111| Unexpected

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Eine Woche später, 2. Februar 2020
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Kapitel 111
Unexpected
[Melody Rose Morgan]
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Meine Mutter ist immer noch hingerissen von Shawn. Und das, obwohl er kein Anwalt ist. Kein Arzt oder sonst etwas intellektuelles, er ist Sänger.

Er ist der beste Mensch, den ich kenne. Er hat das weicheste und warmherzigste Lächeln, das mir bekannt ist. Seine Augen sind die liebevollsten, die ich je gesehen habe.

Seine muskulösen Arme sind die, die mich in den Arm nehmen, wenn es mir nicht gut geht.

Seine Lippen schmecken nach Muffins. Sie flüstern mir die schönsten Dinge ins Ohr.

Seine Hände können Wunder vollbringen, indem sie eine Strähne hinter mein Ohr streichen.

Alles was ich will ist mit ihm mein Leben zu verbringen.

Moment-Habe ich das gerade wirklich gedacht? Habe ich wirklich solche Gedanken?

"Melody, ist alles gut?", fragt Shawn, während er kleine Kreise auf meinen Handrücken malt. Ich nicke.

"Es ist alles Bestens"

Das ist natürlich auch wieder übertrieben, schließlich fahren wir gerade mit meiner Mutter zu der Beerdigung meines Vaters.

"Wirklich?", er sieht mich besorgt an.

"Ja", flüstere ich und füge noch hinzu, "Ich bin nur froh, dass du für mich da bist"

Ich lehne meinen Kopf gegen seine Brust.

"Immer doch", flüstert er in meinen Haaransatz und streicht über meinen Hinterkopf.

"Shawn, ich kann nicht fassen, dass du über all das hinweggesehen hast. Ich habe unser Kind abgetrieben!", schreie ich verzweifelt, wobei ich gegen Shawns Brust trommele. Er packt mich an meinen Handgelenken.

"Du darfst das nicht einfach wegstecken. Sei sauer auf mich! Schrei mich an! Ich bin ein schlechter Mensch!", schreie ich weiter, wobei mir Tränen über die Wangen rollen. Seit einer Stunde versuche ich mit ihm zu reden. Es funktioniert nicht.

Die Tatsache, dass ich nun nicht nur mein Kind, sondern auch meinenVater verloren habe, bringt das Fass zum Überlaufen.

"Melody, wir sollten schlafen gehen", flüstert Shawn mir entgegen. Ich kann seinen heißen Atem gegen meinen Lippen spüren. Das schwache Licht hinterlässt Schatten auf seinem Gesicht. Draußen ist es stockdunkel, einige Schneeflocken erhellen den Himmel.

"Shawn, rede mit mir! Ich habe es umgebracht! Getötet! Du kannst mir nicht sagen, dass es dir nicht Nahe geht!"

Ich schmecke bittere, salzige Tränen auf meinen Lippen. Wegen des Windes und der Kälte sind sie aufgesprungen.

"Jetzt nicht, Melody. Du bist nicht in der Verfassung, um darüber zu reden. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt"

Mein Atem geht unregelmäßig. Ich kann nicht mehr, gleich breche ich zusammen.

"Sag etwas! Sprich mit mir! Ich habe unser Kind getötet! Deins! Du hättest Vater sein können!"

Er schüttelt seinen Kopf.

"Meinetwegen vergammelt dein Kind in einer fucking Petrischale!"

"Melody hör auf!", schreit er lauter, als ich je jemanden zuvor gehört habe. Ich zucke zusammen. Seine Vene am Hals spannt sich an.

"Es tut mir leid", er dreht sich zu dem Fenster und macht sich auf den Weg dort hin. Dabei greift er sich an die Nasenwurzel.

"Nein, Shawn. Mir tut es leid. Ich wollte das nicht. Ja, ich wollte dich provozieren. Aber nur, weil ich damit nicht klarkomme. Das alles wird mir zu viel. Ich dachte einfach nicht, dass du es so einfach wegsteckst. Jetzt bist du hier. Du bist hier und du bist perfekt. Du tust das Richtige und du sagst das Richtige. Es tut mir leid, es war unfair von mir dich zu reizen", murmele ich und lasse mich auf das Bett fallen.

Ohne sich umzudrehen murmelt er leise: "Ich stecke es nicht so einfach weg. Melody, ich komme damit überhaupt nicht klar. Schon immer wollte ich Vater sein. Klar, nicht so früh. Das war nicht geplant. Doch du hast einen Teil von mir genommen und zerstört. Ich fühle mich leer. Nach Außen hin versuche ich stark zu sein. Nicht zu zerbrechen. Alles nur wegen dir. Weil ich dich so sehr liebe, dass ich weiß, dass du mich gerade jetzt brauchst. Wenn wir zusammen halten, bekommen wir das hin"

Bei dem letzten Satz dreht er sich um.

"Ich bin ein schrecklicher Mensch. Ich habe dir so viel genommen"

Er setzt sich neben mich. Ich spüre die Wärme die von ihm ausgeht. Mein Blick wandert zu seinem Kiefer, der fest aufeinander gepresst ist.

"Ich bin dir nicht böse. Die Umstände waren daran schuld"

Überrascht sehe ich ihn an.

"Du bist mir nicht böse? Nach all dem bist du mir nicht böse?", hake ich nach und sehe ihn an. Seine Augen hellen sich auf und werden weicher.

"Mein Herz ist voller Liebe für dich. Die Art von Liebe, die man-", er fängt an ein wenig zu lachen, als wäre es reine Ironie, "Die man eigentlich erst dann spüren kann, wenn man sich jahrelang kennt... Es ist wie... Wie die Liebe zu meiner Familie, nur stärker. Und dann, dann ist dort die andere Seite davon. Die Anziehung, die Tatsache, dass ich keine Minute ohne dich sein möchte. Der Fakt, dass es jedes Mal ist, als würde ich dich erst kennenlernen. Wahrscheinlich macht das alles gar keinen Sinn. Doch aus diesen Gründen könnte ich niemals so sauer auf dich sein, dass ich dir nicht verzeihe. Oder dass ich die Umstände nicht verstehe"

Mein Mund steht mir vermutlich gerade offen. Noch nie in meinem ganzen Leben habe ich so etwas Schönes gehört. Es fühlt sich unheimlich gut an.

"Ich... Ich weiß, was du meinst. Denn ich fühle Dasselbe. Es tut mir unendlich leid, dir das alles genommen zu haben. Ich kann es nicht so ausdrücken, wie du, aber ich liebe dich", flüstere ich.

Shawn streicht mir eine Strähne meines Haares hinter mein Ohr und zieht mich auf seinen Schoß.

Sein heißer Atem streift meine Lippen. Mit seinen Augen schaut er mir direkt in die Seele. So fühlt es sich an.

Er zieht meinen Kopf zu sich und legt seine heißen Lippen auf meine. Es ist der erste Kuss seit dem Vorfall. Nähe, die ich brauche. Nach der ich mich verzehrt habe.

"Steigt aus ihr Turteltauben", höre ich meine Mutter sagen. Als ich aus dem Fenster blicke, sehe ich, dass wir am Friedhof sind.

"Du schaffst das"

Ich nicke. Shawn verschlingt seine Finger mit meinen, als wir aussteigen. Vor mir erstreckt sich eine Wiese voller Gräber.

unexpected [s.m] Donde viven las historias. Descúbrelo ahora