Abschied

677 34 3
                                    

Es schmerzte. Sehr. „Halt still, Liebes." Meinte meine Mutter, während sie mit nicht vorhandener Vorsicht, meine Haare massakrierte. Es war noch früh am Morgen und sie hatte kurz zuvor beschlossen, meine Haare ein wenig aufzuhübschen. Am heutigen Tag würde ich wieder mit ihr zum Markt fahren und hoffentlich diesen Männern begegnen, um mit ihnen gehen zu können. Zumindest war dies ihre Erwartung von diesem Tag. Ich sah dies jedoch ein wenig anders. Noch immer hatte ich keine endgültige Entscheidung gefällt und würde wohl erst im Laufe des Tages herausfinden, welche Wahl ich bevorzugen würde.

Minutenlang saß ich auf diesem klapprigen Holzstuhl in unserem Wohnbereich, während ich diese, meiner Ansicht nach, übertriebene Prozedur über mich ergehen ließ. Mutter war der Ansicht, dass dieser Tag einem Abschied sowie einem Neuanfang glich und ich aus diesem Grund auch nicht mit meiner alltäglichen Kleidung, auf dem Markt erscheinen sollte. Deshalb trug ich eine ihrer besonderen Blusen, welche sie absichtlich für besondere Momente in ihrem Schrank aufbewahrt hatte und dazu einen ihrer ordentlichsten Röcke, der ihr mittlerweile zu klein geworden war, mir hingegen perfekt passte. In diesem Augenblick kam ich mir vor wie eine dieser Püppchen, die ich als Kind bei Puppenspielern auf dem Markt gesehen hatte.

Völlig bewegungslos saß ich dort. Versuchte esjedenfalls. Dennoch spürte ich das fast schon regelmäßige Ziehen in meinen Haaren. Von meiner anfänglichen Beschwerde darüber, hatte meine Mutter sich jedoch nicht aufhalten lassen. Ich hatte Glück. Das Ziehen hörte nach einer Weile auf, weshalb ich annahm, dass sie die Gegend meiner Kopfhaut verließ und bald zum Ende kommen würde. „Das war doch gar nicht so schlimm." sprach sie aus, als sie endete und hinter meinem Rücken hervorkam. Sie trug ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Die Freude darüber, dass ich nicht darauf bestand, im Dorf zu bleiben um nicht mit ihr zum Markt fahren zu müssen, war ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben.

„Das wird ein wundervoller Tag. Die Sonne scheint und meine Tochter gleicht einem Engel. Was könnte da noch schief gehen?" Sie betrachtete mich noch einen Moment, ehe sie sich von mir abwandte und unser kleines Haus verließ. Womöglich um den Wagen für unseren Weg vorzubereiten. Erst als sie aus meinem Blickfeld verschwand, erhob ich mich von dem Stuhl und strich den Rock ein wenig glatt. Für mich war dies nur ein ganz normaler Tag, an dem ich meine Mutter zum Markt begleiten würde. Für alle Umstehenden würde ich aussehen, als wäre ich von irgendeinem Fest geflohen. Denn solch einen Aufwand nahmen wir meist nur an besonderen Tagen wie Hochzeiten oder Dorffesten in Kauf.

„Camilla? Wo bleibst du denn?" Meine Gedanken hatten wohl wieder ein wenig die Oberhand gewonnen, weshalb ich aus dieser regelrechten Trance erwachte und nach dem Korb griff, der direkt neben dem Stuhl stand. Ich hatte es nicht als notwendig angesehen, irgendwelche Dinge mitzunehmen. Wenn diese Männer wirklich zu den Adeligen zählten, würde jedes meiner Mitbringsel überflüssig sein. Mutter hatte allerdings darauf bestanden. Also warf ich mir meinen Mantel über und trottete mit den Winterstiefeln an meinen Füßen und dem Korb in einer Hand, hinaus ins Freie, wo ich meiner Mutter begegnete, die bereits ungeduldig am Wagen zu warten schien. Alles wirkte wie immer. Als würden wir, wie an all den anderen Tagen zuvor, zum Markt fahren, um ein wenig Geld nach Hause bringen zu können.

„Beeil dich, Kind. Wir wollen doch nicht zu spät dort ankommen und diese freundlichen Herren verpassen." Phileas. Der Name schoss mir dabei direkt in den Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Mutter diese Männer nie mit ihren Namen erwähnt hatte. Sie schien sie nicht einmal zu kennen. Den Gedanken, zu spät zu kommen und dabei diese Chance verstreichen zu lassen, fand ich in diesem Augenblick gar nicht so schlimm. Jedoch war ich mir sicher, dass Phileas und sein Bruder an einem anderen Tag wiederkommen würden und ich wohl oder übel irgendwann eine Entscheidung würde treffen müssen. „Du wirst mich doch hoffentlich nicht vergessen!" Augenblicklich drehte ich mich in die Richtung, aus der diese Stimme kam und konnte Jurian entdecken, der geradewegs auf mich zusteuerte.

Die ZofeWhere stories live. Discover now