Zu Grunde

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Meine Gedanken flogen so sanft umher, wie es die dunklen Wolken am Himmel taten. So ruhig und friedlich, dass ich mich von diesem Anblick gar nicht wieder losreißen konnte. Nach dem Kuss mit Kiyan, hatte ich mich mit der Ausrede, Amalia zur Hand gehen zu wollen, in das Schloss zurückgezogen. Anders als erwähnt, hatte ich mich jedoch nicht auf die Suche nach der ehemaligen Zofe gemacht, sondern war still und heimlich in meinem Schlafgemach verschwunden.

Es musste bereits eine Stunde vergangen sein, seit ich den Raum betreten und mich zu dem Fenster begeben hatte, von dort ich einen guten Ausblick auf den Garten hatte. Kiyan konnte ich nicht sehen, der See lag außerhalb meiner Sichtweite, doch ich bezweifelte ohnehin, dass er noch länger dort draußen geblieben war. Womöglich befand er sich wieder vor seinem Schreibtisch und ging seiner Arbeit als König nach. Ich war leichtsinnig gewesen. So naiv. Was wir getan hatten, war falsch gewesen. Wir waren zu weit gegangen.

Die dunklen Gedanken, denen ich in manchen Tagen mehr und an anderen Tagen weniger nachhing, lasteten nun schwer auf mir. Obwohl Kiyan mich für einen kurzen Augenblick hatte davon überzeugen können, dass die Entfernung unserer Ränge im Schloss niemals zwischen uns stehen würde, kehrten diese Sorgen nun zurück und sie beschäftigten mich mehr als zuvor. Ich mochte ihn, für die Person, die er war. Für das, was er ausstrahlte und die Art, wie er mit mir umging. Zugegeben, mochte ich ihn mehr, als ich bisher angenommen hatte. Unser Kuss hatte mir verdeutlicht, wie ich in meinem Inneren wirklich über ihn dachte.

Trotz allem, drängte sich wieder und wieder der Gedanke hindurch, dass Kiyan nun der amtierende König war. Er selbst hatte mir mehrfach deutlich zu machen versucht, wie viel er für mich empfand. Ich würde ihm all dies ebenso gerne entgegen bringen. Mich meinen Gefühlen für ihn hingeben und endlich zulassen, dass er mir wahrhaftig etwas bedeuten konnte. Doch jedes Mal wenn ich darüber nachdachte, diese Gefühle zuzulassen, kehrte der Gedanke daran zurück, dass, wenn ich weiterhin in solch einer Weise mit ihm verbunden sein würde, es unausweichlich war, Königin zu werden.

Für viele, besonders für Mary Boleyn, mochte dieser Gedanke wie eine harmonische Symphonie in den Ohren klingen. Für mich war dies jedoch eine Tatsache, die mich schließlich dazu gebracht hatte, mich von Kiyan zu entfernen, sobald unser Kuss geendet hatte. Ich wollte und konnte keine Königin werden. Es stand mir nicht zu und ich war ohnehin nicht einmal in der Lage, meine eigene Familie zusammenzuhalten. Wie sollte es mir somit möglich sein, an Kiyans Seite ein gesamtes Land zu regieren?

Bei diesem Gedanken lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich dachte eindeutig zu viel darüber nach. Ab dem heutige Tag würde ich vorsichtig sein, in wie weit ich die Nähe zu Kiyan zuließ. Er schien mich zu brauchen, daher wollte ich ihn nur ungerne vor den Kopf stoßen. Doch das, was er sich wirklich wünschte, würde ich ihm wohl niemals geben können. Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken und ich drehte mich automatisch in dessen Richtung, zögerte jedoch mit einer Antwort darauf.

Sollte es Kiyan sein, wäre es wohl vorerst das Beste, wenn wir uns das Geschehene einmal in Ruhe durch den Kopf gehen ließen. Womöglich dachte er ebenso wie ich darüber, dass ich nicht dafür geeignet war, Königin zu werden. Ich würde ihm die Zeit geben, um sich darüber im Klaren zu werden, welche Konsequenzen das haben würde. Trotz meiner ausbleibenden Rückmeldung, wurde die Tür geöffnet und eine junge Frau mit braunen Haaren betrat den Raum.

Erleichterung überkam mich, sobald Amalia hinter der Tür hervorkam und auf ihre Lippen trat ein amüsiertes Lächeln. „Du wirst mir sicherlich nicht glauben, was ich soeben gesehen habe." Fragend beobachtete ich, wie sie die Tür wieder hinter sich schloss und sich schließlich zu mir begab. Sie trug die typische Kleidung der Zofen, was mich darauf schließen ließ, dass sie ab sofort wieder vollständig in deren Aufgaben integriert wurde. Doch was mit mir geschah, stand noch immer in den Sternen.

Die ZofeWhere stories live. Discover now