Die Reise ins Nichts

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Mein gesamter Körper schmerzte, aufgrund der Tritte und Fausthiebe, die ich von Seiten der Wachmänner hatte über mich ergehen lassen müssen. Ich lag zusammengekauert auf dem mit Dreck überzogenen Boden des Marktplatzes. Meine Hände waren noch immer mit dieser Kette an einem Haken im Boden befestigt. Bei jedem weiteren Tritt und bei jedem darauffolgenden Schlag, den ich zu spüren bekam, verließ ein schmerzverzerrtes Wimmern meine Lippen. Doch mehr als meine eigenen Schmerzen, die ich zu ertragen hatte, ergriffen mich Jurian's Schmerzensschreie, die über den Marktplatz hallten.

Schreie, die sich tief in meine Brust fraßen und mir förmlich die Luft zum Atmen nahmen. Tränen liefen in Strömen über mein Gesicht. Ich wollte aufstehen, all dies unterbrechen und Jurian aus dieser Lage befreien aber ich schaffte es nicht einmal, meine Augen zu öffnen. Nicht einmal für einen kurzen Moment. Die Menschen aus dem Dorf, die dieses dargestellte Spektakel beobachteten, ließen unsere Qualen durch ihr Schweigen nur noch lauter erscheinen. Ich wusste nicht, ob die Prinzen ebenfalls anwesend waren. Ich dachte auch nicht darüber nach. Einzig und allein Jurian's Schreie, erfüllten meinen Kopf.

Und plötzlich.. stoppten die Tritte. Jurian's Schreie verstummten und ich krümmte mich noch ein wenig mehr zusammen, als der anhaltende Schmerz in meinem Inneren somit noch deutlicher wurde. Ich konnte nicht einmal identifizieren, wo der Schmerz seinen Ursprung hatte. Mein Körper brannte förmlich unter diesem Schmerz und ich wagte es kaum, auch nur einen Finger zu rühren. Schweigen umhüllte uns, während ich hörte, dass die Wachen sich mit eisernen Schritten entfernten. „Aus der Gnade meines Sohnes resultierend, erhaltet ihr Zeit bis zum Morgengrauen. Fortan seid ihr als vogelfrei erklärt." Ein erneutes Raunen ging durch die Menge und der winzige Schimmer Hoffnung, den ich nach dem Wegtreten der Wachen empfunden hatte, löste sich wieder in Luft auf.

Vogelfrei zu sein, war schlichtweg noch schlimmer als der Tod. Vor einigen Monaten hatte Amalia dieses Urteil bereits erhalten und die Chancen standen schlecht, dass sie noch immer am Leben war. Ab sofort würden wir damit rechnen müssen, an jedem Tag und zu jeder Tageszeit, dem Tod ins Auge blicken zu müssen. Vielleicht auch nur soweit, dass wir vor Schmerzen keinen Fuß vor den anderen setzen konnten und uns zur andauernden Qual, der erlösende Tod dennoch verwehrt bleiben würde. Sobald die Sonne am nächsten Morgen über den Horizont steigen würde, waren wir den Handlungen der Menschen um uns herum, schutzlos ausgeliefert.

Die Schritte der Wachen verklangen mit der Zeit und ich vernahm das Klappern von Pferdehufen, als sich der König aus der Stadt entfernte. Dennoch wagte ich es nicht, mich zu bewegen. Ich fühlte mich ausgelaugt. Als wäre ich nicht einmal in der Lage, einen einzigen Muskel anzustrengen. „Du musst aufstehen, Camilla." Hörte ich leise jemanden sagen. Eine Stimme, die mich nur bruchstückhaft und verzerrt in meinem derzeitigen Delirium erreichte. „Bitte." Dieses Wort klang nun ein wenig klarer und ich blickte mich vorsichtig und vor Verwirrung blinzelnd, um. Mein Blick kreuzte sich mit einem Paar grüner Augen, die an diesem heutigen Tage, weniger zu leuchten schienen, als es normalerweise der Fall war.

Ich versuchte mich langsam aufzusetzen, doch mein Körper fühlte sich an wie Blei. Wie lange ich bereits hier in der Stille gelegen hatte, konnte ich nicht einschätzen. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit und zugleich auch nur wie ein paar wenige Sekunden an. Mein Kopf war ein reines Durcheinander, als hätte jemand das Licht darin ausgeschaltet und ich würde über jeden möglichen Gedanken stolpern. Arme legten sich um meinen Körper und halfen mir dabei, mich auf die Beine zu stellen. Erst dann merkte ich, dass die Wachen die Kette um meine Handgelenke gelöst hatten. Die Handschellen hatten unschöne blaue Ränder an meinen Handgelenken hinterlassen und ich rieb vorsichtig darüber, ohne dabei einen klaren Gedanken fassen zu können.

„Kiyan?" Durch die Stimme abgelenkt, richtete auch ich nun meine Aufmerksamkeit in Jurian's Richtung, wobei jedoch im selben Moment, als ich ihn erblickte, die Kraft in meinen Beinen wieder nachzulassen drohte. Phileas Arme, die mich noch immer umschlossen, hinderten mich daran, wieder zu Boden zu fallen. Jurian's Anblick kam meinem schlimmsten Albtraum gleich. Während Kiyan ihm auf die Beine half, was ihm noch deutlich schwerer zu fallen schien, als mir, erhielt ich einen guten Blick auf seinen Rücken. Im Nachhinein wünschte ich mir, dass ich nicht hingesehen hätte.

Sein Rücken war von tiefen Rissen durchzogen, welche die Geißel dort hinterlassen hatte. Blut lief aus diesen in dünnen Rinnsalen herab und färbte den Ansatz seines Hosenbundes in ein dunkles Rot. Kiyan nickte lediglich als Antwort an Phileas, ehe sein Blick auf mir landete. In seinem Gesicht war keine Regung zu erkennen, förmlich so, als wäre sein Gesicht versteinert. Phileas setzte sich in Bewegung, wodurch ich automatisch dazu gezwungen wurde, meinen Blick von Jurian und Kiyan abzuwenden und seinen Schritten zu folgen.

Ich erkannte zwei Pferde am Rande des Markplatzes, weshalb ich annahm, dass diese unser Ziel sein mussten. Ein kurzer Blick um uns herum, machte mir deutlich, dass wir alleine waren. Vollkommen alleine. Obwohl der Abend noch nicht hereingebrochen war und nun lediglich eine Wolkendecke den Himmel ein wenig verdunkelte, war keine weitere Menschenseele mehr auf dem Marktplatz zu sehen. Jeder einzelne von ihnen war verschwunden. „Es tut mir unendlich leid, Camilla. Das hätte nicht passieren dürfen."

Phileas Worte waren leise. Ich legte einen Arm um meine Magengegend, als die Erinnerung an die letzten Momente mich erneut überfiel. „Es ist nicht euer Verschulden.." Gab ich mit gedämpfter Stimme von mir. „Wir waren nicht vorsichtig genug." Ich wollte Jurian keineswegs die alleinige Schuld daran zutragen, zumal ich mich ebenfalls anders hätte verhalten können. Bei unseren kurzen Zusammentreffen, hätte ich mich konsequenter von ihm verhalten müssen. Ich hatte womöglich zu leicht nachgegeben und mich von seinen Worten mitreißen lassen.

Zu meiner Erleichterung erreichten wir die Pferde bereits nach wenigen Augenblicken. Die Kraft in meinen Beinen schwand mit jedem Schritt und mein Körper sehnte sich regelrecht danach, sich fallen zu lassen und erst dann wieder aufzustehen, wenn diese Schmerzen verschwunden waren. Doch wir mussten hier verschwinden, das hatten die Prinzen von vorneherein erkannt, ohne dass ich überhaupt einen Gedanken daran hatte verschwenden können. Für einen Moment hielt ich mein Gleichgewicht mithilfe des Sattels, den ich als Stütze nutze, ehe Phileas mir half, mich auf den Rücken des Pferdes zu schwingen. Beim Aufkommen im Sattel, wäre ich beinahe wieder in mir zusammengefallen, als der Schmerz sich wie eine Stechflamme durch meinen gesamten Körper zog.

Jurian fiel es deutlich schwerer, überhaupt gerade zu stehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er noch kein einziges Wort gesagt. Selbst wenn, hatte ich es nicht wahrgenommen. Als auch er schließlich im Sattel saß und eher unbeholfen in die Mähne des Pferdes griff, war sein Blick in die Leere vor sich gerichtet. Wir hatten nicht viel Zeit erhalten, um uns einen Vorsprung zu verschaffen. Es blieben womöglich nur noch wenige Stunden, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwand und nur wenige weitere, bis sie erneut dahinter emporstieg. Sobald dies geschah, war unsere Zeit abgelaufen.

Die Prinzen verständigten sich beinahe wortlos, während sie sich und die Pferde in Bewegung setzten und den Weg, aus der Stadt heraus, antraten. Dass sie laufen mussten, schien für sie kein Problem zu sein. Jedenfalls konnte man ihnen dies nicht ansehen. Kiyan Gesichtsausdruck wirkte noch immer genauso versteinert wie zuvor. Lediglich in Phileas Gesichtszügen konnte ich erkennen, dass ihn das Geschehene sehr mitgenommen hatte. Er wollte mir dies lediglich nicht offenbaren. Ich nahm an, dass er mich damit nicht beunruhigen wollte.

Unser Weg führte aus der Stadt heraus. Weit hinaus über die Felder und Wiesen um diese herum, während der graue Himmel mit der Zeit immer dunkler  und auch unser Sichtfeld immer unklarer wurde. Ich wusste nicht, wohin die Prinzen uns bringen würden. Doch eines wusste ich mit Sicherheit, unser Weg führte nicht zurück ins Schloss. Die Prinzen wussten womöglich genauso gut wie ich, dass dies unser letztendliches Todesurteil bedeuten würde. Es käme einem Selbstmord gleich, wieder dorthin zurückzukehren.

Die Zeit, in der die beiden Brüder uns durch diese Gegend führten, verging so schnell, dass ich nach nur wenigen Augenblicken verwundert feststellen musste, wie die Dunkelheit uns bereits umhüllte. Abgesehen von der Stadt hinter uns, tat sich kein einziges Licht in unserer Umgebung auf, um mir einen Hinweis darauf zu geben, wohin unser Weg führte. Ich musste darauf vertrauen, dass die Prinzen wussten, was sie taten. In meiner jetzigen Verfassung war ich sogar recht froh darüber, dass eine andere Person für diesen Moment die Verantwortung übernahm und ich für diese kurze Zeit einmal an nichts denken musste. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now