Unendliche Tiefe

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Dunkelheit umgab mich. Solch eine Dunkelheit, dass ich nicht einmal meine eigene Hand vor Augen sehen konnte. Der Boden unter meinen nackten Füßen fühlte sich seltsam weich an. Ein zögernder Schritt in die Dunkelheit hinein, ließ ein Rascheln ertönen, welches mir verriet, dass ich auf Blättern lief. Genau solch ein Rascheln ertönte nun hinter mir und ich drehte mich ruckartig um, konnte in der Dunkelheit jedoch nichts erkennen. Nicht einmal einen Anschein von dem, was dieses Geräusch verursacht haben musste.

„Camilla." Ein zartes Flüstern ertönte hinter mir, beinahe direkt neben meinem Ohr. Mein Name, ausgesprochen mit der Stimme eines Fremden. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, ehe ich mich nach dieser Stimme umdrehte. Nichts. Nur noch immer diese Dunkelheit, in der ich rein gar nichts erkennen konnte. Mich beschlich ein Gefühl der Unruhe. Die Vorahnung, dass hier etwas nicht stimmen konnte. „Juri?" Meine Stimme klang unerwartet laut, obwohl ich mich bemüht hatte, zu flüstern. Der Ruf nach meinem Leibwächter wurde förmlich von der Dunkelheit verschluckt.

„Tot." War diese fremde Stimme erneut zu hören, deutlich lauter als zuvor und ich taumelte erschrocken ein Stück zurück. Beinahe wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert. Jurian war nicht tot. Warum sagte diese Stimme dies? Ich musste in einem Wald sein, anders konnte ich mir die Blätter zu meinen Füßen nicht erklären. Wie war ich überhaupt hierhergekommen? Langsam wurde mir bewusst, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wo ich war. „Camilla." Wieder eine Stimme, so leise an meinem Ohr, wie beim ersten Mal.

Doch diesmal war mir diese Stimme nicht fremd. Im Gegenteil. Sie gehörte zu Kiyan. Ganz sanft erklang seine Stimme an meinem Ohr und ließ für einen winzigen Moment die Hoffnung entstehen, dass er wusste, was hier vor sich ging und mir helfen würde. Gerade als ich diesen hoffnungsvollen Gedanken hegte, durchriss ein schmerzverzerrtes Schreien die Stille um mich herum und ich zuckte schlagartig zusammen. Es war nicht klar zu deuten, woher das es kam. Zeitgleich war es überall und nirgendwo.

Ich drehte mich im Kreis, versuchte zu erkennen, woher die Stimme kam oder etwas in der Dunkelheit zu erkennen, was einen Aufschluss darauf gab. Doch plötzlich verstummte das Schreien wieder und die Stille legte sich schwer über mich und meine Umgebung. Ein auftretendes Rascheln direkt hinter mir, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, denn es schien unaufhörlich näher zu kommen. „Ich werde dich finden!" schallte aus der selben Richtung zu mir hinüber. „Eine Verräterin." Fügte die leise Stimme hinzu.

Wie erstarrt, wagte ich es nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ich hatte mich geirrt. Die erste Stimme, die ich vernommen hatte, welche nun erneut zu mir hinüber geschallt war, gehörte dem Mann aus dem Wald. Dem Mann, der nach Jurian, Amalia und mir gesucht hatte. „Lauf." Es war Kiyans leise Stimme an meinem Ohr, die mich aus meiner Starre löste, woraufhin ich mich augenblicklich in Bewegung setzte. Obwohl ich nicht sehen konnte, wohin ich lief oder wovor ich wirklich davonlief, rannte ich los und versuchte mir einen Weg durch diese unentwegte Dunkelheit zu bahnen.

Womöglich müsste ich schon gegen einige Bäume gelaufen sein, würde ich mich wahrhaftig in einem Wald befinden. Dieser Gedanke kam mir jedoch nicht, da die Angst mich bereits vollkommen im Griff hatte. Nach dieser Zeit im Wald, war mir dieser Mann nur unangenehm im Gedächtnis geblieben. Dass er nun wieder nach mir suchte und in meiner unmittelbaren Nähe war, versetzte mich erneut in Todesangst. Ich konnte nur hoffen, dass er mich nicht finden würde. Doch dafür musste ich rennen. Rennen, so lange und so weit ich nur konnte.

Plötzlich verloren meine Füße den Halt auf dem blättrigen Boden und ich trat ins Leere. Mein Herz blieb regelrecht stehen, als die Schwerkraft mich mit sich riss und ich einen Abhang hinunter zu fallen schien. Unsanft landete ich, mit meinen Händen schützend voraus, wieder auf dem Boden und rollte ein paar weitere Meter diesen Abhang hinab. Mit Mühe versuchte ich mich aufzusetzen, sobald ich unten zum Liegen kam. Ein stechender Schmerz in meiner Magengegend, hinderte mich jedoch daran und ließ mich vollkommen kraftlos wieder zu Boden fallen. Dieser Schmerz kam mir durchaus bekannt vor.

„War es Kiyan? Oder Phileas?" Diesmal war es Jurians Stimme, die aus der Dunkelheit zu mir sprach. Ich konnte mich daran erinnern, dass er diese Worte bereits einmal zu mir gesagt haben musste. „Tot." Schallte die dunkle Stimme des Mannes plötzlich wieder zu mir hinüber und ließ mich erneut zusammenschrecken. Hier konnte ich nicht bleiben. Er würde mich finden. Auch ein weiterer Versuch, mit gesammelter Kraft aufzustehen und weiter zu rennen, scheiterte vergebens. Sobald ich mich auch nur ansatzweise von der Stelle bewegte, kehrte der Schmerz in meiner Brauchgegend zurück und ließ mich zurückfallen.

Derweil kamen die Geräusche der sich bewegenden Blätter unmittelbar in meiner Umgebung, unaufhaltsam näher. Doch noch immer konnte ich nichts erkennen. Beinahe so, als wäre ich wahrlich blind. Kein einziger Lichtstrahl oder ein Schatten war zu sehen. Seit meinem Sturz den Abhang hinab, hatte ich jegliches Gefühl des räumlichen Denkens verloren. Die Todesangst, welche in unaufhaltsamen Strömen durch meine Adern raste, ließ mich nach Atem ringen. Ich würde es nicht schaffen. Ich würde diesem Mann nicht entfliehen können.

Diese Tatsache ließ mich schließlich in Tränen ausbrechen, während ich noch einen letzten, verzweifelten Versuch wagte, aufzustehen. Bevor der Schmerz mich jedoch erneut daran hindern konnte, spürte ich, wie etwas meine Knöchel umgriff und in dessen Richtung zog. Sofort war mir klar, dass es dieser Mann sein musste. Ich versuchte, mich aus diesem Griff zu lösen, doch er zog mich unaufhaltsam über den Waldboden durch die Dunkelheit. „Lass mich los! Bitte!" Flehte ich, als letzten Wunsch, dass er mich daraufhin vielleicht gehen lassen würde.

Kurzzeitig fasste ich Hoffnung, als sich der Griff um meine Knöchel löste und ich mich wieder frei bewegen konnte. Bevor ich jedoch den erneuten Versuch wagen konnte, zu fliehen, legte sich etwas Schweres auf meinen Oberkörper und nahm mir für einen Augenblick die Luft zum Atmen. Ich wollte etwas sagen. Fragen, was er von mir wollte, obwohl ich mir seine Antwort bereits denken konnte. Ehe ich auch nur eine Möglichkeit dazu bekommen konnte, legte sich eine Hand um meine Kehle und drückte mir schlagartig die Luft weg.

Meine Hände versuchten augenblicklich nach dieser Hand zu greifen, allerdings griffen sie ins Leere. Dort war nichts. Keine Hand lag an meiner Kehle, dennoch war dieses erdrückende Gefühl vorhanden. Somit hatte ich auch keine Möglichkeit, diesem Ersticken zu entkommen. Es gab keine Hand, die ich von meinem Hals entfernen konnte. Tränen verließen meine Augenwinkel, als sich mein Weiteratmen immer mehr erschwerte. Langsam wurde mir bewusst, dass dies wohl mein Ende sein musste. Ohne großes Aufsehen, würde ich in diesem Wald zu Grunde gehen. Jurian würde dies niemals erfahren und selbst wenn er es tat, würde er Kiyan und Phileas die Schuld an meinem Tod geben.

Trotz der blanken Dunkelheit vor meinen Augen, konnte ich förmlich spüren, wie die Sicht vor meinen Augen verschwamm und mein Puls erst bedeutend schneller, dann jedoch wieder deutlich langsamer wurde. Bis mich die tiefe Dunkelheit aus meinem Inneren, in die Tiefe zu ziehen begann. Es war nur eine letzte Sekunde, die mir blieb. Ein kurzer Augenblick, in dem ich an das dachte, was ich verlieren würde. An das, was auch Jurian verlieren würde, sobald ich aus seinem Leben verschwand. Daran, dass ich Kiyan und Phileas zurücklassen musste. Bis ich schließlich den verzweifelten Versuch eines letzten Atemzuges wagte, ehe ich in die unendliche Tiefe der Dunkelheit gerissen wurde. 

Die ZofeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora