In die Freiheit

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Es war ein mir nur allzu bekanntes Geräusch, welches mich schließlich, nach nur wenigen Stunden Schlaf, wieder aus meinen nicht vorhandenen Träumen riss. Ein Geräusch, welchem ich erst am Abend zuvor, genug meiner Aufmerksamkeit geschenkt hatte, um es nun überall wieder zu erkennen. Durch den Schlaf hatte sich mein Körper wieder ein wenig beruhigt und die anhaltende Todesangst, sowie die damit verbundene Anspannung, hatten nachgelassen. Doch bei diesem plötzlich zu hörenden Geräusch, begann mein Herz automatisch wieder schneller zu schlagen.

Ich ließ meinen Blick durch das Innere der Hütte wandern und sah Jurian, der sich noch immer am Fußende des Bettes befand, doch allerdings zur Seite gekippt war und ebenso wie ich zuvor, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, zu schlafen schien. Mein Blick wanderte weiter, bis ich Amalia auf dem Boden der Hütte entdeckte. Sie hatte sich dort mit einer Decke einen eigenen kleinen Schlafplatz hergerichtet. Auch sie schlief tief und fest, Keiner von ihnen schien dieses Geräusch, welches von außerhalb der Hütte zu hören war, wahrzunehmen.

Dieses unentwegte Geräusch von Schritten, auf dem mit Blättern bedeckten Waldboden. Gelegentlich konnte ich einen kleinen Zweig unter den Schritten knacken hören und ich zuckte bei jedem einzelnen von ihnen ein wenig zusammen. Die Angst riss mich beinahe wieder in ihren Bann. Doch die Tatsache, dass ich wohl die einzige war, die etwas davon mitbekam, ließ meinen Verstand noch einen Augenblick länger arbeiten, bevor er sich der Angst hingeben würde. Vorsichtig, um Jurian nicht grundlos aus dem Schlaf zu reißen, sollte mich meine Wahrnehmung täuschen, kletterte ich aus dem Bett und tappte mit leisen, bedachten Schritten durch den Raum.

An Amalia vorbei, die im Schlaf ebenso entspannt aussah, wie Jurian es tat. Ich durfte mich von meinen Gedanken nicht verrückt machen lassen. Es ging ihnen gut und wenn sie dieses Geräusch nicht hören konnten, musste mein Verstand wohl dazu übergegangen sein, sich Dinge einzubilden, die nicht existierten. Vollkommen naiv war ich allerdings nicht. Die Müdigkeit nach dem plötzlichen Erwachen, war bereits in wenigen Sekunden verflogen. Mein Puls raste und ich blickte in Richtung Tür, wo noch immer dieses Geräusch von umherwandernden Schritten zu hören war.

Mein Blick fiel auf ein etwas länglicheres Holzstück, welches Amalia am kommenden Tag zum Anheizen des Herdes verwenden würde. Ich entschied mich, diesen nun zu einem anderen Zweck zu verwenden. Das Stück Holz fühlte sich schwer in meiner Hand an. Würde nicht diese Unmenge an Adrenalin, gemischt mit ansteigender Angst durch meine Adern fließen, wäre ich nicht einmal auf die Idee gekommen, mich dieser Tür zu nähern. Die Geräusche dahinter wurden lauter und ich konnte regelrecht das leise Atmen des Mannes, durch die geschlossene Tür hindurch hören.

Mit zitternden Händen hob ich das Holzstück in die Höhe, um mich auf das vorzubereiten, was in den nächsten Momenten geschehen würde. Dieser Mann, der wahrlich den Tod über Amalia, sowie auch Jurian und mich bringen wollte, würde zur Tür hereintreten, um nachzusehen, ob wir uns in dieser Hütte befanden. Genau dies würde der Moment sein, der einzige Moment, in dem ich uns das Leben retten konnte. Wenn ich ihn schnell genug traf, ohne dass er meine Absicht erkennen und sich womöglich noch durch einen Seitenschritt davor retten konnte.

Der Türknauf wurde gedreht und ich spürte, wie mir mein Herz bis zum Hals schlug. Nicht lange würde ich auf dieser Position, direkt neben der Tür, wartend auf unseren unerwünschten Gast, verharren können. Meine Kräfte waren erschöpft und mit jeder Sekunde die ich wartete, ließen sie unentwegt nach. Die Tür der Hütte wurde geöffnet und ich setzte meine Hände, welche noch immer das längliche Holzstück umfassten, in Bewegung. Jedenfalls, wollte ich dies tun. Mein Verstand setzte dies bereits vollständig in meinen Gedanken um.

Doch in Wirklichkeit, blieb ich wie zu Stein erstarrt in genau dieser Position stehen und starrte die Person an, die in diesem Moment die Hütte betreten hatte. Durch das milchige Glas der Fenster, strahlte nur wenig Mondlicht in den Raum hinein. Gerade so viel, dass ich die stahlgrauen Augen in der Dunkelheit hatte hervorblitzen sehen, ehe ich meine Hände und das Holzstück darin, in Bewegung setzen konnte. Diese Augen waren nun direkt auf mich gerichtet.

Die Angst, die meinen Körper erneut in Besitz genommen hatte, verschwand ebenso schnell, wie sie gekommen war und die Schwäche in meinem Körper machte sich wieder deutlich, da ich meine Arme langsam sinken und das Holzstück schließlich achtlos fallen ließ. Sobald dieses lautstark auf dem Boden aufkam, löste sich auch das graue Augenpaar wieder aus seiner scheinbaren Starre und bewegte sich schließlich auf mich zu. Ich hätte zurückweichen sollen, als ich noch die Möglichkeit dazu gehabt hatte. Obwohl ich die Person in der Dunkelheit nicht vollständig erkennen konnte, war die Angst in meinen Knochen verschwunden.

„Camilla?" Es war Jurians Stimme, die meine Aufmerksamkeit erregen sollten, doch plötzlich umfassten mich die Arme der Person vor mir und ich wurde in eine Umarmung gezogen. Sofort vergaß ich Jurian, als ich unter meinen Händen den Stoff erfühlen konnte, unter dem diese unerkennbare Person verborgen lag. Ich erwiderte die Umarmung augenblicklich und Erleichterung breitete sich in mir aus. „Du solltest nicht hier sein, Kiyan." Es folgte ein leises und zugleich auch raues Lachen seitens des jungen Mannes, dessen Umarmung ich unter allen anderen jederzeit wiedererkennen würde. Die Vorsicht, die er dabei ausstrahlte, war unverkennbar.

„Camilla, wer ist.." hörte ich erneut die Stimme meines Freundes aus Kindertagen, ehe er verstummte, ohne dass ich einen Grund dafür erkennen konnte. Weshalb ich mich langsam wieder aus der Umarmung löste und meinen Blick anhob. Es war deutlich zu erkennen, dass Kiyans Blick auf Jurian ruhte, der sich mittlerweile von dem Bett erhoben hatte und wenige Meter von uns entfernt stand. Womöglich hatte ich ihn geweckt, als ich gedankenverloren das Holzstück fallen gelassen hatte.

„Wie hast du uns gefunden?" fragte ich, um seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken. Ich konnte eine Diskussion zwischen diesen beiden jungen Männern im Augenblick nicht ertragen. „Das spielt keine Rolle.. ich sollte mich wohl eher fragen, warum du in Erwägung gezogen hast, mich zu erschlagen." Nun war es an mir, ein leises Auflachen von mir zu geben. Er hatte recht. Das musste ein seltsames Bild für ihn gewesen sein. „Ihr werdet mitkommen." Sprach er schließlich weiter, nun jedoch an uns alle drei gewandt. Selbst Amalia war erwacht, wie ich in diesem Moment feststellte, und beobachtete uns von ihrem Platz auf dem Boden aus, mit einem unsicheren Ausdruck auf ihrem Gesicht.

Mit gerunzelter Stirn blickte ich zu ihm hoch und versuchte durch das dämmrige Mondlicht in seinem Gesicht abzulesen, was er geplant hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Wir alle drei waren für vogelfrei erklärt worden. Warum hatte Kiyan nach uns gesucht und verlangte nun, dass wir mit ihm mitgehen würden? „Nein, das werden wir nicht." Ich sah, wie sich Kiyans Kiefer bei diesen Worten anspannte, ehe er sich an Jurian richtete. „Das war keine Frage und noch weniger eine Bitte, Jurian."

„Wenn du nicht mitkommen möchtest, ist das deine Entscheidung. Camilla wird allerdings mit mir gehen." Der blonde junge Mann musste nicht einmal nachfragen, ob ich damit einverstanden war. Er konnte es bereits in meinen Augen ablesen. „Amalia?" Die junge Frau erhob sich von ihrem Schlafplatz auf dem Boden und blickte unsicher in Kiyans Richtung. „Sollte es dein Wunsch sein, ist es dir gestattet, in unser Schloss zurückzukehren." Der Ausdruck auf ihrem Gesicht schien erst verwirrt, wandelte sich dann jedoch zur Erleichterung bis hin zur Freude, über diese unerwartete Nachricht.

„Wie ist das möglich, Kiyan? Hat dein Vater seine Entscheidung zurückgezogen?" Anders konnte ich mir nicht erklären, weshalb uns eine Rückkehr nun wieder möglich sein sollte. Er gab mir darauf jedoch keine Antwort, sondern griff unter den schwarzen Mantel, den er trug und mit dem ich einige Erinnerungen verknüpfte, und zog schließlich etwas darunter hervor. „Die Nächte sind noch immer kalt. Phileas wird sicherlich nicht erfreut sein, wenn du mit einer Erkältung zurückkehrst." Sowohl Jurian als auch Amalia dachten in diesem Moment womöglich das selbe. Denn sie beide wussten etwas, wovon ich noch nichts ahnte. Nach dieser Zeit im Wald, wäre eine Erkältung harmlos gegenüber dem, was noch auf mich zukommen würde.

Ich betrachtete das im gedämmten Mondlicht, weiß schimmernde Bündel in seinen Händen und meine Augen weiteten sich, als ich erkannte, was es war. „Ich habe mir gestattet, dein Schlafgemach danach zu durchforsten." Es klang wie eine höflich formulierte Entschuldigung seinerseits, doch ich war deutlich verwunderter darüber, dass er sich an diesen Gegenstand erinnerte. Ich faltete den weißen Mantel vorsichtig auseinander und hängte ihn mir schließlich über die Schultern. Wenn mich meine Augen nicht täuschten, konnte ich dabei den Hauch eines Lächelns in Kiyans Mundwinkeln erkennen.

„Wir werden gehen, Juri." Sprach ich aus und richtete meinen Blick dabei auf ihn, was ihm keine andere Wahl gab, als meinen Blick zu kreuzen. Diese Worte hatte ich vollends entschlossen ausgesprochen. Es genügte lediglich ein akzeptierendes Nicken seinerseits, woraufhin Kiyan die Hütte wieder verließ und wir ihm hinaus folgten. Hinaus in den Wald, der nun nicht mehr unseren Tod, sondern unsere Freiheit bedeuten sollte. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt