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Am nächsten Morgen werde ich vom Klingeln meines Weckers geweckt. Noch bevor ich ihn ausschalte, werfe ich einen Blick hinüber zu meinem Sofa. Es ist leer. Wo ist Wincent?

Erschrocken schalte ich meinen Wecker aus und richte mich auf.

"Guten Morgen, Schlafmütze.", lacht mich Wincent an.

Er sitzt an meinem Esstisch und wird nur von der Helligkeit seines Handys angestrahlt.

"Du bist schon wach?", frage ich verwundert und gucke auf die Uhr über ihm.

Durch das schwache Licht seines Handydisplays kann ich die Uhrzeit erkennen. 07:25Uhr. Um 08:00Uhr werden wir von meinen Eltern abgeholt. Mein Vater bringt uns zum Flughafen und fährt dann wieder nach Hause, so muss keiner von uns einen teuren Langzeitparkplatz am Flughafen bezahlen. Wincent ist deshalb heute Nacht auch mit der S-Bahn gekommen und hat sein Auto entweder bei Kevin oder bei sich zu Hause im Norden stehen.

"Ja, ich konnte nicht mehr schlafen.", antwortet er. "Und jetzt kann ich mir auch endlich einen Kaffee machen."

Er steht auf und drückt auf den Knopf, um meine Kaffeemaschine zu starten. Es ist süß von ihm, dass er sie nicht schon vorher angemacht hat, da mich das laute Geräusch sonst geweckt hätte. Danach geht er zum Lichtschalter und drückt darauf. Geblendet von dem grellen Licht blinsle ich ein paar Mal, ehe sich meine Augen daran gewöhnt haben.

"Wie hast du geschlafen?", fragt Wincent lächelnd, während er eine Tasse aus dem Schrank nimmt und sie unter den Ausguss der Kaffeemaschine stellt.

"Kurz.", meine ich und schwinge meine Beine unter der Decke hervor, sodass ich nun am Rand meines Bettes sitze.

"Ach, wirklich?", grinst er. "Du hast aber doch schon geschlafen, als ich gekommen bin. Oder?"

Sein Blick durchbohrt mich beinahe. Hat er etwa doch bemerkt, dass ich wach war? Ist er doch bei mir am Bett gewesen?

"Doch, ich denke ich habe geschlafen. Wann bist du gekommen?", sage ich so ruhig wie möglich.

Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mich die letzte Nacht etwas aufgewühlt hat. Langsam stehe ich auf und gehe zu ihm hinüber.

"Ich weiß nicht. Wurde noch recht spät.", entgegnet Wincent.

Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. In dem Moment, als er mich mit seinen Armen umschließt, fällt eine kleine Last von mir ab und ich kann mich das erste mal seit Stunden wieder ein bisschen entspannen.

"Hi.", flüstert er mir ins Ohr.

"Hi.", lächle ich und löse mich aus seiner Umarmung.

"Okay, dann mache ich mich mal daran das hier", ich deute an mir herunter, "vorzeigbar zu machen."

Wincent lacht, schüttelt den Kopf und geht zur Kaffeemaschine, um endlich den ersten Kaffee des Tages genießen zu können. Er nimmt einen Schluck und nickt zustimmend.

Ich tapse hinüber in mein Badezimmer, um mich fertig zu machen. Rasch putze ich mir die Zähne und kämme mein Haar, welches ich mir dann zu einem Zopf flechte. Diese Frisur finde ich immer am Angenehmsten beim Fliegen. Ein Zopf oder Dutt drückt an die Kopfhaut, wenn ich den Kopf im Flugzeugsitz zurücklehne. Offene Haare sind bei meiner Haarlänge auch immer etwas unpraktisch. Also eben der geflochtene Zopf. Anschließend klatsche ich mir ein wenig Make-Up ins Gesicht und tusche meine Wimpern. Recht viel mehr lohnt sich ohnehin nicht, da ich nach einem kurzen Nap im Flugzeug sonst aussehe wie ein Zombie.

Nachdem ich all die Produkte, die ich eben noch benutzt habe, in meinen Kulturbeutel geworfen und diesen in meinem Koffer verstaut habe, setze ich mich zu Wincent an den Tisch.

Er tippt gerade eine Nachricht in sein Handy, was mir sofort den Magen umdreht. Unwillkürlich muss ich an Julia denken. Ob er ihr wohl gerade schreibt?

"Na, wer stört dich schon so früh?", frage ich beiläufig.

Ohne zu antworten winkt Wincent ab und legt das Handy beiseite. Er will mir also nicht sagen, wer es ist? Das ist kein gutes Zeichen.

Sein Handy vibriert, doch er ignoriert es. Na, immerhin.

"Freust du dich?", fragt er lächelnd.

"Klar. Du etwa nicht?", antworte ich lachend.

"Doch, klar. Und wie."

Seine Augen sehen mich strahlend an und ich strahle zurück. In diesem Moment beschließe ich, den Urlaub einfach zu genießen und die Entscheidung erst am Ende zu treffen. Denn wie soll ich einen Urlaub genießen, wenn ich weiß, dass es der letzte mit Wincent sein wird? Oder wie soll ich ihn genießen, wenn ich weiß, dass zu Hause ein Trennungsgespräch auf mich wartet?

"Wir müssen dann allmählich los.", räuspere ich mich und löse meinen Blick von ihm.

Er nickt, trinkt seinen Kaffee in einem letzten Zug aus und steht auf. Er stellt die Tasse in das Spülbecken und lässt einen Schluck Leitungswasser aus dem Hahn hinein, damit nichts antrocknet.

"Na, dann los.", lächelt er mich an.

Ich hole mein Handy vom Nachttisch und stecke es in meine Hosentasche. Als ich mich wieder umdrehe, sehe ich Wincent gerade noch eine Nachricht tippen, ehe auch er sein Handy schnell in seiner Hosentasche verschwinden lässt. Verheimlicht er etwa etwas vor mir?

"Seit wann haben wir denn Geheimnisse voreinander?", frage ich lachend.

Er runzelt seine Stirn und sieht mich fragend an. Ich mache mit meinen Fingern die Tippbewegungen nach, woraufhin er lachend die Augen verdreht.

"Hast du etwa Angst, dass dir jemand Konkurrenz macht?", fragt er und kommt dabei einen Schritt auf mich zu.

Er steht nun ganz dicht vor mir und sieht auf mich herab. Mein Atem beschläunigt sich etwas. Das bemerkt auch Wincent, denn ihm huscht ein Grinsen über das Gesicht.

Unsicher vergrabe ich mein Gesicht in meiner Hand, wobei ich so tue, als würde es mich an der Schläfe jucken und ich nur kratzen.

"Hey.", flüstert er und nimmt mir meine Hand aus dem Gesicht.

Mit der einen Hand hält er meine fest und die andere legt er mir unter mein Kinn, sodass er mein Gesicht zu seinem anhebt.

"Das wird nicht passieren.", sagt er leise. "Niemand kann mit dir konkurrieren."

Seufzend drücke ich mich an ihn und lege meinen Kopf auf seine Brust. Erschrocken zucke ich einen kurzen Moment zurück, denn sein Herz schlägt verdammt schnell. Was ist hier nur los? Seit wann haben wir diese Wirkung aufeinander? Seit wann bringt Wincent mich so durcheinander? Und seit wann mache ich ihn so nervös?

Mit Dir bin ich irgendwie anders - WincentWeiss (Teil 1)Where stories live. Discover now