Liebe und Hass

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Aus einem Reflex heraus, wandte ich mich Kyian nun vollends zu und verpasste ihm eine Ohrfeige, noch bevor er diese hätte kommen sehen können. Ich konnte Jurian neben mir lachen hören, wusste aber, dass er sich darum bemühte, sich zusammenzureißen. „Warum tust du mir das an? Ich dachte er sei tot!" schrie ich unter purer Verzweiflung aus, da ich nicht verstand, warum er mir ohne Bedenken die Lüge hatte vorspielen können, dass mein bester Freund verstorben sei. „Das habe ich wohl verdient.." gab er murmelnd vor sich und sah nun nicht mehr so selbstsicher aus wie zuvor.

„Zu seiner Verteidigung, es war meine Idee." Brachte Jurian mit ein und legte dabei eine Hand an meinen Rücken. Wohl mit der Hoffnung, mich dadurch wieder zu beruhigen. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Ich trat langsam ein paar Schritte zurück und entfernte mich somit von den drei wichtigsten Personen in meinem Leben, die mir seit diesem letzten Anschlag auf das Schloss, eine grausame Lüge aufgetischt hatten. Amalia hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort von sich gegeben, versuchte nun jedoch, näher an mich heranzutreten.

„An dem Tag als sie zurück kahmen, wussten wir nicht, ob Jurian die Nacht überleben würde. Die untere Hälfte seines Beines war vollkommen zerfetzt und es stand nicht besonders gut um ihn." Ich hielt den Atem an, als ich mir in den Sinn kam, wie dies wohl ausgesehen haben musste. „Aus diesem Grund also.." ich brach ab und deutete lediglich auf das fehlende Ende seines Beines, was Jurian mir mit einem Nicken bestätigte. „Sobald ich wieder bei Sinnen war, bestand ich darauf, dass Kiyan es für sich behält. Wir konnten mögliche Infektionen nicht ausschließen und wollten daher sichergehen, dass der Heilungsprozess ordnungsgemäß verläuft."

Ich verstand die Welt nicht mehr. Jurian war niemals gestorben, sondern hatte sich in all den vergangenen Tagen, in denen ich um sein verlorenes Leben getrauert hatte, unweit von mir innerhalb des Schlosses aufgehalten. „Ohne Phileas' Hilfe, wäre ich dort draußen ebenfalls gestorben. Er hat mir das Leben gerettet." Bei der Erwähnung seines Bruders, gab Kiyan lediglich ein stummes Nicken zur Antwort. Er schien diesen Teil der Geschichte bereits zu kennen. „Also habt ihr.. ihr wart.."

Erneut brach ich ab und schüttelte den Kopf, um das Durcheinander in meinen Gedanken wieder zu sortieren. Das durfte alles nicht wahr sein. Ich wusste nicht recht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte. „Laut dieser selbsternannten Ärztin.." Jurians begonnenen Worte wurden von einem Kichern aus Amalias Richtung quittiert. „.. wurde ich zu einigen Wochen Ruhe verpflichtet. Deshalb dürfte ich eigentlich nicht hier sein." Dabei warf er der jungen Frau einen bösen Blick zu, der sich jedoch schnell zu einem Schmunzeln wandelte.

„Als ich jedoch erfahren habe, dass meine beste Freundin zur Königin gekrönt werden soll, konnte ich mir dies natürlich nicht nehmen lassen." „Du hast es ihnen gesagt?" empört richtete ich mich an Kiyan, der daraufhin nur entschuldigend die Hände hob. „Du weißt selbst wie anstrengend er sein kann, wenn es um dich geht, Camilla. Ich konnte ihn nicht länger schmoren lassen." „Ich bin noch immer durchaus in der Lage, handgreiflich zu werden, wenn es sein muss, Kiyan." Warnte Juri den amtierenden König scherzhaft vor, was dieser jedoch recht gelassen mit einem Schmunzeln entgegennahm.

„Ich dachte, ihr wärt.." begann ich und schüttelte irritiert den Kopf über das Verhalten der beiden. „Was ist zwischen euch vorgefallen?" Sie schienen sich nicht mehr so abgrundtief zu hassen, wie es anfangs der Fall gewesen war. „Wo sind die wutentbrannten Funken? Das angedeutete Gemetzel?" Kiyan begann zu lachen und trat näher an mich heran, um seinen Arm um meine Taille zu legen. „Wir sind doch keine Wilden, Camilla. Nachdem es ihm etwas besser ging, haben wir uns vollkommen zivilisiert ausgesprochen."

Ungläubig wanderte mein Blick zwischen den beiden jungen Männern hin und hier. Ich war noch nicht soweit, dies vollends zu verstehen. Obwohl ein Teil in mir sich bereits darüber freute, dass zwischen ihnen alles im Reinen war und ich mir keine Sorgen darum machen musste, dass sie übereinander herfielen. „Wo bleibt denn nun das Festmahl, von dem ihr gesprochen habt? Ich habe noch keinen einzigen Bissen gefrühstückt." Diese Aussage war für Jurian so typisch, dass ich zu lachen begann, obwohl mir zeitgleich wieder Tränen in die Augen stiegen.

„Wenn ihr nichts dagegen habt, werden wir uns nun wieder bis zur großen Feier zurückziehen." Warf Amalia sich ein und legte dabei eine Hand an Jurians Arm, als deutliche Aufforderung, sich in Bewegung zu setzen. „Vollkommen richtig. Der Patient braucht nämlich seine Ruhe." Ahmte er die Worte der jungen Frau mit einem Augenrollen nach und erntete dafür einen Schlag gegen seine Schulter, der ihn beinahe erneut aus dem Gleichgewicht brachte. Bevor sich Jurian allerdings in Bewegung setzte, konnte er es sich nicht nehmen lassen, sich nochmal an Kiyan zu wenden.

„Ich hoffe sehr, dass du dir sicher bist, mit dem was du willst. Dieses Wrack dort, übergebe ich nämlich mit äußerst großer Freude in deine Hände." „Jurian!" Kam es mahnend von dem Angesprochenen zurück. „Treib es nicht zu weit." Der blondhaarige junge Mann begann daraufhin zu lachen und formte ein tonloses „Entschuldige." In meine Richtung. Schmunzelnd gab ich ein kaum merkliches Nicken zur Antwort, ehe sich Jurian von uns abwandte und mit Amalias stützender Hilfe den Thronsaal verließ.

„Das war kein besonders gutes Verlobungsgeschenk, habe ich recht?" Nervosität klang in Kiyans Stimme mit, obwohl er diese mit einem Schmunzeln zu überspielen versuchte. „Ich weiß noch nicht recht, ob ich dich dafür hassen oder lieben soll." Entgegnete ich so ehrlich, wie es mir möglich war. Musste mir jedoch eingestehen, dass ich ihm diese Tat nicht übel nehmen konnte. Er hatte mich angelogen, doch nur, um mich vor einem noch grauenvolleren Abschied zu bewahren, hätte Jurian die Nacht darauf doch nicht überstanden.

„Letzteres würde mir eindeutig besser gefallen." Sprach er leise aus, woraufhin ich meine Arme um seinen Hals legte und ihn somit ein wenig zu mir hinunterzog, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. Schweigend beobachtete ich einen Moment den Blick in seinen Augen, wie dieser sich dabei hinab auf meine Lippen senkte, was mich zum Schmunzeln brachte. „Dann solltest du deiner Königin ein angemessenes Frühstück zubereiten. Ich habe nun nämlich ebenfalls einen Bärenhunger."

Gegenteilig von seinem unausgesprochenen Wunsch, löste ich daraufhin meine Arme wieder von ihm und konnte mir bei seinem mehr als nur unzufriedenen Gesichtsausdruck ein Lachen nicht verkneifen. „So nicht, Verehrteste." Gerade als ich mich in Bewegung setzen wollte, legte er seine Arme um meine Taille und zog mich dadurch schlagartig wieder zu sich heran, ehe er sich zu mir hinunterbeugte und seine Lippen auf meine legte. Ein Feuerwerk an Gefühlen sprühte in mir auf, wie es jedes Mal der Fall war, wenn sich unsere Körper näherkamen. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now