich nicht jeden Abend eine 'Gute-Nacht-Nachricht', aber gerade heute hätte ich gerne eine von ihm.

Ich klicke sein privates Profil auf facebook an und sehe, dass er vor einer Stunde ein Foto mit drei mir fremden Leuten gepostet hat. Als Ort ist eine Kneipe in Hamburg markiert. Ich weiß, dass er morgen einen Auftritt dort hat. Vielleicht hat er über die gute Laune, die er laut dem Grinsen auf seinem Foto hat, auch einfach vergessen, dass er mir noch schreiben sollte. So muss es wohl sein.

> Schlaf gut. Ich denk an dich. <

Ich muss daran denken, was Samira vorher über die "komische" Freundschaft von Wincent und mir gesagt hat, und welche Probleme Sebastian damit haben könnte. Also lösche ich den zweiten Satz und setze stattdessen ein einfaches Herzchen dahinter. Das schickt heutzutage doch wirklich jeder jedem, oder?

Ich lege das Handy beiseite und versuche zu schlafen. Es ist schon beinahe halb 12 und ich sollte wirklich schlafen, da ich morgen schon um 7.00Uhr anfange zu arbeiten, anstatt wie gewohnt um 8.00Uhr. Normalerweise sperren meine Eltern den Laden um 7.00Uhr auf, doch morgen haben sie gleich um 8.00Uhr einen Termin bei ihrem Steuerberater etwas außerhalb von München. Es macht keinen Sinn, dass sie für eine halbe Stunde ins Geschäft fahren, also fange ich eben früher an. 

Ich sehe erneut auf die Uhr. Schon 01.20Uhr. Ein kurzer Blick auf mein Handy sagt mir, dass ich noch immer keine Nachricht erhalten haben. Seufzend drehe ich mich um. Ich sollte wirklich schlafen und aufhören darüber nachzudenken, wieso er mir nicht antwortet. 

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now