Das innere Band

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P.o.V. Phileas

„Du bist zu nett zu ihr, Phileas. Du weißt doch, wo das hinführen kann." Ich schüttelte den Kopf und gab ein leises Seufzen von mir „Sie ist eben auch nur ein Mensch. Es steht mir nicht zu, sie als Unterlegene zu betrachten." Versuchte ich ihm zu erklären, obwohl ich wusste, dass er nur selten mit sich reden ließ. „Es steht dir nicht zu? Du bist ein Prinz, Phileas. Es steht dir sogar zu, eine Verurteilung zum Tode zu verhängen, sollte dir in einem kurzen Moment danach sein." Es gab Augenblicke, in denen ich froh war, ihn als meinen Bruder zu haben. Mich sogar gelegentlich mit ihm identifizieren konnte. Augenblicke, in denen sich unsere Absichten ähnelten.

Genau jetzt wurde mir allerdings wieder einmal bewusst, wie falsch diese Augenblicke waren. Als hätte sein Verstand vollkommen ausgesetzt. „Ich bin nicht wie Vater, Kiyan. Ich bin kein Mörder." Für einen kurzen Moment wurde es still im Raum und ich konnte förmlich das Glühen in den Augen meines Bruders sehen, als ich diese Worte aussprach. Der Blickkontakt hielt eine Weile an, während keiner von uns ein Wort sagte. Schweigen lag wie eine Decke über uns, die uns zu ersticken drohte. „Wie lange wird es dauern, bis du dazu bereit bist es ihm nach zu tun, nur damit Camilla bleiben kann?"

Kiyans's Frage durchschnitt diese Stille mit solch einer Kühle, dass ich regelrecht unseren Vater in seinen Worten erkannte. Mit jedem Jahr das verging, ähnelte er ihm immer mehr. Mutters Ableben würde alles verändern, das spürte ich in jeder Faser meines Körpers und ich durfte nicht zulassen, dass Kiyan den falschen Weg einschlug. „Es wundert mich, dass du das erwähnst. Schließlich hast du sie doch die Nacht bei dir verbringen lassen." Kiyans Augen weiteten sich, als ich diesen Vorfall erwähnte.

„Hat sie es dir erzählt?" fragte er schließlich und setzte sich ein wenig aufrechter hin. Es war mir schleierhaft, weshalb er geglaubt hatte, dass ich davon nichts mitbekommen würde. „Die Zofen sprechen miteinander, Kiyan. Ist dir das nicht bewusst? Es ist nicht verwunderlich, dass es sich herumspricht, wenn Camilla die halbe Nacht nicht im Schlafsaal war." Er schüttelte sichtlich verwirrt den Kopf. „Du hast ihr wohl zu viel aufgetragen, Phileas. Es liegt nicht an mir, dies zu organisieren." Erneut gab ich ein leises Seufzen von mir, als ich realisierte, was in diesem Moment hier vorging.

„Du machst mich für ihre Müdigkeit verantwortlich. Schon gut, dies wird wohl der Fall sein. Das werde ich klären müssen. Aber sagtest du nicht eben noch, dass ich mich nicht für sie aufopfern soll? Weil ich in einem höheren Rang stehe als sie? Ich verstehe deine Einwände, Kiyan. Jedoch stelle ich mir die Frage, warum du dafür Sorge getragen hast, dass Camilla etwas mehr Schlaf bekommt, ohne dass ihr Fehlen merkliche Folgen hatte." Ich legte den Kopf bei den letzten Worten leicht schief und konnte gut beobachten, wie dies Kiyan vollkommen unerwartet traf.

Denn auch wenn er solche Worte von sich gab und sich stets als etwas Besseres als die Bediensteten darstellte, hatte er Camilla geholfen, obwohl dies für ihn nicht typisch war. Er schien etwas antworten zu wollen, erhob sich jedoch plötzlich von seinem Platz und starrte mir mit dem gleichen kühlen Blick entgegen, den ich bereits von Vater kannte. Sie waren sich in diesem Augenblick zum Verwechseln ähnlich, das bereitete mir große Sorgen. „Deinetwegen, Phileas. Ein einziges Mal sorge ich dafür, dass du keine Probleme bekommst und nun hältst du mir genau dies vor. Seit diesem Vorfall sind bereits einige Wochen vergangen, habe ich recht? Solltest du dich nicht eher fragen, warum sie noch immer solch eine Müdigkeit mit sich herumträgt?"

Ich schenkte der Wahl seiner Worte keine Beachtung. Er versuchte diesem Thema auszuweichen. Zu verschleiern, was wirklich in ihm vorging. Er lenkte die Schuld auf mich zurück, was ich zum Teil auch nachvollziehen konnte. Es war mir unerklärlich, warum Camilla bereits seit einer Weile diese Müdigkeit mit sich herumtrug. Ich hatte die Pläne geändert, die Aufgaben neu verteilt. Dennoch schien es nicht besser zu werden. Es war Kiyans Absicht gewesen, mich auf diesen Gedanken zu fokussieren, damit ich die Hintergründe für sein Handeln nicht analysieren konnte. Doch er war mein Bruder. Es fiel mir nicht schwer, solche Dinge an ihm zu erkennen.

„Du hast dies nicht nur getan, um mich vor den vermeidlichen Problemen zu bewahren. Auch nicht um Deinetwillen, wie ich es anfangs vermutet hatte. Ich bewundere dich dafür, dass du es versucht hast. Es wäre mir jedoch lieber, wenn du endlich aufhören würdest, dich selbst zu belügen." Es waren klare Worte meinerseits und ich erkannte an Kiyans's Gesichtsausdruck, dass er genau verstand, was ich damit meinte „Du hast das auch für Camilla getan, Kiyan. Diese Menschen bedeuten dir ebenfalls etwas, obwohl du stetig vorgibst..." „Es reicht!" Seine eiskalte Stimme unterbrach mich mit einem bedrohlichen Unterton und ich verstummte augenblicklich.

Ihn zu provozieren, war nie meine Absicht gewesen. Dafür kannte ich ihn zu gut, ich hatte es früher oft genug getan und dies war keine gute Idee. Ich hatte ihm lediglich die Augen öffnen wollen. „Es ist mir gleich, was mit Ihnen passiert. Ich tue dir einen Gefallen, einmal nach all den Jahren und das einzige was ich daraufhin zu hören bekomme, sind Unterschlagungen. Du bist nur mein Bruder, Phileas. Kein Seelentröster, wie in diesen mickrigen Dörfern. Genügt es dir auch nach all den Jahren nicht, jegliche meiner Handlungen zu hinterfragen?"

Daraufhin war ich derjenige, der schwieg und Kiyan quittierte dies mit einem verstehenden Nicken. Ich war sein Bruder, damit hatte er nicht Unrecht. In unseren Adern floss das selbe Blut. Dennoch waren wir so verschieden. Nur das einem von uns nicht bewusst war, dass er sich hinter einer Glaswand zu verstecken versuchte. Als Kinder waren wir ein unzertrennbares Team gewesen. Ein Herz und eine Seele. Bis unser Vater Kiyan mit seinen Worten für sich gewann und seine Sicht auf die Dinge um ihn herum veränderte. Einen Nebel über alles legte, was Kiyan mit dieser Familie verband. Und uns schließlich das Einzige nahm, das unser Band noch aufrecht erhalten hatte.

Oft hatte ich versucht, ihn an die schönen Dinge zu erinnern. Daran, dass wir trotz unserer Herkunft nichts Besonderes waren. Wie wir selbst in unseren früheren Jahren auf dem Markt umhergerannt waren und dort mit den anderen Kindern aus den Dörfern gespielt hatten. Zu dieser Zeit lagen keine Gerüchte über unsere Familie in der Luft. Wir hatten gemeinsam dort leben können. In Frieden. Bis mein Vater von einen auf den anderen Tag alles veränderte und dafür sorgte, dass Kiyan und ich einander verlieren würden. Er hatte uns entzweit. Mutter und ich versuchten stetig, dieses Band aufrecht zu erhalten. Dafür zu sorgen, dass er sich nicht gänzlich den Wünschen unseres Vaters beugte.

Ich legte daher besonders großen Wert darauf, dass Camilla im Schloss bleiben konnte. Dass es ihr gut ging und sie keine Probleme verursachte, die unseren Vater erzürnen könnten. Ich hatte ihr dieses Angebot nicht nur gemacht, weil sie es gebraucht hatte. Sie ähnelte Kiyan auf eine seltsam schräge Weise. Das war mir bereits im ersten Moment bewusst gewesen, als ich sie auf dem Markt gesehen und sie mir diese Münze zurückgegeben hatte. Sie hätte diese Münze selbst gut gebrauchen können, doch sie verzichtete darauf und vertraute ihrer Intuition.

Kiyan verhielt sich auf die gleiche Weise. Er war kein schlechter Mensch, trotz des Einflusses von Vater. Er hatte Camilla in dieser Nacht Hilfe angeboten, ohne die Gründe für sein Verhalten selbst erkennen zu können. Seine Intuition lenkte ihn unterbewusst weiterhin auf den richtigen Weg, was meine Hoffnung darin bestärkte, dass Camilla womöglich dafür sorgen könnte, dass er diesen Weg nicht verließ. Ich wusste nicht einmal, ob diese Erklärungen einen Sinn ergaben. Ich verbrachte Stunden damit, mir mögliche Lösungen zu überlegen.

Dadurch hielt ich meine Hoffnung aufrecht. Darin, dass er dieses Land nach Mutter's Tod nicht in den Abgrund führen würde. „Die Gefühle von Frauen finden hierbei keinerlei Bedeutung." Erklang plötzlich eine dunkle, dabei aber fast schon amüsierte Stimme. Genau wie Kiyan, richtete ich meinen Blick zur Tür des Speisesaals und wurde von den eisblauen Augen unseres Vaters empfangen. „Lass dir von ihm nichts einreden, Kiyan. Er ist zu verweichlicht, scheint wohl nicht mehr klar sehen zu können, was für einen König von Nutzen sein wird." Ob mich seine Worte verletzten? Nach all den Jahren nicht mehr. Oft genug hatte er mir solche Dinge an den Kopf geworfen und ich hatte mich damit abgefunden, das schwarze Schaf der Familie zu sein.

Es schmerzte jedoch deutlich mehr, zu sehen, wie sich Kiyan nach einem kurzen Nicken wieder auf seinem Platz niederließ und sich seine Mundwinkel zu einem regelrecht unheimlichen Lächeln anhoben. „Natürlich, Vater. Er scheint es noch immer nicht zu begreifen." Solange wir unter uns waren, nur wir zwei, kamen wir gut miteinander zurecht. Solange gewisse Themen in unseren Gesprächen vermieden wurden. Doch sobald Vater anwesend war, wurde Kiyan plötzlich kaltherzig und schien zu vergessen, wie nah wir uns früher einmal gestanden hatten. 

Die ZofeTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon