59| Unexpected

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Kapitel 59
Unexpected
[Melody Rose Morgan]
-

Eine Mischung aus Alt und Neu. Das beschreibt das Gebäude vor mir ziemlich gut. Die spitz zulaufende Glasfassade geht direkt in das alte Gebäude über. Sie verschmelzen miteinander.

Es ist das größte Museum Kanadas. Das Royal Ontario Museum.

Der frostige Wind nagt an meinen Knochen, weshalb ich beschließe das Gebäude zu betreten.

Drehend sehe ich mich um.

"Bitte folgen Sie mir", nehme ich die Stimme eines Fremden wahr.

Er spricht nicht mit mir, sondern mit einer Reisegruppe. Enttäuscht blicke ich der Gruppe von Touris hinterher.

Wie Schäfchen laufen sie ihm nach. Blind folgen sie ihm.

Die Eingangshalle ist groß, man hat das Gefühl unter zu gehen.

Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll die Hinweise zu suchen. Sie könnten praktisch überall sein. Sie könnten im Museum selbst sein. Allerdings besteht auch die Chance, dass gleich wieder ein Flashmob startet und mir irgendjemand etwas in die Hand drückt.

Es ist unglaublich, wie viel Mühe sich S gibt.

Ich beschließe mich einfach von meiner Intuition leiten zu lassen. Sie wird mich schon zu den Hinweisen führen. Hoffentlich.

"Melody?"

Ruckartig drehe ich mich um.

"Ja?", frage ich, als ich in die blauen Augen einer Frau blicke. Ihre blonden Haare sind streng nach hinten zu einem Dutt gebunden.

"Nicht so stürmisch!", ruft diese. Sie taumelt rückwärts. Anscheinend hatte ich sie beim Umdrehen mit meinem Rucksack erwischt. Zja, so bin ich eben. Tollpatschig bis zum geht nicht mehr.

Gott sei Dank konnte ich meinen restlichen Kram in einem Schließfach unterbringen, sonst hätte ich bei jeder Unternehmung Tonnen an Sachen mitschleppen müssen.

"Das tut mir so leid!"

Sie streicht sich ihre Arbeitskleidung zurecht.

"Nicht so schlimm", sagt sie dann in einem Ton, der nach dem genauen Gegenteil klingt.

"T'schuldige", murmele ich noch einmal.

"Das ist für Sie"

Sie drückt mir einen Audioguide und eine Rose in die Hand.

"Den dürfen sie behalten", erklärt sie. Die Frau stöckelt davon.

Mich beschleicht das Gefühl, dass diese Frau keinen Bock auf mich hatte.

Egal, schließlich habe ich jetzt den Audioguide.

Ich schließe meine Augen und setzte die Kopfhörer auf. Sie sind nagelneu.

"Weißt du eigentlich, wie aufwendig es war diesen Audioguide zu besprechen? Es war der größte Aufwand. Was man in Anbetracht dessen, das du erlebt hast, nicht glauben würde. Vor allem war es verdammt schwierig die Leute zu überzeugen, dass 'Smells Like Teen Spirit' ins Intro soll. Genug davon. Kommen wir zu dir.

Wahrscheinlich fragst du dich, wie ich aussehe. Aber nur Geduld. Du wirst es noch früh genug erfahren.

Du befindest dich gerade in meinem Lieblingsmuseum. Schon als kleiner Junge fand ich es ziemlich cool hier durch zu gehen. Es gibt richtig viele interaktive Stationen.

Wahrscheinlich interessiert das dich nicht wirklich. Du willst deinem Ziel näher kommen, richtig?

Außerdem ist das das größte Museum Kanadas, du hättest gar keine Zeit alles anzuschauen. Zumindest nicht, wenn du noch die Sachen erleben willst, die ich vor habe dir zu zeigen.

Also gut.

Hier kommt mein nächster Hinweis:

5-5-3. Jeder kennt ihn.
-S"

Ich drücke noch ein weiteres Mal auf den Play Button. Seine Stimme ist wunderschön. Aber sie kommt mir bekannt vor. So verdammt vertraut. Ich weiß nicht, woher ich sie kenne.

5-5-3 was meint er damit? Was zur Hölle meint er damit?

Es macht keinen Sinn. Es sind einfach nur Zahlen. Was will er mir damit sagen?

"PS: Es ist ein Wahrzeichen"

Natürlich, ich habe den letzten Satz vergessen. Ich habe denn verdammten letzten Satz überhört.

Ich wende mich zum Eingang.

Ein Wahrzeichen. Für was steht 5-5-3. Für eine Telefonnummer zu kurz. Für eine Postleitzahl ebenfalls.

Was gibt es noch? Ich bleibe an der großen Straße stehen. Die Ampel ist rot.

Was ist das bekannteste Wahrzeichen von Toronto?
Skyline... Klar, der CN Tower.

Die Ampel wird grün.

"Das wäre zu einfach. Vor allem was meint er mir 5-5-3?", murmele ich zu mir selbst und schaue auf.

Ich ziehe den Kopfhörer ab.

Ich schlage die Karte von vorhin auf. Der Tower springt mir förmlich ins Auge.

Mit einem roten Punkt ist eine Anmerkung am Rand gekennzeichnet. Ich lese mir die Information durch.

Der CN Tower in der südlichen Innenstadt Torontos ist ein 553 Meter hoher Fernsehturm und Wahrzeichen der Stadt.

"Danke!", sage ich etwas zu laut und blicke auf die Höhe des Turms. Er spielt auf die verdammte Höhe an. Natürlich!

Das ist zwar ein bisschen seltsam, aber vielleicht sind ihm einfach die Ideen ausgegangen.

Meine Schritte beschleunigen sich. CN Tower; ich komme!

Ein Grinsen liegt auf meinen Lippen. Es ist alles so unglaublich. Mir fallen nicht einmal Wörter ein um es hier zu beschreiben. Doch vielleicht surreal.

Alles ist ein wenig surreal. Ich befinde mich in einem Traum oder? Das kann gar nicht wahr sein.

Wenn ich Kat von all dem erzähle, lacht sie mich aus.
Ich würde mir selbst nicht glauben.

Auch wenn ich all das total genieße, wird mir klar, dass S auf jedem Fall ein bisschen mehr Geld als eine normale Person haben muss. Oder viele Connections. Wahrscheinlich beides. Ansonsten fällt mir ehrlich gesagt kein Weg ein, wie er das hätte möglich machen können. Der Flashmob, das Kino und der Audioguide. Das ist nicht einmal alles. Ich habe in den letzten Stunden vermutlich mehr erlebt, als in meinem ganzen bisherigen Leben.

Es war immer mein Traum, eine Stadt zu spüren. Sie richtig zu erleben. Sie zu fühlen.

Er bringt mich dazu diese Stadt zu erleben. Niemals hätte ich mir erträumt, dass mir, ausgerechnet mir, so etwas passiert.

Meine Schritte werden umso schneller, nachdem ich den richtigen Weg zu dem Tower ausgemacht habe.

Bald bin ich da. Der Himmel ist mittlerweile fast dunkel. Die Fetzen der Nacht hängen an der Decke der Erde, doch die übrigen Lichtreste krallen sich in den Wolken fest. Sie wollen nicht gehen. Noch nicht jetzt. Die Sonne hingegen hat dem Mond bereits Platz gemacht.

Einzelne Sterne am Himmel kämpfen um Aufmerksamkeit.

unexpected [s.m] Where stories live. Discover now