Totenstille

284 17 0
                                    

Auf der Suche nach Jurian, musste ich bereits das halbe Schloss durchquert haben, hatte ihn jedoch nirgends finden können. Suchend wanderte ich daher weiter durch die Gänge. Aufmerksam lauschte ich den leisen Geräuschen um mich herum, in der Hoffnung, seine Stimme hören zu können. Doch auch dies geschah nicht. Lediglich meine Schritte hallten stumpf auf dem steinernen Boden wider. „Bist du auf der Suche nach jemandem?" Ich blieb schlagartig stehen, da ich sonst in die Person hineingelaufen wäre, welche in genau diesem Moment aus einem angrenzenden Gang herausgetreten war. Mit einem Stapel gefalteter Wäsche auf den Armen, betrachtete Calliope mich argwöhnisch. 

„Jurian." Gab ich tonlos zur Antwort, da ich kein großes Interesse daran hatte, ein Gespräch mit ihr zu führen. Sie schien meine Ansicht zu teilen. „Vor einigen Minuten war er noch auf dem Weg zum Stall. Er schien ziemlich aufgebracht zu sein." Ihr Blick lag schwer auf mir, als wolle sie mich allein dadurch in die Knie zwingen. Ohne ein weiteres Kommentar wollte ich an ihr vorbeitreten, um meinen Weg fortzusetzen, sie dachte jedoch nicht daran, mir genügend Platz zu machen, wodurch ich gezwungen war, auf der Stelle stehen zu bleiben.

„Es war keine besonders schlaue Idee, Mary fortzuschicken. Dir sollte bewusst sein, dass der Untergang dieser Familie allein auf deinen Schultern lastet." Ich erinnerte mich daran, einmal tief durchzuatmen, bevor ich zu sprechen begann. „Es was Kiyans Entscheidung, nicht meine." Versuchte ich der neuen Zofe zu erklären, was ihr allerdings nur ein trockenes Lachen entlockte. „Bist du dir sicher? Mir scheint, als hätte deine Anwesenheit einen großen Einfluss auf Kiyans Entscheidung gehabt. Es wäre doch wirklich bedauerlich, wenn er die Menschen verlieren würde, die ihm am meisten bedeuten. Was wäre er nur für ein König, wenn er nicht einmal diese Menschen beschützen kann?"

Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, trat Calliope schließlich zu Seite und machte mir somit den Weg zum Weitergehen frei. Ich verstand nicht, worauf sie damit hinauswollte. Doch allein das Wissen, dass sie und Mary unter einer Decke gesteckt hatten, bereitete mir Sorgen. Calliopes Worte konnten daher alles Mögliche bedeuten und noch größere Auswirkungen mit sich ziehen, als ich ahnen konnte. Ich wollte mich nicht weiter mit ihr über Kiyan unterhalten. Sie hielt ihn für eine gänzlich andere Person, als er tatsächlich war. Auch ohne ihre Worte, schwirrten Marys Vorwürfe noch immer in meinen Gedanken herum und ich war froh, diese nun endlich mit Kiyans Hilfe langsam verstummen zu lassen.

Aus diesem Grund trat ich ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei und ließ sie allein in diesem Gang zurück, während ich meinen Weg fortsetzte. In die Richtung des Schlossteiles, der dem Stall am nächsten lag. Es war unwahrscheinlich, dass Jurian noch immer hier war. Für ihn gab es keinen Grund, in den Ställen nach dem Rechten zu sehen. Dies zählte nun nicht mehr zu seinen Aufgaben. Ich blieb schließlich vor den Gemächern der Bediensteten stehen, die in diesem Schloss zugange waren. Das Zimmer von Jurian hatte ich seither noch nie betreten. Die erste Zeit hatte er ohnehin in einer Zelle des Kerkers verbringen müssen, ehe ich ihm dorthin gefolgt war.

Glücklicherweise war es nicht notwendig, jedes einzelne Zimmer nach ihm zu durchsuchen, da er in genau diesem Augenblick aus einem der Zimmer trat und die Tür wieder hinter sich schloss. „Jurian?" Bei dem Klang meiner Stimme schien er kaum merklich zusammenzuzucken. Er hatte mich nicht sofort entdeckt, drehte sich daraufhin jedoch in meine Richtung, während sein Blick mich skeptisch musterte. Er blieb auf seiner Position stehen und näherte sich mir nicht. Beinahe so, als erwartete er, dass Kiyan erneut um die Ecke treten würde.

„Ich denke, ich bin dir eine Erklärung schuldig. Kiyan hat lediglich versucht, mir ein wenig Freiraum zu ermöglichen." Jurian hob fragend eine Augenbraue, als ich mich schließlich in Bewegung setzte und die letzten Meter Distanz zwischen uns verringerte. „Da bin ich anderer Meinung." Antwortete er und verschränkte daraufhin seine Arme vor der Brust. Ein Nicken in die Richtung des oberen Stockwerks sollte mir andeuten, worüber er sprach. „Ich war damit einverstanden, dich freizugeben. Allerdings nicht damit, andauernd von ihm fortgeschickt zu werden, sobald ich auch nur in deine Nähe trete."

Die ZofeWhere stories live. Discover now