102| Unexpected

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Kapitel 102
Unexpected
[Melody Rose Morgan]
-
Gedankenverloren streiche ich über meinen Bauch.
War es wirklich das Richtige? Ich meine, ich weiß, dass es das war. Dennoch verfolgen mich Zweifel. Es war ein Leben, das ich zerstört habe.

Shawn wusste nichts davon.

"Ist alles okay?", fragt mich Ben, als er seinen Kopf zur Tür hereinstreckt.

Ich nicke.

"Darfst du überhaupt wieder in die Academy? Also heute? Die OP war ja erst gestern"

"Nein. Sie haben gesagt, ich darf erst am Freitag wieder", antworte ich resigniert. An sich ist nichts schlimmes daran zu sehen, dass ich frei habe. Dennoch werde ich so mit meinen Gedanken alleine gelassen.

"Ben?", höre ich mich selbst fragen, als er das Zimmer verlassen will.

"Ja?", irritiert sieht er mich an.

"Kannst du noch bleiben? Nur kurz... Es sei denn, du musst gleich los", sage ich, während ich aus dem Fenster gucke. Draußen ist es noch dunkel, da ich unheimlich früh aufgestanden bin.

"Gerne"

"Nur, wenn ich dich von nichts abhalte"

"Wer braucht schon die Academy?", grinst er und lässt sich gegenüber von mir nieder.

Ich grinse.

"Hey, denk nicht zu viel darüber nach", flüstert er mir dann zu. Mit seiner Hand berührt er sanft mein Knie. Es soll wohl zur Beruhigung dienen.

"Über was?", stelle ich mich dumm.

"Du weißt, was ich meine"

Ich seufze und nicke... Er ist echt ein lieber Kerl. Ich nehme den Saum meines T-Shirts zwischen Daumen und Zeigefinger und fahre am Rand entlang.

Shawn wird niemals erfahren, dass er Vater hätte werden können.

War er das nicht sogar für eine kurze Zeit? War ich nicht für eine kurze Zeit eine Mutter?

"Ben, kann ich dich etwas fragen?"

Er zieht seine rechte Augenbraue nach oben. Schließlich nickt er.

"Habe ich mich richtig entschieden?", spucke ich die Frage, die mir immer und immer wieder im Kopf herumschwirrt, aus.

Eine Stille entsteht. Ich kann meinen Atem hören.

"Ja. Du bist erst 19. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir... Und Shawn... Er ist ein Mistkerl. Willst du wirklich ein Kind mit einem Mann aufziehen, der dich betrogen hat?", murmelt er, wobei er mir in die Augen schaut.

Geräuschvoll stoße ich Luft aus.

Ich gebe zu bedenken:"Ich hätte es ihm sagen sollen. Wenn ich es jetzt tue, dann ist es nur unnötig grausam... Ich meine ich weiß nicht, wie er reagiert, aber was wenn er es behalten wollte?"

"Sag es ihm nicht. Jetzt ist es zu spät. Du hättest es ihm vorher sagen sollen. Aber nun... Ist es einfach zu spät. Du hast deine Zeit verpasst, Melody"

Ich muss ein Schluchzen unterdrücken. Das Gefühl, dass ich ihm die Chance Vater zu werden genommen habe, lastet auf einmal wie ein Stein auf mir. Ich bin eine Egoistin.

"Ben?"

"Melody?", äfft er mich nach, scheint aber darauf zu hören, was ich sagen will. Ich sehe ihn an.

"Umarm mich"

Ohne ein Wort zu sagen schlingt er seine Arme um mich. Es fühlt sich gut an.

"Danke", hauche ich gegen seine Schulter. Shawn fehlt mir. Seine Umarmungen fehlen mir. Seine Küsse fehlen mir mehr als je zu vor.

Jede Faser meines Körpers sehnt sich danach. Es ist, als würde ich es wirklich brauchen.

Ich hebe meinen Kopf, wobei ich direkt in seine Augen Blicke. Sein Atem kitzelt an meiner Lippe. Mit meiner Zunge fahre ich über meine.

Es ist verlockend, den Abstand zu überwinden. Doch wir sind nur befreundet. Mehr nicht.

"Melody? Denkst du dasselbe wie ich?", fragt Ben mich auf einmal. Ich glaube kaum.

"Kann man sich nicht auch küssen, ohne Gefühle zu haben?", spreche ich meine Gedanken aus.

"Man kann es versuchen", er grinst.

Schließlich legt er seine Lippen auf meine. Ich ziehe ihn näher an mich heran.

"Ich denke das geht", grinse ich dann.

"Das wird jetzt aber nicht so ein abgedrehte Freundschaft+ Ding oder?", hakt Ben lachend nach.

"Mhhhh... Was dagegen?"

"Du willst das doch nicht wirklich Melody", haucht er dann und bringt Abstand zwischen uns.

"Doch"

"Nein, du vermisst ihn. Jetzt versucht du es zu kompensieren. Aber weißt du was, ich hab dich echt gern. Als Kumpel. Aus diesem Grund lasse ich das nicht zu"

Resigniert lasse ich mich nach hinten fallen. Die kalte Wand drückt sich gegen meinen Rücken.

"Du hast recht. Ich vermisse ihn. Verdammt stark"

"Rede mit ihm. Vertraust du dieser Hailey wirklich mehr als ihm?", fragt er. Mein Blick schwebt zurück aus dem Fenster.

"Ja... Nein. Eigentlich nicht. Aber... Aber sie hat es der Presse gesagt. Wieso sollte sie so etwas machen, wenn sie nicht wirklich schwanger ist?"

Er seufzt und streicht sich durch seine dunkelblonden Haare.
Seine blauen Augen liegen auf mir.

"PR", brummt er schulterzuckend.

-

"Ich verstehe nicht, warum er ihr nicht einfach verzeiht. Es wäre so einfach. Außerdem ist es total unwahrscheinlich, dass er jemals wieder eine Tusse wie sie abbekommt"

Ich lache ein wenig und sage dann: "Erstens ist das bei solchen Filmen immer so und zweitens hat sie ihn verletzt. Man will nicht immer gleich nachgeben"

Ich befürchte das ist meine Mentalität.

"Sie hat ihm einen Chagall geschenkt"

"Dieses Argument kommt von dem Typen, der bis vor fünf Minuten noch dachte, Chagall wäre ein afrikanisches Land", ziehe ich ihn auf. Wobei ich alleine bei dem Gedanken daran wieder lachen muss.

"Hey, woher soll ich denn wissen, dass das ein Künstler ist?", gibt er pampig von sich.

"Du studierst Kunst!", sage ich und boxe ihn in die Seite. Schmollend reibt er sich seinen Arm.

"Ja und? Ich stehe eher auf abstrakte Kunst"

"Mhhh"

Mit meiner rechten Hand ziehe ich mein Handy heraus. Mein Daumen schwebt über das Display. Shawn.

Von: melody.cobain@ gmail
An: muffin.lover@ gmx.de
Betreff:...

Wir müssen uns treffen.
-M

Ich drücke auf 'senden'.

Warum habe ich das getan? Ich will ihm eigentlich gar nicht sagen, dass wir ein Kind hatten. Aber ich will es ihm ebenfalls nicht weiter verschweigen. Die Last ist zu groß.

unexpected [s.m] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt