58. »Welchen Verdacht?«

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Wie auch beim ersten Mal, als ich den Teil des Höhlensystems betreten hatte, wanderte mein Blick über die hohe Decke und den lichtdurchfluteten Raum. Auf den ersten Blick sah es genau so aus wie immer: ein über alle Tische verteiltes Chaos aus Heften, Notizzetteln, Reagenzgläsern und aufgeschlagenen Büchern sowie Gegenstände zum Experimentieren.

Meine Chemielehrerin würde einen Herzinfarkt bekommen; sie war durch und durch ein totaler Ordnungsfreak. Als sich etwas ganz hinten im Raum bewegte, bekam jedoch ich fast einen Herzinfarkt, bis mir einfiel, dass ich doch unsichtbar für die anderen war.

Es war Attica, das brünette Mädchen aus dem Speisesaal, das mich so bösartig angesehen hatte. Sie sah aus, als ob sie etwas suchen würde, wie sie sich ständig bückte und Schubladen aufzog. Langsam schlich ich mich näher heran, bis ich nur noch wenige Meter entfernt war.

Jetzt sah ich das erste Mal ihre Augenfarbe und schnappte unwillkürlich nach Luft. Sie waren weiß. Na ja, nicht ganz, aber das Grau war so unfassbar hell, dass es weiß wirkte. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Attica blickte alarmiert in meine Richtung.

Sie hatte mich wohl gehört und wich jetzt zur Tür hinter ihr zurück, warf einen letzten Blick in den Raum und verschwand dann hinter der Tür. Erleichtert atmete ich auf. Nun konnte ich ungestört meine Suche beginnen.

***

Ich suchte und suchte. Wirklich, es kam mir vor wie Stunden, aber ich wurde einfach nicht fündig. Hier lag kein einziges Buch über Heilmittel oder ein nur annäherndes Thema. Mein Magen zog sich zusammen. Wenn ich Tiana so schon nicht helfen konnte, wie dann?

Die Zeit lief mir davon, ich musste bald schon zum Treffen mit Maxime. Niedergeschlagen suchte ich mir den Weg nach draußen, streifte die Unsichtbarkeit ab und ging auf die Suche nach Alecya. Ich fand sie bei den Trainingsfeldern auf dem Gras sitzend.

Schweigend starrte sie das Gras an und zerfledderte ein Gänseblümchen, das das Pech gehabt hatte, in ihrer Reichweite zu wachsen. Irgendwie war sie schon seit der misslungenen Aktion in der Festung ungewöhnlich schweigsam. Wahrscheinlich machte sie sich Sorgen.

Bevor ich sie allerdings darauf ansprechen konnte, trafen Luke und Connor ein, mal wieder in einen lautstarken Streit verwickelt. »Du sollst mir nicht wie ein Hündchen hinterherlaufen!

Du nervst!«, fauchte Connor gereizt, was Luke ebenso unfreundlich mit leuchtend roten Augen erwiderte: »Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich wirklich alles lieber tun, aber leider bist du ja ein Verräter.« Um ehrlich zu sein zweifelte ich, ob die beiden jemals wieder aufhören würden zu streiten.

Der junge Mann, der uns beim Schwertkampf unterrichtet hatte, Matt, kam auf uns zu. »Maxime erwartet euch im Haupthaus. Kommt mit, ich zeige euch, wo ihr hinmüsst.« Gehorsam folgten wir dem Drachenwandler, der uns auf eines der Gebäude am Rand zuführte.

Wir traten durch den Eingang und befanden uns in einem sporthallenähnlichen Raum. Der Boden war glatt und mit Linien aus Kohle überzogen, in deren Mitte ein mir bekannt vorkommender schwarzer Stein lag. Es war derselbe Obsidian, den Tymian uns im Labor gezeigt hatte.

Neben dem Obsidian stand Maxime in ihrer typischen Ausrüstung: schwarze, eng anliegende Kleidung, Kampfstiefel und einen Gürtel mit etwas Dolchähnlichem. Ihre Haare hatte sie zu einem seitlichen Zopf geflochten, was ihre Gesichtszüge betonte. Sie sah wirklich beeindruckend aus.

Matt stellte sich an den Rand des Raumes, uns stets im Blick behaltend. »Ihr werdet heute lernen, wie man Energiekugeln mithilfe dieses Steins formt«, sagte Maxime und trat auf uns zu. »Ich möchte Connor bitten, anzufangen.« Respektvoll nickte sie ihm zu. Luke ballte die Fäuste.

»Was?! Der Verräter darf zuerst?« Er erntete einen strengen Blick von Maxime. »Das ist ein Test«, erklärte sie. »Wenn ich erklären würde, warum ich Connor gewählt habe, würde es das Ergebnis verfälschen.« Schnell klappe Luke den Mund wieder zu und protestierte nicht weiter.

»Nimm den Stein in die Hand und leite deine Energie hindurch«, befahl Maxime Connor, der nun nervös den Stein hochhob. Er streckte eine Hand aus und eine leuchtende graue Kugel bildete sich, die kraftvoll pulsierte. Überrascht sah Connor auf seine Hand. »Das war ja einfach.«

»Und jetzt lass sie wieder versiegen«, ordnete Maxime an. Es vergingen ein paar Sekunden, aber nichts passierte. Connor bekam es nicht hin.
Maxime nahm ihm den Stein wieder aus der Hand, wodurch die Kugel wieder erlosch. »Das bestätigt meinen Verdacht«, sagte Maxime ernst.

»Welchen Verdacht?«, fragte ich atemlos und mit klopfendem Herzen. Maxime schluckte und sah mir direkt in die Augen. »Das kann ich nur mit Bestimmtheit sagen, wenn ich eine letzte Prüfung mache. Connor, würdest du dich umdrehen und mir bitte deinen Nacken zeigen?«

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