Der gefallene Sohn

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Mein Blick lag noch eine halbe Ewigkeit auf meiner Hand, welche den Riegel der Tür zurück ins Schloss geschoben hatte. Ich hoffte sehr, dass ich damit nicht auch Kiyans Untergang herbeiführen würde. Er war in der Lage, sich selbst zu verteidigen, dass wusste ich. Doch ich ließ ihn ungerne dort draußen alleine mit all diesen Rebellen, die jederzeit dazu bereit waren, sein Leben zu beenden. „Er wird unbeschadet zurückkommen, Camilla." Riss mich Amalias sanfte Stimme aus meinen Gedanken.

Meine Gedanken zu Kiyan wurden durch das Bild von Keylam ersetzt, welches sich in meinem Kopf verfestigt hatte, als ich ihn dort in der Schlossküche hatte liegen sehen. „Kiyan wusste schon immer, was von ihm erwartet wird." Sprach sie weiter, während ich mich ihr zuwandte und dem Bett näherte, auf dem der Junge nun lag. „Wie kann ich helfen?" fragte ich sie, um mich davon abzulenken, dass der amtierende König dort draußen womöglich nur knapp dem Tode entging. Die junge Frau war damit beschäftigt, den Schnitt auf Keylams Oberkörper mit vorsichtigen Handgriffen zu vernähen.

„Ich habe eine Salbe entdeckt, die bei der Wundheilung helfen könnte." Mit einer leichten Kopfbewegung deutete sie auf eine Stelle des Bettes, auf der ich Utensilien fand, welche sie als hilfreich empfunden hatte. Darunter auch eine verschlossene Schale, in der sich die genannte Salbe befinden musste. „Wird er es schaffen?" fragte ich zögerlich nach, ehe ich damit begann die Salbe auf der beendeten Naht zu verteilen. Keylam gab dabei keine Regung von sich. Aus meinem Augenwinkel stellte ich fest, dass Amalia den Jungen eingehend zu beobachten schien.

„Ich weiß es nicht. Der Schnitt selbst war nicht tief genug, um ihn sofort zu töten." Ich verzog das Gesicht bei der bildlichen Vorstellung, wie dies von Statten gegangen sein musste. „Er hat jedoch eine Menge Blut verloren. Ob er die kommende Nacht überleben wird, steht in den Sternen." Das waren keine besonders hoffnungsvollen Aussichten für das restliche Leben dieses sonst vor Freude und Lebenslust überquellenden Jungen. Nachdem die Salbe aufgetragen war, bedeckte Amalia die betroffene Stelle noch zum Schutz mit einigen dünnen Leinentüchern.

„Soll ich mir deinen Arm einmal ansehen?" Amalias anfängliche Nervosität und die erschütternde Angst in ihrer Stimme hatten sich gelegt und sie betrachtete mich nun eingehend. „Das ist nicht notwendig." Kopfschüttelnd wollte ich ihr versichern, dass der Schnitt an meinem Oberarm kein großes Problem darstellen würde. Die junge Frau mir gegenüber, schien dies allerdings nicht akzeptieren zu wollen. „Solltest du unter meiner Aufsicht zu Tode kommen, wird Kiyan mir höchstpersönlich den Kopf abhacken. Setz dich."

Da ihre letzten Worte durchaus wie ein Befehl klangen, ließ ich mich auf dem zweiten, freien Holzbett nieder, ehe sie Keylam in Ruhe ließ und mir ihre Aufmerksamkeit widmete. Schweigend begutachtete sie den Schnitt in meiner Haut und riss den beschädigten Ärmel dabei kurzerhand von der Naht. „Amalia!" beschwerte ich mich augenblicklich, woraufhin sie nur fragend eine Augenbraue hob. „Hattest du etwa vor, dieses Kleid jemals wieder zu tragen?" Ich wusste, dass sie recht hatte, weshalb ich darauf lediglich Schweigen zur Antwort gab.

„Du hast Glück. Wenn du es sauber hältst, wird womöglich nur eine kleine Narbe zurückbleiben." Ein unangenehmer Schmerz zog sich, ausgehend von dem Schnitt an meinem Arm, durch meinen Körper. Unbemerkt von mir, hatte Amalia auch dort die Salbe aufgetragen, welche nun höllisch brannte und diesen Schmerz verursachte. „Was ist mit deinem Gesicht?" fragte ich sie schließlich, um von mir abzulenken. Die junge Frau hingegen, setzte lediglich zu einem gequält wirkenden Lächeln an. „Ich kann noch atmen und meine Nase scheint nicht gebrochen zu sein. Der Schmerz wird vergehen."

Ich wollte zu einer Antwort ansetzen, als das dröhnendes Geräusch eines Instrumentes, ähnlich einer Trompete, aufkam und ich meine Worte augenblicklich verschluckte. Unsicher kreuzten Amalia und ich unsere Blicke. Auch sie schien nicht zu wissen, welche Bedeutung dieses Geräusch haben musste. Weder ich, noch sie hatten es jemals während unserer Zeit im Schloss zu hören bekommen. „Sind es die Rebellen? Haben sie..?" fing ich mit zittriger Stimme an, woraufhin sie sich einen Finger an die Lippen legte und mich dadurch wieder zum Schweigen brachte. Sie hatte recht. Solange wir nicht wussten, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte, sollten wir so unauffällig bleiben, wie möglich.

Minuten mussten bereits vergangen sein, seit dieses Geräusch wieder verstummt war und die nun bedrückende Stille uns erneut umgab. Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Eine Ewigkeit, die darüber entscheiden würde, ob wir überleben würden oder nicht. Der Gedanke, dass dieses Geräusch ein Siegeszeichen der Rebellen sein konnte, welche damit zum Ausdruck bringen wollten, dass der König gefallen war, ließ Übelkeit in mir aufsteigen.

Ein plötzliches, eindringliches Klopfen an der Tür des Schutzraumes, ließ nicht nur mich vor Schreck zusammenzucken. Amalia hatte sich in den letzten Minuten wieder zu Keylam begeben und sich an dessen Fußende niedergelassen. Wir tauschten einen von Angst geprägten Blick, ehe sie sich von der Stelle des Bettes erhob. „Warte." Flüsterte ich leise in die Stille hinein, was sie augenblicklich anhalten ließ. Kiyan würde sich auf eine andere Weise erkennbar machen, sollte er es sein, der dort vor der Tür darum bat, dass diese geöffnet wurde.

Das Klopfen erklang erneut, diesmal kräftiger und ich spürte regelrecht jedes einzelne Klopfen in Form eines Bebens bis in meine Knochen. Nun erhob auch ich mich von dem Platz auf dem Bett und bewegte mich langsam in Richtung der verschlossenen Tür. Ohne großen Kraftaufwand, wäre diese nur von innen zu öffnen und auf den ersten Blick schien es nicht so, als würde, wer auch immer dort draußen war, mithilfe von Gewalt versuchen hinein kommen zu wollen. Die Tür war etwas dicker, als die anderen Türen im Schloss, weshalb ich erst beim Näherkommen die Worte hören konnte, welche die Stimme dahinter von sich gab. Eine Stimme, die ich nicht kannte.

„Ihre Majestät hat mich beauftragt Ihnen mitzuteilen, dass es innerhalb der Mauern wieder sicher ist. Sie können den Schutzraum nun verlassen." Kiyan hatte diesen Mann dazu beauftragt uns dies mitzuteilen? Warum war er nicht persönlich zurückgekehrt? Diese Überlegung trieb die Skepsis in mir nur noch weiter an. Bevor ich Amalia davon abhalten konnte, hatte sie sich an mir vorbeibewegt und den Riegel der Tür mit einem schnellen Handgriff zurückgeschoben. Nur eine Sekunde später öffnete sie die Tür und ich schloss automatisch die Augen, mit der Vorahnung, dass es sich bei diesem Mann um einen Rebellen handeln musste, was somit unser Ende bedeuten würde.

„Der König besteht darauf, dass ich Sie zu Ihren Gemächern zurückführe. Die wenigen restlichen Rebellen sind geflohen, sie brauchen sich nicht mehr zu fürchten." Irritiert öffnete ich wieder die Augen, als die Stimme des Mannes nun klarer zu hören war, jedoch genau das Gegenteil von dem tat, was ich erwartet hatte. Der Wachmann, der vor der nun geöffneten Tür zum Vorschein kam, deutete uns mit einer Handbewegung den Weg hinaus an. Obwohl sein Blick freundlich wirkte, waren auch an ihm die vergangenen Stunden nicht unbemerkt vorübergegangen.

Seine Kleidung war an vereinzelten Stellen eingerissen und Blut klebte in Flecken auf dieser. Es erschütterte mich, sein aufmunterndes Lächeln aufgrund seines Zustandes zu sehen. „Warum ist er nicht persönlich erschienen, um uns dies mitzuteilen? Und dieses Geräusch, was hatte dies zu bedeuten?" Zögernd verließ ich hinter Amalia den Schutzraum, ehe der Wachmann an uns vorbeitrat, um sich Keylam anzunehmen, der noch immer bewegungslos auf dem Bett lag. Sobald der Wachmann mit ihm auf dem Arm zurück in den Gang hinaustrat, setzte er zu einer Antwort auf meine Fragen an.

„Der Bruder des Königs ist aus dem Westen zurückgekehrt. Aus diesem Grund haben die restlichen Rebellen die Flucht angetreten." „Phileas ist zurück?" fragte ich, wohl eher an mich selbst gewandt. Sie waren nicht so lange fort gewesen, wie ich erwartet hatte. „Der König hat sich seinem Bruder angenommen und mich darum gebeten, euch in eure Gemächer zurück zu führen." Phileas war zurück. Ein anderer Gedanke fand in diesem Augenblick keinen Platz in meinem Kopf. Denn wenn Phileas zurück war, konnte auch Jurian nicht mehr weit sein.

„Camilla, warte!" rief Amalia mir noch zu, doch meine Beine waren schneller. Im Nachhinein bereute ich es, mich dem Befehl des Wachmannes widersetzt zu haben und ihm nicht zurück zu unseren Gemächern zu folgen. Mein Verstand hatte sich jedoch verabschiedet und ich rannte durch die Gänge, mit dem Ziel der Eingangshalle, gedanklich direkt vor Augen. Ich hörte nicht darauf, was Amalia mir zurief. Es spielte keine Rolle, es bestand keine Gefahr mehr darin, mich frei in diesen Gängen zu bewegen.

Nur wenige Augenblicke später, erreichte ich mein Ziel, blieb jedoch wie erstarrt stehen, als ich sah, was dort vor sich ging. Gerade als ich die Eingangshalle betreten hatte, erhob Kiyan sich von einer Stelle am Boden, an der eine Person auf einer Trage lag, bedeckt von einem in Fetzen gerissenen, schwarzen Umhang. Direkt daneben lag eine weitere Trage, auch auf dieser befand sich eine Person. Von meiner Position aus, konnte ich jedoch nicht erkennen, um wen es sich dabei handelte. Das musste ich auch gar nicht. „Camilla,.." Kiyan hatte meine Anwesenheit bemerkt und sich mir zugewandt. Seine Stimme war kratzig und nur hörbar, aufgrund der bedrückenden Stille um uns herum. Tränen lagen in seinen Augen und ich verstand sofort, was geschehen war.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt