22. »Komm schnell!«

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Alecyas Augen waren weit aufgerissen, die nackte Angst stand darin. Sie öffnete den Mund, schrie etwas, fuchtelte wild mit ihren Armen herum, doch ich hörte sie nicht. Alles war still um mich, dabei strengte ich mich so sehr an, sie zu verstehen.

»Alecya! Ich verstehe dich nicht«, rief ich und streckte eine Hand nach ihrem Arm aus. Doch ihr Abbild schien es nicht zu bemerken, sie schrie wieder, ich verstand nicht. Tausende von Spiegeln um uns warfen das Bild millionenfach zurück.
Als ich sie packen wollte, glitt mein Arm einfach durch die Stelle, an der Alecya sein müsste. Mein Herz schlug wie verrückt. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich rief noch einmal mit voller Kraft: »Ich höre dich nicht!!«

Plötzlich krachte und splitterte alles um mich herum, Spiegelsplitter regneten auf mich herab und versperrten mir die Sicht. Schützend hielt ich meine Hände über den Kopf, hielt mir die Ohren zu und kniff die Augen zusammen.

Ich ließ mich auf den Boden fallen, den Kopf nach unten gesenkt. Etwas schnitt in mein Bein, eine Scherbe hatte sich in meinen Unterschenkel gebohrt. Fluchend zog ich sie wieder heraus und wischte notdürftig das rote Blut weg, das der Schnitt verursachte.

Die Splitterflut ließ nach und ich sah zu Alecya, die schwer atmend vor mir stand. Jetzt hörte ich sie plötzlich. »Oh mein Gott, Connie!« Sie packte mich an der Schulter und zog mich hastig auf die Beine. »Es ist alles so schrecklich. Beeil dich! Ich weiß nicht, wie lange sie noch durchhält! Schnell!«

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Wer hält nicht mehr lange durch? Was ist denn? Alecya!« Statt einer Antwort begann sie sich aufzulösen. Und nicht nur sie, der ganze Spiegelraum verblasste als würde er in dicken Nebel gehüllt. Alecyas Stimme klang wie von weiter Ferne.

»Komm schnell!«, schrie sie, während alles sich endgültig auflöste und ich in tiefe Schwärze fiel.

***

Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich in meinem Bett auf. Mein Herz raste. Schweiß bedeckte meine Stirn und ich umklammerte fest die Decke. Was war das bloß?! Dreimal hatte ich jetzt diesen vollkommen verrückten Traum gehabt. Hatte das etwas zu bedeuten?

»Ach, Schwachsinn. Nicht anfangen zu fantasieren«, murmelte ich leise zu mir selbst. Mein Blick huschte zur Uhr. Erst zwei Uhr nachts?! Mir kam die Nacht schon ewig lang vor und es waren erst wenige Stunden vergangen. Hoffentlich, hoffentlich konnte ich jetzt endlich traumlos schlafen...

Meine Lider wurden schwer und ich sank langsam zurück in den Schlaf.
Vier Stunden später klingelte mein Wecker und ich stand erschöpft auf.
Warum konnte noch nicht Wochenende sein?

An den Schultagen quälte ich mich geradezu aus den Federn und an freien Tagen wachte ich um halb sieben auf und konnte nicht mehr einschlafen. Ich verstand diese Logik einfach nicht!

***

Nach der Schule hatte ich mich mit Luke verabredet. Wir trafen uns am Feldrand an der Stadtgrenze, wo selten jemand vorbeikam außer ein paar verirrten Spaziergängern oder dem Bauer. Im Sommer würden die Maispflanzen hier mannshoch stehen, jetzt war davon noch wenig zu sehen.

Lediglich ein paar einsame grüne Pflanzenspitzen lugten aus der klumpigen Erde. Ich kam vor Luke an und kickte einen Stein vor mir her, um die Erinnerung an den dummen Traum zu verscheuchen. »Nur ein Traum...«, murmelte ich vor mich hin.
»Was ist nur ein Traum?«, fragte Lukes Stimme hinter mir. Ertappt fuhr ich herum. »Ach...gar nichts«, stotterte ich. »Du warst schon immer eine schlechte Lügnerin«, stellte Luke fest. »Also?« Ergeben erzählte ich von meinem merkwürdigen Traum von Alecya, die mich gerufen hatte.

»Und sie hat wirklich gesagt 'komm schnell'?«, fragte Luke ernst. Er lachte nicht, er glaubte mir! Ich nickte. »Meinst du, das hat was zu bedeuten?«, meinte ich. Luke lächelte. »Das lässt sich leicht herausfinden.« Verwirrt legte ich den Kopf schief.

»Hä?« Lukes Lächeln verbreitete sich zu einem Grinsen. »Dass du nicht selbst darauf kommst! Wir verwandeln uns und fragen dann Alecya über Gedanken, ob alles okay bei ihnen ist.« »Du bist ein Genie!«, sagte ich schmunzelnd. »Natürlich«, sagte er mit gestelzter Stimme.

»Luke immer alles wissen. Luke Wikipedia. Stets zu Diensten!« »Hör auf«, lachte ich und boxte ihn gegen den Arm. »Ich habe so meine Zweifel, ob das aus dieser Entfernung überhaupt klappt.« Er zwinkerte mir zu. »Wir probieren es einfach aus. Telepathie hat doch keine Grenzen, oder?«

Ich lachte freudlos auf. Telepathie! Was kam noch alles? Aber ausprobieren war eine gute Idee. Dann könnte ich diesen wirren Traum vielleicht vergessen...

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