Das Blatt wendet sich

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P.o.V. Kiyan

Gänsehaut überkam mich, als Keylams Vater noch ein wenig näher an mich herantrat und die Krone in seinen Händen emporhielt. Für einen Sekundenbruchteil flog mein Blick in Camillas Richtung. Der ruhelose, verwirrte Ausdruck auf ihrem Gesicht, war nur allzu verständlich. Selbst in diesem Moment erinnerte ich mich noch an ihre Worte, die sie mir gegenüber geäußert hatte. Als sie angesprochen hatte, wie wichtig es sei, dass ich mich für mein Volk einsetzen musste. „Es ist mir nun eine große Ehre, ihnen den Titel als unseren König und somit als Herrscher über Maradon und jegliches angrenzende Gelände bis zum Ende des Horizontes, zu verleihen."

Sofort wanderte meine Aufmerksamkeit wieder zu Keylams Vater, welcher daraufhin die Krone in seinen Händen sinken ließ, um diese auf dem rechtmäßigen Platz auf meinem Kopf niederzulegen. Hierfür musste ich diesen ein wenig senken, da ich Keylams Vater um etwa einen halben Kopf überragte. Die Krone fühlte sich ungewohnt schwer auf meinem Kopf an und sie hinterließ ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend. Jahrelang hatte mich mein Vater darauf vorbereitet. Auf all die Aufgaben, die mit diesem Rang in Verbindung standen. Doch niemals hatte er auch nur ansatzweise erwähnt, wie es sich anfühlen würde, wenn diese große Verantwortung wahrhaftig auf meinen Schultern lag. Dieses seltsame Gefühl, traf mich daher vollkommen unerwartet.

Sobald sich die Krone auf meinem Kopf befand, reagierte der Saal beinahe automatisch darauf. Keylams Vater war der erste, der sich auf die Knie niederließ und mir somit seine gänzliche Untergebenheit vor Augen hielt. Die restlichen Menschen, darunter auch die Wachen, folgten seinem Beispiel nur kurz darauf. Mein Blick wanderte über die Anwesenden, bis er, wie bereits so oft in den vergangenen Minuten, an Camilla hängen blieb. Ich schluckte schwer, als auch sie sich schließlich niederkniete und dabei den Blick zu Boden gerichtet hielt. Nun waren wir, was die Höhe unserer Ränge betraf, noch weiter voneinander entfernt, als zuvor.

Jetzt verstand ich auch, was dieses unangenehme Gefühl in meinem Magen mir hatte mitteilen wollen. Es fühlte sich falsch an. Die Entscheidung die ich getroffen hatte, war nicht richtig gewesen. „Sie trägt meine Kette!" schallte plötzlich eine aufgebrachte Stimme durch den Saal und zerriss somit die ehrfürchtige Stille, die sich auf uns niedergelegt hatte. Mein Blick flog zu Mary, als sie sich in Bewegung setzte und mit schnellen Schritten geradewegs auf Camilla zulief. Diese erhob sich langsam und schien nicht zu verstehen, was Mary damit meinen konnte.

Erst wollte ich die aufgebrachte junge Frau am Weitergehen hindern, doch sie war schneller. Nach nur wenigen Schritten, kam sie schließlich bei Camilla an und riss ihr ohne zu zögern die Kette vom Hals, welche sie bis zu diesem Augenblick noch getragen hatte. „Sie muss sie mir gestohlen haben, Kiyan." Ein Raunen ging durch die Menschenmasse und mir wurde bewusst, dass diesbezüglich eine Handlung von mir erwartet wurde. Mary musterte das Schmuckstück in ihren Händen, während Camilla ihre Hand an die Stelle ihres Halses legte, wo die Kette zuvor gelegen hatte. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach Bände. Angst, Verwirrung und Wut wechselten so schnell, dass nicht klar zu erkennen war, was sie zu denken schien.

„Diese Kette ist ein Geschenk meines Vaters gewesen. Camilla ist eine Diebin!" Liebend gerne hätte ich ihr die Kette aus den Händen gerissen und sie in den See außerhalb des Schlosses geworfen. Es spielte absolut keine Rolle, wem diese Kette gehört hatte. Lediglich die Tatsache, dass sie mit dieser Beschuldigung nicht hatte warten können, bis die Zeremonie gänzlich beendet war, reizte meine Nerven bis zum Äußersten. „Ich werde diesen Vorfall in einem privaten Rahmen mit ihr klären." Meldete ich mich schließlich zu Wort, ehe Mary wieder bei mir ankommen und mir die Kette direkt vor Augen halten konnte.

Sie war mehr als nur aufgebracht, das stand außer Frage. Doch ich war mir sicher, dass es dafür eine verständliche Erklärung geben musste. Camilla hätte diese Kette nicht ohne Marys Einwilligung mitgehen lassen. So schätzte ich sie nicht ein. „In einem privaten Rahmen? Sie hat eine Person der königlichen Familie bestohlen. Dafür sollte sie einen Platz im Kerker erwarten." Raunte sie mir regelrecht zähneknirschend zu, was mir nur noch mehr reizte. „Stände es in meiner Macht, würde ich sie nicht länger innerhalb dieser Mauern dul.."

„Es steht allerdings nicht in deiner Macht!" Korrigierte ich ihre Aussage, bevor sie ihren Satz beenden konnte." Meine Stimme war dabei lauter gewesen, als ich angenommen hatte und ich konnte sehen, wie Camillas Blick nervös zwischen mir und Mary hin und her flog. Ich wandte mich wieder Mary zu, welche ungeduldig auf Worte meinerseits hofften, die bestätigen würden, dass Camilla für solch eine Tat bestraft werden musste. Doch mit meiner Antwort, würde sie sich nicht zufriedengeben. Im Gegenteil.

Da die restlichen Anwesenden uns noch immer aufmerksam beobachteten, versuchte ich diesmal, meine Stimme ein wenig gedämpfter zu halten. Aufgrund meiner veränderten Entscheidung, übernahm ich wieder die förmliche Haltung, die ich zuvor zu ihr bewahrt hatte. „Ich werde diesen Fall alleine mit Camilla besprechen. Allerdings vertrete ich nun die Bitte, gnädige Mary Boleyn, dass Sie dieses Schloss so bald wie möglich verlassen. Ihre Anwesenheit ist hier ab sofort nicht länger erwünscht." Als hätte Mary einen Geist gesehen, trat sie ungläubig ein paar Schritte zurück. Der vorher noch selbstsichere Ausdruck auf ihrem Gesicht, wechselte zu Unsicherheit. „Du kannst mich nicht hinauswerfen, Kiyan. Ich bin eine Kö.." „Sie sind noch keine Königin, Mary und sie werden es auch niemals sein. Nicht in meinem Schloss."

Meine Worte schallten glasklar durch den Saal, sodass nun auch die restlichen Anwesenden meine Worte verstehen konnten. Erneut erklang ein Raunen und gelegentlich entstand leises Getuschel. Einen Moment lag Marys Blick noch auf mir, ehe sie ihre Augen über den Saal schweifen ließ und schließlich zu verstehen begann, dass ich meine Worte durchaus ernst gemeint hatte und sie hier verschwinden sollte. Ich wusste, dass dies Konsequenzen mit sich ziehen würde, doch niemals hätte ich erwartet, dass diese so schwerwiegend sein würden.

Mary drehte sich auf dem Absatz um und bewegte sich mit hoch erhobenen Hauptes in die Richtung der Flügeltür, durch die wir den Saal betreten hatten. Die Menschen um sie herum, machten ihr automatisch ein wenig Platz, wodurch sie auch nicht am Weitergehen gehindert werden konnte. „Ich erkläre diese Zeremonie nun vorzeitig für beendet. Bitte entschuldigen Sie die Umstände, ich werde mich jedoch direkt mit meiner ersten Amtshandlung als König beschäftigen müssen." Sprach ich aus, wodurch das Getuschel der Menschen wieder verstummte und Stille sich erneut über den Raum legte.

Erst als ich mich daraufhin von den Anwesenden abwandte, setzten sie sich zögernd in Bewegung, so als wäre es ihnen soeben nicht gestattet worden, zu gehen. Ich ließ mich auf dem Thron nieder, welchen ich ab dem heutigen Tage wohl mein Eigen nennen konnte und beobachtete die Bediensteten sowie die Wachen dabei, wie sie nach und nach den Saal verließen. Auch Calliope verschwand aus meinem Sichtfeld, worüber ich mehr als nur erleichtert war. Womöglich würde sie nun gemeinsam mit Mary über diesen Vorfall sprechen.

Bei meinen Beobachtungen war ich so sehr in Gedanken versunken, dass ich nicht wahrnahm, dass Camilla und Jurian als Letzte im Saal geblieben waren. Amalia hatte sich nach einem aufmunternden Lächeln in Camillas Richtung ebenfalls zum Gehen abgewandt. Meine Aufmerksamkeit schärfte sich nun doch wieder und fiel direkt auf die blonde junge Frau, welche Anstalten machte, in meine Richtung zu laufen. In diesem Moment griff Jurian jedoch nach ihrem Arm und hielt sie zurück.

Mein Puls war ins Unermessliche angestiegen, seit Mary ihre Stimme gegen Camilla erhoben hatte. Es fiel mir schwer, wieder zur Ruhe zu kommen, wenn ich dabei mit ansehen musste, wie schlecht es Camilla erging. Wir würden miteinander sprechen müssen, dies war mir bewusst. Ich wollte jedoch nicht, dass Jurian als ihr selbsternannter Leibwächter, sich dabei durchgehend in ihrer Nähe aufhielt. Camilla schien Fragen zu haben. Fragen, die ich ihr nur beantworten und erklären konnte, wenn ich mit ihr alleine war.

Ich vertraute Jurian nicht vollkommen. Lediglich die Tatsache, dass er für Camilla nur das Beste wollte, machte seine Anwesenheit erträglich. Womöglich mochte er mich genauso wenig, wie ich ihn. Zu verübeln war ihm dies nicht, schließlich konnte ich mich an manchen Tagen nicht einmal selbst ertragen, nach allem, was geschehen war. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now