Grenzen

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P.o.V. Jurian

Seit Camillas Ausflug mit dem Kronprinzen, sind nun einige Tage vergangen und ich hatte bedauerlicherweise keine Möglichkeit erhalten, mich ungestört mit ihr zu unterhalten. Nun saß ich bereits seit einer gefühlten Ewigkeit in diesem Gebüsch, welches an den Garten grenzte und wartete darauf, dass Camilla das Schloss verließ, damit ich für einen kurzen Moment die Möglichkeit bekam, mit ihr zu sprechen. Bisher hatte sie sich nicht blicken lassen und mit der Zeit, die verging während ich hier wartete, wurde ich zunehmend ungeduldiger. Sollte ich nicht bald wieder auf meiner Position vor den Toren des Schlosses erscheinen, würde ich Aufsehen erregen.

Endlich, als ich dachte, sie würde womöglich nicht kommen, konnte ich durch die Blätter des Gebüsches hindurch erkennen, wie sie durch die Tür des Schlosses den Garten betrat und mit einem Korb in den Händen, zu den Himbeersträuchern ganz in meiner Nähe lief. Ich beobachtete sie einen Augenblick, um sicherzugehen, dass sich niemand in ihrer unmittelbaren Umgebung befand, der unser Gespräch mit anhören konnte. „Camilla?" Ich sah, wie sie bei dem Klang ihres Namens zusammenzuckte, sich jedoch nicht in meine Richtung drehte. Genau so war es auch beim letzten Mal gewesen. Doch diesmal wollte ich Antworten.

„Ich dachte, du hättest verstanden, dass wir nicht miteinander sprechen dürfen." „Du und der Kronprinz, ihr wart ziemlich lange unterwegs. Warum hast du mir nichts davon erzählt?" fragte ich sie aus dem Gebüsch heraus, was für sie womöglich genauso seltsam war, wie für mich, ohne auf ihre zuvor gesagten Worte einzugehen. Für einen kurzen Moment drehte sich Camilla in meine Richtung und schien herausfinden zu wollen, wo ich mich aufhielt. „Es war eine spontane Idee, wir sind lediglich in die Stadt geritten." Dass sie diesen Ausflug auf die leichte Schulter nahm, störte mich besonders, unter all dem, was sie mir verschwieg. „Jeder hätte euch erkennen können, Cami. Es steht außer Frage, dass Kiyan äußerst leichtsinnig handelt."

„Die Idee stammte von Phileas." Korrigierte sie mich, was mich nicht einmal ansatzweise ruhiger stimmte. Camilla hatte sich in große Gefahr begeben, in dem sie sich ohne Schutz dort draußen umhertrieb. Auch wenn Kiyan an ihrer Seite gewesen war, ich traute ihm nicht. Alles an diesem Ausflug war falsch gewesen. Dort hätte alles Mögliche schief gehen können. „Ob die Idee nun von Phileas stammt oder von seinem Bruder, spielt keine Rolle. Warum hast du mir nicht erzählt, was ihr geplant habt? Spätestens, als wir uns kurz zuvor begegnet sind, hättest du es mir sagen können."

Camilla widmete sich wieder den Himbeersträuchern und ließ mich somit regelrecht gegen eine Wand sprechen. „Da ich ganz genau weiß, dass du versucht hättest mich davon abzuhalten, mit ihm mit zu gehen." Damit hatte sie ausnahmsweise sogar Recht. Es wunderte mich, dass sie überhaupt mit solch einer furchtbaren und zudem riskanten Idee einverstanden gewesen war. „Es tut dir nicht gut, so viel Zeit mit den Prinzen zu verbringen, Cami. Du wirst noch genauso naiv wie sie." Versuchte ich ihr klarzumachen, in der Hoffnung, dass sie endlich einsah, mit welchem Risiko sie täglich spielte. „Ich bin nicht derjenige, der sich entgegen der Vorgaben des Königs in einem Busch versteckt, um mit mir zu sprechen."

„Was ist wirklich mit deiner Hand geschehen, Cami? Jedes einzelne Mal, wenn ich dich zu Gesicht bekomme, hast du dich erneut irgendwo verletzt. Was geht dort drinnen vor sich?!" Dass ich lauter wurde, störte mich nicht sonderlich, wenn ich somit dafür sorgen konnte, dass Camilla mir endlich eine Antwort auf meine Fragen gab. Sie ließ mich in vollkommendem Unwissen und es schien ihr rein gar nichts auszumachen. „Es hat keinerlei Bedeutung, was vorgefallen ist, Juri. Selbst wenn du wüsstest, was innerhalb der Mauern geschieht, würdest du es nicht verstehen."

Ich mochte es ganz und gar nicht, dass sie mir nur solche ausschweifenden Antworten gab. Ob ich die Geschehnisse verstehen würde oder nicht, war unwichtig. Es störte mich lediglich, dass sie all dies nicht einmal versucht hatte, mir gegenüber zu erwähnen. Ganz so, als wäre es für sie nicht von Bedeutung, dass ich davon erfuhr, selbst wenn ich ihr nicht helfen konnte. Trotz des Risikos, welches ich damit einging, trat ich vorsichtig aus dem Gebüsch hervor, was dafür sorgte, dass Camilla sich automatisch zu mir umdrehte und mich verunsichert dabei beobachtete, wie ich ihr näher kam.

„Wir dürfen nicht zusammen gesehen werden, Juri. Wenn der König das.." begann sie und blickte sich dabei, immer nervöser werdend, in unserer Umgebung um. „Plötzlich ist es dir wieder wichtig, Cami. Dass du dich dem Kronprinzen näherst, ist doch ebenfalls nicht gestattet und dennoch hast du einen gesamten Tagesausflug gemeinsam mit ihm unternommen." Ich trat langsam ein paar Schritte näher, bis sie es meinen Schritten gleichtat und regelrecht vor mir zurückwich. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihren Arm zu ergreifen, um zu verhindern, dass sie verschwand.

„Was hat er dir versprochen, damit du mit ihm mitgehst? Es kann niemals deine eigene Entscheidung gewesen sein." Ihr Versuch, sich aus meinem Griff zu lösen, scheiterte und sie blickte nur unsicher zwischen mir und meinem Griff um ihren Arm hin und her. Ich brauchte Antworten und wenn ich diese nicht bald bekommen würde, verlor ich womöglich endgültig die Geduld. „Lass mich los, Juri. Du tust mir weh." Kam es leise von ihr und die beinahe ängstliche Verwunderung über mein Verhalten, stand buchstäblich in ihr Gesicht geschrieben.

Ich wollte ihr keine Angst bereiten, auf keinen Fall. Doch sie ließ mich für Wochen – nein, für Monate, im Unwissen über ihr Leben innerhalb des Schlosses. Sie musste doch verstehen, dass ich nur sichergehen wollte, dass es ihr gut ging. Das, was ich gelegentlich von ihr zu sehen bekam, deutete auf das genaue Gegenteil davon hin. Die immer häufigeren Verletzungen, das Schweigen mir gegenüber, nun der Ausflug mit dem Kronprinzen. Irgendetwas ging dort innerhalb der Mauern vor sich und ich musste endlich wissen, was Camilla damit zu tun hatte.

„Du gehst ein unheimlich großes Risiko für diese Möchtegern-Könige ein, Cami und mit mir möchtest du nicht einmal ein paar einfache Worte wechseln?" Meine Aufmerksamkeit wurde auf etwas in meinem Augenwinkel gelenkt und ich drehte meinen Kopf in dessen Richtung. Augenblicklich und ohne groß darüber nachzudenken, löste ich meinen Griff von Camillas Arm, als ich erkannte, wer uns plötzlich Gesellschaft leistete. „Gibt es hier ein Problem, Camilla?"

Ihr Blick flog, ebenso wie der Meine zuvor, zu Phileas, der sich uns näherte und mich dazu brachte, mich langsam von Camilla zu entfernen. Was ich mit ihr zu klären hatte, würde ich nicht in seiner Anwesenheit besprechen. Mit dieser gesamten Königsfamilie stimmte etwas nicht und Camilla schien sich mit jedem Tag mehr, von ihnen beeinflussen zu lassen. „Nein, es ist alles in Ordnung." Sprach Camilla, an Phileas gewandt und rieb dabei scheinbar unbewusst über die Stelle an ihrem Arm, an der ich sie bis eben noch festgehalten hatte,

Womöglich ging ich zu weit, doch was blieb mir anderes übrig, wenn sie nicht mit mir sprechen wollte? Diese Prinzen gewannen Camilla zunehmend für sich und rissen sie, mit jedem Tag der verstrich, mehr aus meinem Leben. Beinahe so, als käme es einer Absicht nach, dass wir uns mit der Zeit verlieren würden. „Du solltest wieder hineingehen." Konnte ich Phileas an Camilla gewandt murmeln hören, ehe sie seinen Worten nachging und sich mit dem Korb in den Händen wieder in Richtung Tür begab.

Phileas hingegen, blieb noch einen Moment auf dieser Stelle stehen und betrachtete mich eingehend mit seinen giftgrünen Augen. „Dir sind Vaters Bedingungen bekannt, Jurian." Mehr brauchte er nicht zu sagen, dann folgte er Camilla schließlich zurück zur Tür und der wichtigste Teil meiner ehemaligen Familie, verschwand somit erneut aus meiner unmittelbaren Reichweite. Ich wartete lediglich, bis sie endgültig verschwunden waren, bis auch ich wieder durch das Gebüsch hindurch kroch, um mich zurück auf meine Wachposition vor den Toren zu begeben.

Phileas würde seinem Vater gegenüber keinen Bericht erstatten, das würde Camilla nicht zulassen. Dennoch vergaß ich, dass er nicht der einzige sein konnte, der in diesem Augenblick die Möglichkeit bekam, uns zu beobachten. Zumal mein Fehlen, auf meiner Position als Wache nicht vollends unbemerkt geblieben war.

Die ZofeWhere stories live. Discover now