Zwischen Vater und Sohn

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Mit zittrigen Händen strich ich das lange seidenweiche Kleid zurecht, welches Amalia in sorgsamer Handarbeit für mich geschneidert hatte. Es war mir eine Ehre, solch ein wertvolles Stück Stoff an meinem Körper tragen zu dürfen. Das Kleid war beinahe bodenlang und in einem sanften rosé-Ton gehalten. Gerade aus diesem Grund liebte ich es. Es war unauffällig, schlicht und dennoch nicht zu unförmlich für solch einen besonderen Tag. Ich hätte nicht nervös sein müssen, schließlich war es nicht mein besonderer Tag, dennoch spürte ich die Anspannung bis ins Innere jedes einzelnen meiner Knochen.

„Du hast die Kette vergessen." Amalia tauchte plötzlich direkt hinter mir auf und lächelte mir durch mein Spiegelbild fröhlich entgegen. In ihren Händen hielt sie eine dünne, kaum sichtbare Goldkette, die sie wohl aus dem Schmuckkästchen von Mary hatte mitgehen lassen, während Amalia dort mit Aufräumen beschäftigt und Mary für einen Augenblick abgelenkt gewesen war. „Ist das nicht ein wenig zu viel des Guten?" fragte ich sie durch mein Spiegelbild hindurch und beobachtete, wie sie mir kopfschüttelnd und mit äußerster Vorsicht die Kette um den Hals legte und diese anschließend in meinem Nacken verschloss.

„Wenn eine von uns bezaubernd aussehen muss, dann solltest du es sein." Gestand sie mir und blickte mir durch den Spiegel hindurch noch mit einem verschwörerischen Lächeln entgegen, ehe sie sich wieder von mir abwandte und mich mit meinem Spiegelbild alleine ließ. Meine blonden Haare lagen in leichten Wellen über meinen Schultern. Amalia hatte fabelhafte Arbeit geleistet, dennoch machte sich Unsicherheit in mir breit. Warum ließ ich das alles überhaupt zu? Es war mir nicht gestattet, mich auf solch eine Weise in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Die Tür des kleinen Schneiderzimmers wurde plötzlich geöffnet und Jurian betrat den Raum. „Was sollte das denn?" war nur einen Sekundenbruchteil später seine mürrische Stimme zu hören, als Amalia ihm eines der weichen Nadelkissen an den Kopf warf. Sofort richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den blonden jungen Mann und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Hast du etwa noch nie etwas von Anklopfen gehört? Wir hätten nackt sein können!" Amalia klang aufgebracht, aufgrund Jurians plötzlichen Auftauchens.

Der Angesprochene zuckte jedoch nur leicht mit den Schultern und bewegte sich anschließend auf mich zu. „Ich denke nicht, dass ihn dies gestört hätte." Antwortete ich an seiner Stelle auf ihre Worte und konnte daraufhin gerade so das Nadelkissen auffangen, welches mir ansonsten ebenfalls im Gesicht gelandet wäre. „Camilla!" kam Amalias strafender Ton hinter einem Stapel an Kleidern dazwischen, der meine aufhellende Stimmung wieder ein wenig dämpfte. Sie hatte recht. Es war nicht verkehrt, Scherze zu machen, doch wir hatten im Augenblick wichtigeres vor als das.

Sobald Jurian bei mir ankam, griff er nach meinen Händen und ließ seinen Blick daraufhin eine Weile über mich gleiten. „Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass du in diesem Schloss aufgewachsen bist. Du siehst bezaubernd aus, Camilla." Geschmeichelt von diesen Worten, trat ein leicht rötlicher Schimmer auf meine Wangen. Ich wollte etwas darauf erwidern, jedoch ließ Amalia mich vor der Aussprache des ersten Wortes bereits verstummen. „Seid ihr fertig mit euren Schleimereien? Wir werden im Thronsaal erwartet."

Sofort kehrte meine Anspannung zurück, die sich bei Jurians Eintreten ein wenig gelegt hatte. „Lass uns gehen, ehe sie uns noch an den Ohren hinauszieht." Die Erinnerung daran, wie seine Mutter genau dies in seiner Kindheit des Öfteren getan hatte, wenn er Unfug angestellt hatte, brachte mich zum Lachen und ließ mich kurzzeitig vergessen, warum ich überhaupt so nervös geworden war. Schließlich war nicht ich es, auf der an diesem Tag die gesamte Aufmerksamkeit liegen würde.

Jurian, in einen schlichten schwarzen Anzug gekleidet, legte somit eine Hand an meinen Rücken und führte mich aus dem Raum hinaus, in dem sonst die Schneiderarbeiten erledigt wurden. Unser Weg führte uns direkt zum Thronsaal, der durch die dunklen Flügeltüren verheißungsvoll vor uns verborgen lag. Wir brauchten nicht einmal einen Finger zu rühren, als sich die Wachen, die sich neben der Tür positioniert hatten, dazu aufrafften, uns diese zu öffnen. Erst dann eröffnete sich uns der Blick in den Thronsaal, der an diesem Tag alles andere als leer und trist zu wirken schien.

Im gesamten Raum waren Kerzen verteilt, die den Saal in ein gemütliches, dämmriges Licht warfen. Während wir langsam eintraten, fiel mir auf, dass die Anzahl der Menschen darin, geringer ausfiel, als ich erwartet hatte. Es waren Bedienstete und Wachen, wie ich feststellen konnte. Doch keine Menschen aus der Stadt oder Adelige, die dieses Spektakel sicherlich mit ansehen wollen würden. Als ich Phileas unter diesen Menschen ausmachen konnte, entspannte ich mich ein wenig. Doch etwas.. nein, jemand fehlte.

Aufmerksam blickte ich mich in dem Saal um, konnte den jungen Mann mit den stahlgrauen Augen jedoch nirgends entdecken. Nicht einmal in Phileas' unmittelbarer Nähe. Beinahe wäre ich über Jurians Füße gestolpert, als mich ein plötzliches Geräusch an der Tür erschrecken ließ. Ein leises Raunen ging durch die Menge und erst dann erkannte ich, was der Grund dafür war. Es war Kiyan, der in diesem Augenblick durch die Tür trat. Die schwarz-goldene Unform die er trug, spiegelte genau das wieder, was ich in diesem Moment zu spüren bekam.

Ein grenzenlos tiefes Loch, in welches ich unaufhaltsam hineingezogen wurde. Denn Kiyan hatte den Saal nicht alleine betreten. Ich griff Halt suchend nach Jurians Arm, als mir bewusst wurde, was dies nun zu bedeuten hatte. Zuvor hatte ich Kiyan noch darauf hingewiesen, dass er das Wohlergehen seines Volkes über sich selbst stellen sollte. Niemals hätte ich erwartet, dass es so sehr schmerzen konnte, wenn er dies wahrhaftig tat.

„Ist alles in Ordnung?" Jurians Stimme klang leise an meinem Ohr. Ich war allerdings zu sehr auf die Frau neben Kiyan fixiert, als ihm antworten zu können. Mary trug ein weit fallendes, blutrotes Kleid, welches eindeutig zu erkennen gab, welchen Rang sie trug. Sie hatte ihren Arm bei Kiyan eingehakt und wanderte so mit ihm durch die Menschenmasse hindurch, die bereits einen schmalen Weg für sie freigelegt hatten. Als Kiyan dabei an uns vorüber lief, senkte er seinen Blick ein wenig, als wolle er einen direkten Blickkontakt mit mir vermeiden.

„Es ist mir eine große Freude, die Krönung unseres verehrten Prinzen nun beginnen zu dürfen." Kiyan ließ sich schließlich auf dem Thron am Ende des Raumes nieder, während Mary es ihm auf dem Thron daneben gleichtat. Wir waren nur wenige Meter von ihnen entfernt, weshalb ich genau erkennen konnte, dass sich Kiyans Gesichtsausdruck verändert hatte. Etwas darin war verschwunden, was ich nicht recht deuten konnte. Zudem schien er meinem Blick unaufhörlich auszuweichen.

„Jahrzehnte lang hat König Erich das Schloss und alles damit verbundene, mit vollkommener Hingabe beschützt und sich nach dessen Wünschen gerichtet." Sprach der ältere Mann, der mich von seinem Aussehen an jemanden erinnerte, den ich bereits kannte. Ein leichtes Schmunzeln trat auf meine Lippen, als ich schließlich feststellte, dass es Keylams Vater sein musste, der nun die Durchführung der Krönung übernahm. Eine Ehre, die sonst nur dem vorigen König zu Teil wurde. Einem König, der nun nicht mehr unter den Lebenden weilte.

„Das Kind, welches noch vor Jahren keinen Gedanken an den Thron und seine Nachfolge verschwendet hat, ist nun zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen. Ein Mann, der die Würde der Krone zu schätzen weiß und sich dessen Pflichten vollends bewusst ist." Eine Gänsehaut überkam mich, bei den Worten dieses Mannes. Er sprach nicht die Wahrheit. Weder in Bezug auf den König, noch auf Kiyan selbst. Schließlich wurde er bereits von klein auf dazu getrimmt, die Nachfolge seines Vaters anzutreten.

„Daher ist es mir eine große Ehre, ihm nun die jahrelang behütete Aufgabe seinen Vaters übertragen zu dürfen und somit die Verantwortung über unser aller Leben, in seine Hände zu legen." Der schon recht alt wirkende Mann griff nach der auffällig mit wertvollen Steinen besetzten Krone, welche ihm von Calliope auf einem Kissen entgegengereicht wurde und bewegte sich mit dieser schließlich auf Kiyan zu. Ohne auch nur auf ein Stichwort zu warten, erhob er sich von seinem Platz auf dem Thron, bis Keylams Vater vor ihm stehen blieb.

„Bitte wiederholen Sie meine Worte, eure Hoheit.." „Ich gelobe, mein Volk in den unbarmherzigen Zeiten des Krieges zu schützen und mich auch in den Zeiten der Fülle, ihren Träumen und Wünschen anzunehmen. Denn nur ein durch Loyalität untergebenes Volk, ist das größte Gut eines herrschenden Königs." Diese Worte wiederholte Kiyan mit solch einer Kälte in seiner Stimme, als würde es ihm förmlich Schmerzen bereiten, diese auszusprechen. Mary, die sich nun ebenfalls von ihrem Platz erhoben hatte, beobachtete das Ganze lediglich mit einem durchaus zufriedenen wirkenden Lächeln auf den Lippen. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now