Zur falschen Zeit

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Ob ich an diesem Tag ein wenig zu weit gegangen war? Ich wusste es nicht. Eines hatte mir der König auf jeden Fall deutlich zu verstehen gegeben. Wir bedeuteten im nichts. Nicht einmal ein kleines bisschen. Wir waren lediglich Personal, das je nach Belieben ausgetauscht werden konnte. So wie es bei Amalia der Fall gewesen war. Aufgrund eines Vorfalls, den sie nicht einmal selbst verschuldet hatte. Ich traute dem König nicht über dem Weg, denn auch ich würde von solchen Untaten nicht verschont bleiben, besonders nachdem ich mich im Speisesaal gegen ihn gewandt hatte. Seitdem vermied ich es, mich in seiner Nähe aufzuhalten.

Mein Arbeitsbereich hatte sich ausgeweitet. Nachdem Amalia das Schloss verlassen musste, hatte ich nun die Aufgabe übernommen, der Königin ihren Tee zu bringen. Obwohl ich insgeheim nicht einmal sicher war, ob ihr dieser bei ihrer Genesung half. Auch ohne dauerhaft in ihrer Nähe zu sein, war ersichtlich, dass es ihr jeden Tag schlechter ging. Glücklicherweise hatte sie auch ihre guten Tage. Es freute mich, sie in diesen Zeiten sogar ein wenig lächeln zu sehen.

Durch die hinzukommende Arbeit blieb mir jedoch kaum freie Zeit, um nach meinem eigenen Belieben etwas zu tun. Mit Freude würde ich Stunden im Garten verbringen und die weite Welt dort draußen bewundern, die sich mit den Jahreszeiten stetig veränderte. Weder hatte ich im Augenblick die Zeit dazu, noch war ich sonderlich erfreut darüber, bei solchen kleinen Ausflügen von einem der Wachmänner begleitet werden zu müssen. Phileas hatte mir damit wohl das letzte bisschen Würde genommen.

Noch am frühen Morgen begann ich, meinen Arbeiten nachzugehen. Es hatte sich herausgestellt, dass ich nicht alles erledigen konnte, wenn ich zu spät damit anfing. Demnach musste ich gezwungenermaßen auf ein wenig Schlaf verzichten. Die Dunkelheit herrschte außerhalb des Schlosses und auch in den Gängen war es um diese Zeit noch beruhigend still. Die Königsfamilie schlief und das Personal in der Küche war noch nicht zu ihrer Arbeit angetreten, weshalb die einzigen Geräusch durch die halbhohen Absätze meiner Schuhe verursacht wurden, während ich quer durch die Eingangshalle lief und mich voll und ganz dem Entstauben der vielen Bilder und Vasen widmete.

Obwohl ich in dieser Zeit arbeitete und ich deutlich mit der nun stärkeren Müdigkeit zu kämpfen hatte, waren mir diese frühen Stunden am liebsten. Es erinnerte mich ein wenig an früher, wenn ich zur frühen Stunde aus dem Fenster gesehen, das langsame Erwachen der Vögel und das Aufgehen der Sonne beobachtet hatte. Es waren friedliche Momente. An diesem Morgen wurde diese friedliche Ruhe allerdings durch ein dumpfes Poltern gestört, welches augenblicklich meine Aufmerksamkeit zum oberen Stockwerk lenkte. Geräusche von dort oben, waren um diese Zeit eher ungewöhnlich. Ich zögerte jedoch. Wusste nicht recht, ob ich dieses Geräusch schlichtweg ignorieren sollte.

Genau dies tat ich schließlich, als das Geräusch kurz darauf verklungen war und wieder Stille einkehrte. Ich ging weiter meiner Arbeit nach, behielt jedoch im Hinterkopf, dass ich womöglich nicht die einzige Person war, die sich um diese Zeit in diesem Haus herumtrieb. Für eine Weile ließ sich die friedliche Stille wieder über dem Schloss nieder und ich vergaß regelrecht, überhaupt ein Geräusch gehört zu haben. Mein Weg führte mich die breite Treppe hinauf bis in das obere Stockwerk, der Bereich, den ich nach Amalias Rauswurf ebenfalls hatte übernehmen müssen. Auf Befehl des Königs, was sich nur auf meine Worte zurückführen ließ, die ich gegen ihn gewandt hatte.

Ich blieb vor einem Gemälde stehen, auf dem die Königsfamilie abgebildet war und ließ meinen Blick für einen Moment auf diesem verweilen. Es schien noch nicht sehr alt zu sein. Die beiden Brüder mussten lediglich ein paar Jahre jünger zu sein als jetzt und auch ihre Mutter wirkte wacher, als es im Augenblick der Fall war. Der König selbst, hatte sich kein bisschen verändert. Sein Blick war ebenso kalt geblieben wie auf diesem Gemälde.

Es fiel mir erst nicht direkt auf, doch als ich das Bild im Allgemeinen betrachtete, bemerkte ich, dass sich zwischen den Brüdern, welche auf dem Gemälde vor ihren Eltern positioniert waren, eine deutliche Lücke abzeichnete. Kiyan stand vor dem König und Phileas vor der Königin. Diese freie Stelle zwischen den Brüdern schien regelrecht darauf hindeuten zu wollen, dass die Familie in zwei Teile gespalten war. Mein nächster Gedanke war, dass es beinahe so wirkte, als wäre diese Stelle mit Absicht freigelassen worden. Fast so, als würde hier eine Person fehlen.

Die ZofeWhere stories live. Discover now