Vorahnung

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P.o.V. Kiyan

„Ist Ihnen bewusst, dass sich Ihr Vorschlag mehr als nur fragwürdig anhört?" „In keiner Weise. Ich habe vor Kurzem mit deinem Vater gesprochen, er war von meiner Idee ausgesprochen begeistert." Ich drehte meinen Kopf in die Richtung dieser jungen Frau und löste somit meine Aufmerksamkeit von den Dokumenten auf dem Schreibtisch direkt vor mir. „Ich bitte um ein wenig Respekt, eure Hoheit." Die letzten Worte sprach ich hörbar gereizt aus und spürte das Verlangen, diese Frau augenblicklich aus meinem Zimmer hinauszuwerfen.

Dieser Schein eines engelsgleichen Lächelns auf ihrem Gesicht, ließ mich womöglich noch durchdrehen, wenn sie sich nicht bald aus meiner Nähe entfernte. „Bitte entschuldige Kiyan, ich bin davon ausgegangen.." Mary verstummte und ich konnte beobachten, wie sie sich beinahe ein wenig unsicher im Raum umsah. Sie schien vermeiden zu wollen, mich direkt anzusehen. „Nun, mir ist aufgefallen, dass eine der Bediensteten keinen Respekt gegenüber dir und deinem Bruder zu haben scheint." Sprach sie schließlich weiter und ich legte fragend den Kopf ein wenig schief.

„Von wem sprechen Sie?" fragte ich und erhob mich von meinem Platz am Schreibtisch. Es war bereits ausreichend, dass diese Frau mich unbekümmert bei meiner Arbeit störte und mich nun daran hinderte, mit dieser fortzufahren. Sie musste sich scheinbar auch noch in Dinge hineinhängen, welche sie als Außenstehende, nicht zu beschäftigen hatten. „Ihr Name war Camilla, wenn ich mich recht entsinne." Augenblicklich schossen mir tausende Bilder durch den Kopf, wo sich Camilla zum aktuellen Zeitpunkt befinden könnte.

Wenn Mary sich bereits an meinen Vater gewandt hatte, musste ich davon ausgehen, dass einige seiner Maßnahmen bereits in nächster Zeit in die Tat umgesetzt werden würden. „Was haben Sie meinem Vater erzählt?" fragte ich nach und umging dabei die gezielte Anrede per 'du'. Diese Frau war mir alles andere als sympathisch und ich mochte es noch weniger, dass sie hinter meinem Rücken mit meinem Vater etwas beschloss, obwohl sie kein Teil unserer Familie war und sich in solche Themen nicht einzumischen hatte.

„Diese Förmlichkeiten sind doch nicht mehr notwendig, Kiyan." Ich trat langsam ein paar Schritte auf sie zu und musste mich bemühen, ihr meine Gedanken nicht sichtbar mitzuteilen. „Ich kann mich bedauerlicherweise nicht mehr genau an unser Gespräch erinnern." Es stand außer Frage, dass es sich dabei um eine Lüge handeln musste. Bereits seit unserem ersten Aufeinandertreffen, traute ich dieser Frau nicht über den Weg und sie zeigte mir mit jedem weiteren Tag, dass ich mit meiner Skepsis ihr gegenüber richtig lag. Sie verstand sich zu gut mit meinem Vater. Allein diese Tatsache reichte aus, um sie aus einem anderen Licht zu sehen.

Ich musste mit Phileas sprechen. Bestenfalls so bald wie möglich, sonst verlor ich noch den Verstand. Außerdem musste ich nach Camilla suchen. Ich musste herausfinden, ob ihr etwas geschehen war. Nicht meinetwegen, sondern für Phileas. „Sie werden sich für die nächsten Stunden eine andere Beschäftigung suchen müssen, Ihre Anwesenheit ist nicht länger erwünscht." Gab ich gereizt von mir und deutete schließlich auf die noch halb geöffnete Tür meines Zimmer.

Skeptisch folgte Mary erst meiner Hand und wollte schließlich zu einer Antwort ansetzen, welche ich jedoch problemlos unterbrach. „Ich werde Ihren Vorschlag nicht entgegennehmen. Richten Sie dies bitte meinem Vater aus." Nun sichtbar eingeschnappt, verschränkte Mary die Arme vor der Brust und wandte sich schließlich ohne ein weiteres Wort in Richtung Tür. Ich war erleichtert zu sehen, dass sie sich kampflos ergab und aus meiner unmittelbaren Nähe verschwand. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und wieder Ruhe um mich herum einkehrte, ließ ich ihre Worte für einen Augenblick Revue passieren.

Niemals würde mir der Gedanke kommen, freiwillig mit dieser Frau Zeit zu verbringen. Ich verstand nicht, warum Vater von dieser Idee so begeistert sein konnte. Es war mir unerklärlich, schließlich teilten Mary und ich nicht einmal ähnliche Interessen. Sie wirkte stets aufgesetzt und hatte sich seit ihrer Ankunft noch keinen winzigen Fehler erlaubt. Plötzlich wurde die Tür schlagartig aufgerissen und ich drehte mich bereits mit einem genervten Gesichtsausdruck zu dieser um, bis ich bemerkte, dass es nicht Mary war, die dort erneut im Türrahmen erschien.

„Kiyan?" Phileas schien vollkommen außer Atem zu sein. Den Grund dafür, konnte ich mir nicht erklären. Mein fragender Blick schien ihm vorerst als Reaktion auf sein Eintreten zu genügen. Mein Bruder schloss die Tür hinter sich und trat schließlich langsam, nun etwas zögernder näher. „Es geht um Camilla.. und um Jurian. Nun, um beide, um genau zu sein. Also ich meine.." gab er in nicht gänzlich klaren Worten von sich und ich versuchte zu verstehen, was er mir damit sagen wollte. „Wovon sprichst du, Phileas?"

Er nahm sich einen kurzen Augenblick, um durchzuatmen, ehe er einen erneuten Versuch wagte. „Er hat sie mitgenommen. Vater hat Camilla mitgenommen." Sofort war meine Aufmerksamkeit zurück und auch die Erinnerungen an das vorige Gespräch mit Mary mischten sich in diese Gedanken ein. „Mary muss ihm etwas erzählt haben. Sie hat mit Vater über Camilla gesprochen." Erklärte ich ihm, was ich zuvor von dieser Frau erfahren hatte. „Ich konnte auch Jurian nicht finden.. was hat er vor, Kiyan?" fragte er mich und die Sorge in seinem Gesicht war mehr als deutlich zu erkennen.

Es war nicht nur so, dass das Wohl der Bediensteten ihm am Herzen lagen. Camilla war ihm besonders ans Herz gewachsen und es schien ihn ausgesprochen zu beunruhigen, was mit ihr geschah. „Ich weiß es nicht.." murmelte ich und versuchte mir alle Bruchstücke des vorigen Gesprächs wieder in Erinnerung zu rufen. „Ist es möglich, dass Camilla lediglich im Garten ist und du sie aus diesem Grund nicht finden konntest?" Mir war bewusst, dass Camilla viel Zeit außerhalb des Schlosses verbrachte, sobald sie die Möglichkeit dazu bekam.

„Ich habe überall nach ihr gesucht, sie ist verschwunden. Vater muss etwas damit zu tun haben." Er war vollends davon überzeugt und ich musste zugeben, dass ich verstand, warum er dies in Erwägung zog. Vater konnte Camilla auf den Tod nicht ausstehen, genauso wenig wie Jurian und er würde mit Sicherheit alles daran setzen, um sie mit möglichst großem Leid, aus dem Schloss zu entfernen. Wie weit er dabei gehen würde, war jedoch weder Phileas noch mir bewusst.

Wäre es sein Wunsch gewesen, hätte Vater die beiden schließlich ohne Weiteres dem Schloss verweisen können. Doch dass beide nun verschwunden waren und wir keine Info darüber erhalten hatten, machte die Situation äußerst ungewöhnlich. „Wo ist Vater? Ich werde ihn fragen müssen, was er mit ihnen gemacht hat." Phileas schüttelte den Kopf. „Das ist sinnlos, er hat das Schloss bereits verlassen" Unbewusst, legte sich Nervosität auf mir nieder. Etwas, dass ich nicht oft verspürte, meist nur in Verbindung mit meinem Bruder, wenn ich wusste, dass er Dummheiten angestellt hatte.

„Er sagte lediglich, dass er bis zum Abend wieder zurück sein würde." Ergänzte Phileas und ich begann angestrengt über alle Informationen nachzudenken, die uns nun bekannt waren. „Die Stadt." Sprach ich schließlich aus und ballte beinahe automatisch meine Hände zu Fäusten. „Du hast Recht, Phileas. Vater hat sie mitgenommen. Sie und Jurian. Er wird sie wie Marionetten in der Stadt ausstellen lassen wollen." Ich musste nicht einmal genau erklären, was ich damit meinte. Phileas verstand meine Worte auch ohne eine Erläuterung.

Entsetzen trat auf sein Gesicht und ich griff nach seinem Arm, in der Hoffnung, ihn dadurch ein wenig beruhigen zu können. „Wir werden das verhindern, das verspreche ich dir." Nach diesen Worten, schien er sich wahrlich wieder etwas zusammenzureißen, denn er nickte und näherte sich schließlich wieder der Tür. „Wenn wir ihm nicht sofort folgen, ist es womöglich bereits zu spät, ehe wir dort ankommen." Ich zögerte nur einen kurzen Sekundenbruchteil.

Aufgrund des Gedankens, dass wir das Schloss ohne ein Mitglied der Königsfamilie alleine lassen würden. Eine Tatsache, die für uns Konsequenten haben würde. Doch ich wusste, dass wir dieses Risiko eingehen mussten. Daher setzte auch ich mich schließlich in Bewegung und folgte Phileas mit schnellen Schritten die breite Treppe der Eingangshalle hinab, mit dem Ziel, unserem Vater zu folgen. Er konnte unberechenbar sein und bei solch einem Hass, den Vater gegenüber Camilla und Jurian hegte, wollte ich mir nur ungerne ausmalen, was er mit ihnen anstellen könnte. Das würde nicht nur Phileas, sondern auch mir das Herz brechen.

Die ZofeWhere stories live. Discover now