Anbruch einer dunklen Zeit

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Einen angenehmeren Morgen hätte ich mir nicht vorstellen können. An Kiyans Seite aufzuwachen, hat mein Herz vor Freude springen lassen, trotz der Anwesenheit von Phileas in diesem Moment. Noch Minuten, nachdem die beiden Brüder mein Schlafgemach verlassen hatten, lag ein amüsiertes Grinsen auf meinen Lippen. Die Erinnerung an den Albtraum in der vergangenen Nacht war verblasst. Nun darüber nachzudenken, würde mir diesen wundervollen Morgen sicherlich verderben.

Ich schritt zu den Fenstern und schob die Vorgänge zu Seite. Als ich die dünne weiße Schneedecke außerhalb des Schlosses entdeckte, machte mein Herz einen weiteren erfreuten Sprung. So früh hatte ich keinen Schnee erwartet, doch nun zu sehen, wie der Schnee alle umliegenden Felder und Pflanzen in eine weiße Decke hüllte, versetzte mich in kindliche Vorfreude. Eine halbe Ewigkeit stand ich dort an den Fenstern und blickte hinaus in die verschneite Landschaft. Ein ganzes Jahr war ich nun hier im Schloss. Die Zeit war wie im Fluge vergangen.

Um mich nicht weiter mit den unschönen Momenten meiner Vergangenheit zu beschäftigen, wandte ich mich von den Fenstern ab und griff nach meinem Mantel. Der Drang, hinaus in den Schnee zu gehen und das funkelnde Weiß von Nahem zu sehen, stieg an, zusammen mit meiner Vorfreude auf den bevorstehenden tiefen Winter. Gut gelaunt verließ ich daraufhin den Raum und machte mich auf den Weg die breite Treppe in der Eingangshalle hinab.

Ich wusste nicht, wohin Kiyan und Phileas gegangen waren. Lange brauchte ich allerdings nicht zu suchen, da bereits ein kühler Luftzug meine Aufmerksamkeit auf die weit geöffneten Tore lenkte. Sofort unterbrach ich meinen Weg zum Speisesaal und warf mir meinen Mantel über die Schultern, ehe ich mit schnellen Schritten durch die Tore hinaus in die weiße Winterwelt trat. Sofort umgab mich die eisige Kälte, in der sich mein Atem zu einer sichtbaren Wolke verwandelte. Es war bezaubernd, diese friedliche, ruhige Umgebung zu beobachten.

Es erinnerte mich an den Tag, den ich mit Althea im Schnee verbracht hatte. Eine angenehme Erinnerung, wenn man bedachte, welch grauenvolle Zeiten noch auf mich gewartet hatten. Genau wie damals, war auch dies nun ein Moment der seligen Ruhe, die ich mit vollem Herzen genoss. „Camilla, pass auf!" Schlagartig drehte ich mich um, als ich Keylams Stimme zu mir hinüberschallen hörte. Nur einen Sekundenbruchteil später, traf mich etwas an der Schulter, was durch Keylams Warnung, mein Gesicht glücklicherweise knapp verfehlte.

Ich folgte diesem Etwas mit meinem Blick und stellte fest, dass es sich um einen zerfallenden Schneeball handelte, der nun auf der Schulter meines Mantels klebte. „Was..?" fragte ich verwundert und versuchte den Weg des Schneeballs zurück zu verfolgen. Keylam stand nur wenige Meter von mir entfernt in der Nähe der Schlossfassade und konnte sich vor Lachen kaum halten. Als ich ihn fragend anblickte, schüttelte er lediglich den Kopf und deutete auf eine Stelle, in geringer Entfernung zum See, der an das Schloss grenzte. Ebenfalls nicht sehr weit von mir entfernt. Erst konnte ich dort nichts entdecken, bis ich hinter einem der Bäume eine Bewegung feststellte.

Während ich mich mit langsamen Schritten diesem Baum näherte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass auch Keylam sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Ich griff vor mir in den Schnee und formte daraus in meinen Händen einen eigenen kleinen Ball. „Warten Sie, eure Majestät. Hilfe!" Ein Blick zu Keylam ließ mich auflachen. Kiyan war in der Nähe aufgetaucht und hatte sich mit einigen Schneebällen bewaffnet, diese ließ er nun auf den Jungen niederregnen. Dieser Anblick gab mir den Hinweis darauf, dass hinter dem Baum lediglich sein Bruder versteckt sein konnte. 

Ich konzentrierte mich wieder auf den Baum vor mir und schlich vorsichtig um diesen herum. Phileas nahm mein Auftauchen nicht wahr. Zu sehr war er damit beschäftigt, sein regelrechtes Schneeball-Lager auszubauen und dessen Schneebälle vorzubereiten. Auf dem Boden kniend, konnte er mich nicht sehen, während ich immer näher trat und schließlich hinter dem Baumstamm hervorsprang und ihm meinen Schneeball direkt entgegenwarf. Vor Schreck verlor Phileas das Gleichgewicht und fiel seitlich in den Schnee.

Mein Schneeball hatte ihn direkt auf der Brust getroffen. Lachend hielt ich mir den Bauch, da er wohl weder einen Schneeball-Angriff, noch mich hier erwartet hatte. „Was machst du denn hier?" fragte er mich überrascht, wobei er sich wieder vom Boden erhob und den Schnee von seiner Kleidung klopfte. „Ich konnte nicht widerstehen, du hast.." Ich gab einen erschrockenen Aufschrei von mir, als sich plötzlich zwei Arme um mich legten und ich rücklings an eine Brust gedrückt wurde.

„Wie ich sehe, hat mein Bruder seine Rache bereits erhalten." Ich entspannte mich sofort wieder, als Kiyans sanfte Stimme an meinem Ohr erklang. „Deinetwegen friere ich jetzt bis auf die Knochen." Beschwerte sich sein Bruder daraufhin, stimmte allerdings in unser Lachen mit ein, als er unsere amüsierten Gesichter erblickte. Es erfüllte mich mit Erleichterung, zu sehen, dass sich die beiden vorerst nicht mehr in den Haaren lagen. „Das hast du dir selbst zu Verschulden, Bruderherz." Phileas warf uns daraufhin nur einen annähernd bösen Blick zu.

„Du solltest in Zukunft wirklich vorsichtiger sein, wen genau du mit Schnee bewirfst." Lachte ich und legte meine Hände über die von Kiyan. „Eure Majestät!" die Stimme eines Fremden erweckte unsere Aufmerksamkeit, woraufhin Kiyan seine Arme wieder von mir löste und dem Wachmann entgegenlief, der sich uns durch den Schnee näherte. Keylam folgte diesem ein Stück entfernt. Womöglich hatte er dem Wachmann den Weg zu Kiyan angedeutet. Auch Phileas schien ein wenig verwundert darüber zu sein, dass sein Bruder zu solch einer frühen Stunde in der Position des Königs verlangt wurde.

Während ich mir den restlichen Schnee vom Mantel strich, den Phileas zuvor dort hinterlassen hatte, beobachtete Phileas den Wachmann und seinen Bruder, wie sie miteinander sprachen, ohne dass wir ein Wort davon verstehen konnten. Nachdem sich Kiyan mit einem einfachen Nicken wieder von dem Wachmann verabschiedet hatte, kehrte er zu uns zurück. Der Ausdruck auf seinem Gesicht deutete uns jedoch an, dass ihm keine gute Nachricht überbracht worden war.

„Ich bedaure sehr, eure ausgelassene Stimmung trüben zu müssen. Es gab einen Vorfall in Maradon, der nun meine Aufmerksamkeit verlangt." Phileas wirkte skeptisch und auch auf mein Gesicht trat ein Ausdruck von Sorge. „Phileas? Ich werde womöglich Jurians Rat benötigen, bitte suche nach ihm." „Kiyan, was ist passiert?" fragte ich ihn, noch bevor sich sein Bruder ohne ein weiteres Wort in Bewegung setzte und sich von uns entfernte. Der junge Mann der mein Herz in letzter Zeit um einiges schneller schlagen ließ, schüttelte als Antwort lediglich leicht den Kopf und hielt mir daraufhin seine Hand entgegen.

Ich ergriff diese, welche im Vergleich zu der Meinen deutlich kälter war, nach diesem recht langen Aufenthalt in dieser bitteren Kälte und folgte Kiyan zurück in Richtung Schloss. Keylam würde womöglich ebenso wenig wissen, was geschehen war, wenn der Wachmann dem König diese Nachricht persönlich hatte mitteilen wollen. Wir betraten Hand in Hand das Schloss, ehe die großen Flügeltüren wieder hinter uns geschlossen wurden und die Kälte somit draußen hielten.

„Du solltest in den Speisesaal gehen, Camilla. Ich werde Lorentina darum bitten, dir ein angemessenes Frühstück zurechtzulegen." Ich schüttelte den Kopf und klammerte mich regelrecht an seine Hand, als er diese loslassen wollte, um sich von mir zu entfernen. „Nein, Kiyan. Bitte erzähl mir, was passiert ist." Er schien zu merken, dass ich nicht so schnell nachgeben und ihn ziehen lassen würde, denn er trat einen Schritt näher zu mir heran, ehe er sich etwas zu mir herunterbeugte. Damit niemand mitbekam was er sagte, sollte plötzlich jemand in unserer Nähe auftauchen.

„Maradon ist seit jeher ein äußerst ruhiger Ort gewesen. Seit dem Tod meines Vaters gab es jedoch Aufstände in der Stadt. Dies hatte ich bereits kommen sehen. Die Rebellen.. Sie haben heute bedauerlicherweise eine Grenze überschritten." Fing er an, was mir förmlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Was für eine Grenze?" fragte ich nach und fürchtete mich bereits vor seiner Antwort. Hierauf schwieg er allerdings und löste sich letztendlich aus meinem Griff. „Wir werden nachher darüber sprechen, Camilla. Bitte iss etwas, wir werden uns schon bald zu dir gesellen."

Mit diesen Worten ließ er mich alleine in der nun kühlen Eingangshalle zurück, während in meinen Gedanken bereits unzählige Szenarien entstanden, die mir ein deutliches Unwohlsein bereiteten. Wenn solche Aufstände aus seiner Sicht zur Normalität seit dem Tod seines Vaters geworden waren, in welcher Form hatten die Rebellen nun eine Grenze überschritten? Welche Art von Grenze? Waren sie nicht bereits weit darüber hinaus gelangt, als sie das Innere der Schlossmauern betreten hatten? Was war geschehen, dass Kiyan nun so sehr darüber in Gedanken versank und es vermied, mir davon zu berichten?

Zögernd und von Unsicherheit überflutet, lenkte ich meine Beine in die Richtung des Speisesaals und hoffte, dass Kiyan sein Wort halten und mir schon bald alles erklären würde. Es bereitete mir Angst, zu wissen, dass dort in Maradon etwas vor sich ging, was für äußerste Aufruhe im Schloss zu sorgen schien. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now