Ein Spiel um Sekunden

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Das Buch, welches ich noch in meiner Hand hielt, befand sich nur wenige Zentimeter von dessen Platz im Regal entfernt, während mein Blick automatisch zu flog Kiyan, der sich nun direkt neben mir befand und mich durch das Ergreifen meines Handgelenks hatte stoppen lassen. Den irritierten und zugleich fragenden Ausdruck auf meinem Gesicht schien er bemerkt zu haben. „Mach das nicht, Camilla. Ich werde jemanden rufen lassen, der dieses Durcheinander wieder in Ordnung bringt." Erklärte er mir, wobei sein Blick nun wieder ausdruckslos wirkte. Nur langsam ließ ich die Hand mit dem Buch sinken, er lockerte seinen Griff jedoch nicht.

„Deshalb bin ich doch hier, Kiyan. Dafür bin ich zuständig." Er schien einen Moment darüber nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, nicht mehr." Nun löste er endlich den Griff um mein Handgelenk und nahm mir das Buch aus der Hand. „Es scheint, als seist du meinem Bruder von großer Bedeutung. Ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass er dich verliert." Gab er leise von sich, was mich noch mehr verwirrte. Was meinte er damit?

„Er wird nicht.." „Ich war nicht sonderlich freundlich dir gegenüber, das tut mir ausgesprochen leid. Auch du hast einiges erlebt, das habe ich außer Acht gelassen." Unterbrach er meinen Satz und ließ mich dadurch wieder Verstummen. Ich konnte mir nicht erklären, warum er dies nun ansprach. „Du solltest gehen, ehe mein Vater zurückkommt. Er wäre sicherlich nicht begeistert, dich hier zu sehen." Auch wenn mir dieses Risiko durchaus bewusst war, war ich ein wenig überrascht, diese Worte so deutlich von ihm zu hören. Er schien nicht zu wollen, dass ich erneut für etwas bestraft wurde, das nicht in meiner Schuld lag.

Mein Blick flog skeptisch zwischen Kiyan und den noch immer nicht vollständig weggeräumten Büchern und Dekorationen hin und her. „Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?" „Ich werde mich darum kümmern, Camilla. Du kannst gehen." Womöglich irrte ich mich aufgrund des dämmrigen Lichts, doch seine Lippen schienen den Ansatz eines Schmunzelns zu zeigen. „Ich bin niemals hier gewesen, eure Hoheit." Gab ich nach einem kurzen Nicken von mir, was das Schmunzeln auf seinen Lippen noch deutlicher zu machen schien.

Auch ich konnte mir ein Schmunzeln nun nicht mehr verkneifen und  wandte mich schließlich von ihm ab, um mich der Tür zu nähern. Ich war froh, dass ich ihn für einen kurzen Moment hatte ablenken können. Auch wenn ich durch unsere Begegnung einige Dinge von ihm erfahren hatte, die aus Kiyans Sicht wohl lieber ungesagt geblieben wären. Zu wissen, dass er sich nach all den Jahren noch immer Gedanken um seine Schwester machte und auch auf Phileas zu achten schien, ließ ihn für mich ein wenig menschlicher wirken. Nicht mehr so aufgesetzt und kaltherzig, wie ich ihn zuvor wahrgenommen hatte. Er war Phileas' Bruder und sie hatten auf eine gewisse Art und Weise etwas gemeinsam. Sie hassten sich wahrhaftig nicht. Jetzt verstand ich, was die Königin damit gemeint hatte.

Ich verschloss die Tür des Raumes leise hinter mir und blickte mich einen Moment aufmerksam um. Es war niemand zu sehen und auch die Stimme des Königs war nicht zu hören. Also lief ich mit bedachten Schritten den Gang zurück in Richtung der breiten Treppe, dessen Stufen mich wieder hinab führen würden. Dorthin, wo ich mich weiterhin meiner Arbeit widmen musste. In der Hoffnung, dass niemand von meinem Zusammentreffen mit den Prinzen erfahren hatte. Gerade als ich die erste Treppenstufe betrat, fiel mir jedoch ein beachtliches Detail ein, welches sich erst jetzt zurück in meine Erinnerung bahnte. Der Korb.

Als ich kurz nach dem Verschwinden des Königs den Beschluss gefasst hatte, in das obere Stockwerk zu gehen, hatte ich den Korb unbewusst an dieser Stelle stehen gelassen. Ich ließ die Prinzen nur ungerne mit ihrer Trauer alleine aber sie hatten Recht. Das Risiko, dass der König mich sah, war durchaus größer als anfangs angenommen. Zu erklären, warum dieser Korb grundlos in der Eingangshalle herumstand, direkt neben der Treppe, würde nicht einfach werden. Zumal mir der König ohnehin jedes Vergehen vor den Kopf stoßen würde. Während sich meine Schritte, die Treppe hinunter, ein wenig beschleunigten, hing meine Aufmerksamkeit zum Großteil auf der großen Flügeltür, die aus dem Schloss hinausführte.

Ich hatte Glück. Die Türen blieben geschlossen als ich unterhalb der Treppe ankam und mit einer schnellen Bewegung nach dem Korb griff, der noch immer an derselben Stelle stand wie zuvor. Eilig lief ich weiter, diesmal auf die andere Seite der Eingangshalle, um meinen Weg zum Garten fortzusetzen. Nur einen Sekundenbruchteil später, öffneten sich plötzlich die großen Türen und der König betrat, gefolgt von einem der Wachmänner, wieder das Schloss. Wäre ich nur wenige Sekunden später die Treppe hinuntergekommen, wäre ich ihm wohl oder übel direkt vor die Füße gelaufen. Ich bemühte mich, meine Bewegungen nicht auffällig wirken zu lassen, in der Hoffnung, dass er mich womöglich nicht entdecken würde.

„Camilla. Welch ein passendere Zeitpunkt. Mit Ihnen hatte ich sprechen wollen." Seine raue Stimme ließ wir regelrecht das Blut in den Adern gefrieren. Ich wollte mich seiner Stimme entziehen, einfach weitergehen, als hätte ich ihn nicht gehört. Allerdings wusste ich, dass mir dies nur noch mehr Probleme einhandeln würde. Daher wandte ich mich dem König zu, gerade rechtzeitig, da dieser mich nach nur wenigen langen Schritten bereits erreicht hatte. Sein Blick war kühl, doch in seinen Augen glänzte etwas, was ich nicht recht deuten konnte.

„Eure Majestät?" Meine Stimme hatte einen fragenden Unterton angenommen und auch der Ausdruck auf meinem Gesicht schien dem König deutlich zu zeigen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, warum er mit mir sprechen wollte. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass die Nervosität durch meine Knochen wanderte und mich vermuten ließ, dass er von meiner Begegnung mit den Prinzen erfahren hatte. „Sicherlich ist Ihnen bewusst, dass Sie als eine der letzten Zofen innerhalb dieser Mauern beschäftigt waren.." begann er und in mir hegte sich sofort der Gedanke, ob er mich aufgrund dieser Tatsache, womöglich wieder als solche einstellen würde. „.. aus diesem Grund habe ich mir einige neue Bewerberinnen angesehen. Bereiten Sie alles Notwendige für deren Anreise vor."

Es war sein Plan gewesen, neue Zofen einzustellen. Hatte dabei jedoch nicht einmal ansatzweise daran gedacht, meine Wenigkeit zu berücksichtigen. Schließlich hatte ich in diesem Bereich einige Erfahrungen sammeln können. Ich hatte mehr Wissen über die Abläufe in diesem  Schloss, als irgendwelche Mädchen, die noch kein einziges Mal in ihrem Leben innerhalb dieser Mauern gewesen waren. Dennoch ignorierte er mich bei der Auswahl vollkommen. Ich konnte sehen, wie sich ein regelrecht schadenfrohes Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete, als er meinen recht enttäuscht wirkenden Gesichtsausdruck sah. „Ich habe Ihnen bereits mitgeteilt, dass wir keine Verwendung mehr für Sie haben."

Ich spürte das plötzliche Verlangen, einfach umzudrehen und mich von ihm zu entfernen. Mein Körper reagierte sogar ein wenig auf diesen Wunsch und ich trat einen kleinen Schritt von dem König zurück. Dieser schien sichtlich amüsiert über mein Verhalten zu sein, warf mir aber einen strafenden Blick zu. „Sie haben einen Keil in diese Familie getrieben. Sollte ich Sie erneut auch nur ansatzweise in unserer Nähe entdecken, werden Sie sich noch glücklich schätzen, wenn ich Sie und ihren erbärmlichen Bauerntrampel lediglich vor die Tore werfen lasse. Sie sind nichts weiter als eine unbedeutende Dienstmagd. Es wird Zeit, dass Sie sich damit abfinden."

Jedes seiner Worte ließ mich innerlich zusammenzucken und ich spürte bereits die Tränen, die in mir hochstiegen. Ich hatte nicht vor, vor ihm zu weinen und ihm damit die Bestätigung zu geben, dass ich ihm wahrlich unterlegen war. Seine Worte hatten mich zutiefst verletzt. Ich hatte wahrhaftig noch nie einen Menschen kennengelernt, der so kaltherzig und gnadenlos war, wieder dieser Mann. Kiyan und sein Bruder taten mir mit jeder Begegnung des Königs mehr Leid, ihn als Vater zu haben. Über Umwege hatte ich durchaus die Möglichkeit, das Schloss zu verlassen. Die Prinzen hingegen waren für den Rest ihres Lebens an diesen Ort gebunden.

Sein demütigender Blick lag schwer auf mir, ehe er mit einer kurzen Geste andeutete, dass ich mich an die Arbeit machen sollte. „Die Mädchen werden am heutigen Abend eintreffen. Bis dahin sollten Sie alles erledigt haben." Keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, wie viel Arbeit sich damit vor mir aufstaute. Ich gab lediglich ein verstehendes Nicken als Antwort. Wagte es nicht, ihm ein Wort entgegen zu bringen. Ein kleiner Schwall der Erleichterung überkam mich, als sich der König schließlich von mir abwandte und sich, gefolgt von dem Wachmann, wieder von mir entfernte. Er hatte nicht mitbekommen, dass ich bei den Prinzen gewesen war und doch hatte er mich für meine bloße Anwesenheit in diesem Schloss bestraft.

Die ZofeWhere stories live. Discover now