Flüsterndes Gewässer

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Eine Berührung auf meiner Nasenspitze, riss mich aus meinem leichten Schlaf. Irritiert blickte ich mich in meiner Umgebung um, bis meine Erinnerungen an den vorigen Tag zurückkehrten und mir unsere Situation wieder vor Augen riefen. Ich hatte nicht einmal wahrgenommen, dass ich eingeschlafen war. Um uns herum war ein leises Tropfen zu hören. Eine weitere Berührung auf meinem Gesicht, welche ich nun als Regentropfen identifizieren konnte, machte mich darauf aufmerksam, dass es zu regnen begann.

„Juri?" Ich senkte meinen Blick und stellte fest, dass seine Hand noch immer meine umschloss und er tief zu schlafen schien. Ihn aus seinem scheinbar ruhigen Schlaf zu wecken, erschien mir im Augenblick nicht die beste Idee zu sein. Jedoch konnten wir nicht für den Rest unserer mickrigen Ewigkeit an diesem Ort bleiben. Wir mussten weitergehen. „Juri.." Versuchte ich es erneut, nun ein wenig lauter und konnte endlich eine Regung in seinen Gesichtszügen erkennen. Für einen kurzen Moment hatte sich bereits ein Hauch von Panik in mir breitgemacht. Was hätte ich getan, wenn Jurian nicht mehr aufgewacht wäre?

Zu meiner Erleichterung öffnete er nun blinzelnd und ebenso verwirrt wie ich zuvor, die Augen und setzte sich daraufhin vorsichtig auf. Mit einem vor Schmerzen verzogenen Gesicht, blickte er schließlich zu mir und ließ seinen Blick eine Weile über mich gleiten. „Wir können nicht hier bleiben. Es sollte nicht mehr weit bis zu dem Fluss sein, von dem Kiyan gesprochen hat, mit etwas Glück schaffen wir es noch vor der Abenddämmerung." Erklärte ich ihm und Juri gab ein leises Seufzen von sich.

„Du traust diesen Möchtegern-Prinzen noch immer?" fragte er mich murmelnd und schüttelte dann leicht den Kopf. Ich war froh, dass er wieder genug Kraft hatte, um zu sprechen. Die positiven Dinge waren nun von großer Bedeutung. „Sie haben so viel für uns geopfert, Juri. Wir stehen in ihrer Schuld." Er legte eine Hand an den Stamm des Baumes, an den ich noch immer angelehnt saß und stützte sich dort ein wenig ab, um aufzustehen. Angenehm schien dies allerdings nicht zu sein.

Auch ich erhob mich nun von meinem Platz und stellte dabei fest, dass sich der Schmerz in meinem Körper ein wenig verteilt hatte. Ein Großteil lag in meinem Oberkörper, weshalb es mir Schmerzen bereitete, als ich versuchte, mich vom Boden abzustützen. „Es spielt keine Rolle.. alles was sie zu dir gesagt haben, ist jetzt unbedeutend." Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder zu ihm und sah die Regentropfen, die vereinzelt von seinen nun nassen Haaren hinabtropften. Der Regen störte mich kaum. Im Gegenteil, er war eine willkommene Abwechslung.

„Wir können nicht mehr dorthin zurück, Cami. Welchen Weg wir nun auch einschlagen werden, die Prinzen werden niemals davon erfahren." Die Hoffnungslosigkeit in seiner Stimme, bereitete mir ein wenig Angst. In den letzten Monaten war er derjenige gewesen, der all seinen Mut und seine Hoffnung gesammelt hatte und zu mir ins Schloss gekommen war. Trotz all der Geschehnisse dort, hatte er dies nie verloren. Doch heute war sein Blick nicht mehr von dieser Hoffnung getränkt, sondern strahlte lediglich eine ungewohnte Gleichgültigkeit aus.

„Wir werden diesen Fluss finden." sagte ich entschlossen, ehe ich mich in Bewegung setzte und mit vorsichtigen Schritten, über den nun etwas rutschigen Waldboden lief. Es reichte schließlich nur eine schlecht platzierte Wurzel und ich würde zu Boden stürzen. „Cami.." hörte ich Jurian noch sagen, ehe er aus meinem Sichtfeld verschwand. An den Geräuschen seiner Schritte auf dem Boden, erkannte ich jedoch, dass er mir langsam folgte. Meine Hoffnung war darauf ausgelegt, diesen Fluss zu finden und anschließend sehen zu können, wohin unser Weg führen musste. Jurian stellte sich dagegen, daher musste ich wohl oder übel seine Einstellung hierzu ignorieren. Ich konnte nicht auf seine Gleichgültigkeit vertrauen.

Mein Kleid hing bereits nach wenigen Minuten wie ein nasser Sack an mir herunter und meine Haare fielen mir strähnig ins Gesicht. Es war nicht leicht, sich über die vielen herumliegenden Baumstämme und das lockere Geäst auf dem Waldboden hinfort zu bewegen. Wir mussten so bald wie möglich einen Unterschlupf finden. Mit nasser Kleidung die kühlen Nächte zu verbringen, würde uns womöglich noch eine Erkältung, wenn nicht sogar den Tod einbringen. Etwas, was wir im Augenblick alles andere als gut gebrauchen konnten. Jurian war ohnehin bereits geschwächt genug.

Vereinzelte Male, trat ich auf die Rinde der herumliegenden Äste, welche durch den Regen nun rutschiger waren, wodurch ich beinahe das Gleichgewicht verlor. Doch ich schaffte es zu meinem Glück jedes Mal, mich auf irgendeine Weise vor dem Fallen zu bewahren. Wenn ich gewollt hätte, könnte ich deutlich schneller durch dieses Unterholz vorankommen. Jurian würde mir jedoch nicht so schnell folgen können. Ich konnte seine Einstellung nicht nachvollziehen, würde ihn allerdings auch nicht in diesem Irrgarten, bestehend aus unzähligen Bäumen, alleine zurücklassen. Genau wie er gesagt hatte, er war noch hier. So lange dies der Fall war, würde auch ich immer an seiner Seite sein.

„Hörst du das?" Jurian's Stimme wirkte ungewöhnlich laut, im Vergleich zu dem stetigen Geräusch der herabfallenden Regentropfen, welche auf den Blättern der Bäume und dem Waldboden landeten. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm. Stumm lauschte ich den Geräuschen um uns herum und versuchte zu erahnen, was Jurian wohl gehört haben musste. Und dann, nur ganz leise aber dennoch wahrnehmbar, hörte ich es.

Das leise Plätschern von Wasser, welches ich unter den Regengeräuschen um uns herum, nicht herausgehört hatte. Obwohl der Regen nicht versiegte, nahm ich an, dass es mittlerweile mitten am Tag sein musste. Meine Füße schmerzten, von den bedachten Schritten auf diesem rutschigen Boden und meinen ständigen Versuchen, auf diesem Halt zu finden. Ich drehte meinen Kopf langsam, um herauszufinden, aus welcher Richtung dieses Plätschern kam, bis ich schließlich meine Hand hob und in eine Richtung zeigte. „Der Fluss muss dort drüben sein."

Mehr als ein kurzes Nicken, bekam ich nicht als Antwort von Jurian. Er verstand meinen Plan nicht, diesen Fluss umgehend aufsuchen zu müssen. Ich war mir sicher, dass wir auf dem richtigen Weg waren und ich spürte die Erleichterung über unseren bisherigen Fund, bis in meine Knochen. Sowie die kleinen Funken Hoffnung, die sich wieder in mir bildeten. Somit setzte ich mich wieder in Bewegung und folgte dem plätschernden Geräusch, weiter durch den Wald.

Bis wir letztendlich vor einem kleinen Flussbett anhielten und sich ein Lächeln auf meine Lippen schlich. Die ergreifenden Erlebnisse der letzten Tage waren für einen kurzen Augenblick vergessen. Vor uns lag der Fluss, von dem Kiyan gesprochen hatte und ich verspürte einen Hauch von Stolz, diesen wirklich gefunden zu haben. „Es war nicht so weit, wie ich vermutet hatte." Gestand ich, ehe ich mich von meinem aktuellen Standort ein wenig umsah. Bis ich etwas entdeckte, was mein Lächeln noch ein wenig breiter werden ließ.

„So wie es aussieht, verdankst du diesen Möchtegern-Prinzen nun ein warmes Bett." Jurian folgte meinem Blick und gab schließlich ein unverständliches Murmeln von sich, als auch er die kleine Hütte erblickte, welche sich nicht weit flussaufwärts von uns entfernt befand. „Wenn du nun auch noch verlangst, dass ich mich bei ihnen bedanke.. das kannst du vergessen." Kam es mit einem missfallenden Brummen von ihm, was mich leise Auflachen ließ. Ich wandte mich zu ihm um und konnte trotz seiner Aussage, nicht nur Erleichterung, sondern auch den Hauch eines Lächelns, auf seinem Gesicht erkennen. In seinen braunen Augen lag wieder dieser hoffnungsvolle Glanz, den ich zuvor so sehr vermisst hatte. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now