Unter all diesen Flammen

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P.o.V. Kiyan

Phileas war es, der mich über die plötzliche Rückkehr unseres Vaters informierte. Ich musste gestehen, dass es alles andere als einfach war, seine Pflichten während seiner Abwesenheit zu übernehmen, weshalb ich sogar ein wenig erleichtert darüber war, dass er nun zurückkehrte. Allerdings hätte ich nicht einmal ansatzweise damit gerechnet, dass er nicht alleine, sondern in Begleitung zurückkehren würde. Er empfand es nicht einmal als bedeutsam genug, meinem Bruder und mir zu erklären, warum diese Frau nun hier war.

In diesem Schloss, welches ich seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr als mein Zuhause bezeichnen konnte, gingen Dinge vor sich, die ich noch nicht einmal selbst erklären konnte, obwohl ich als Sohn des Königs einiges davon mitbekommen sollte. Vieles davon, blieb auch vor mir verborgen. Ich schlug das Buch in meinen Händen zu und betrachtete es einen Moment gedankenversunken. Nun musste ich meinen Vater nicht mehr bei seinen Pflichten unterstützen und doch war ich nicht sonderlich begeistert darüber, wie ich meine Freizeit gestalten musste.

Denn um ehrlich zu sein, hatte Camilla meinem Bruder und mir ein wenig Abwechslung verschafft. Vater war zurück, was bedeutete, dass es um einiges schwieriger werden würde, Zeit mit ihr zu verbringen. Besonders für Phileas würde dies nicht einfach werden, da er dem Personal äußerst nahe stand. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir die nächste Reise meines Vaters bereits in naher Zukunft erhoffte, nur um dieses Gefühl der Freiheit zurück zu erlangen, welches ab sofort wieder zunehmend unterdrückt werden würde. Ein kurzer Ausflug hinaus in die große, weite Welt? Allein diesen Gedanken zu hegen, konnte ich ab sofort vergessen.

Ein lautes Rumpeln aus dem Gang erweckte meine Aufmerksamkeit und ließ mich meine vorigen Gedanken vergessen. Es war bereits später Nachmittag und die Sonne ließ ihre angenehm warmen Sonnenstrahlen durch die großen Fenster der Bibliothek auf mich niederscheinen. Die lauten Geräusche konnte ich mir um diese Zeit nicht erklären. Ich legte das Buch, welches ich noch immer in den Händen hielt, auf dem kleinen Tisch direkt neben dem Sessel ab und erhob mich von meinem Platz, um nachzusehen, was dort vor sich ging.

Bereits beim Öffnen der Tür, bereitete sich das Bild eines puren Durcheinanders vor mir aus. Direkt vor der Bibliothek lagen Kleidungsstücke auf dem Boden, zusammen mit einigen Büchern und weiteren Dingen, die ich aus dieser Entfernung nicht vollständig identifizieren konnte. Dieses Chaos zog sich den gesamten Gang entlang und endete erst unterhalb der breiten Treppe, mitten in der Eingangshalle. Ich ging ein wenig in die Knie, um eines der Kleidungsstücke aufzuheben, dessen Stoff mir sehr bekannt vorkam. Nach genauerer Betrachtung erkannte ich auch, warum. Es hatte meiner Mutter gehört.

„Kiyan?" Ich hob den Kopf und ließ das Kleidungsstück achtlos zurück auf das bereits vorhandene Durcheinander fallen. Nach nur wenigen Schritten in Richtung der Treppe, erkannte ich Phileas, der am unteren Ende stand und zu mir hinauf sah. Sein Gesichtsausdruck wirkte fragend, weshalb ich ihm ein einfaches Schulterzucken, sowie ein kurzes Kopfschütteln zur Antwort gab. Er wusste augenscheinlich genauso wenig darüber, was dieses Chaos zu bedeuten hatte, wie ich. Mit schnellen Schritten lief ich die breite Treppe hinunter, nur um daraufhin festzustellen, dass auch im unteren Stockwerk unzählige dieser Dinge herumlagen. „Das ist nicht zufällig irgendein schlechter Scherz von dir, Phileas?"

Mein Bruder schüttelte beinahe entrüstet den Kopf. „Warum sollte ich Mutters Habseligkeiten grundlos hier verteilen?" Das war ein verständliches Argument. „Ist dir bekannt, wo Vater sich im Augenblick aufhält?" Auch darauf schüttelte Phileas den Kopf. Allerdings wurde eine mögliche Antwort von ihm davon unterbrochen, dass eine der neuen Zofen das Schloss durch die breite Flügeltür betrat und geradewegs auf dieses Durcheinander zuging. „Nora, habe ich Recht?"

Die genannte Zofe blieb augenblicklich stehen und wandte sich mir mit einem beinahe nervös wirkenden Ausdruck auf dem Gesicht zu. Ich brauchte nicht einmal nachzufragen, um eine Erklärung für ihre Handlung zu erhalten. „Bitte entschuldigen Sie, eure Hoheit. Es war der Wunsch ihrer Majestät, dass all diese Dinge hinausgebracht werden sollen." Nora.. ich hatte voll und ganz vergessen, dass sie diejenige war, welche die Förmlichkeiten ihrer Position besonders ernst nahm. Eine regelrechte Vorzeige-Zofe. Es war daher kein Wunder, dass Vater sie ausgewählt hatte. In diesem Moment legte ich auf diese Förmlichkeiten jedoch ausnahmsweise keinen Wert. „Wo ist er?"

„Ihre Majestät ist außerhalb des Schlosses." Eine ausführlichere Antwort benötigte ich nicht, um mich wieder in Bewegung zu setzen. Dass Nora mir mit einem eingeschüchterten Blick hinterher sah, bekam ich nicht mehr mir. Phileas folgte mir, dies erkannte ich an den Geräuschen seiner Schritte, die sich stetig hinter mir befanden. „Vater?" Er stand nicht weit vom Eingang des Schlosses entfernt, gemeinsam mit zwei Wachmännern mit denen er sich unterhielt. Es störte mich in keiner Weise, ihn bei dieser Unterhaltung zu unterbrechen. Wir verlangten eine Erklärung.

Neben Vater und den Wachmännern befand sich ein weiterer kleiner Berg an Habseligkeiten und wie ich annahm, waren auch diese Stücke einmal das Eigentum unserer Mutter gewesen. Mit einer kurzen Handbewegung gestattete es Vater den Wachmännern, sich von uns zu entfernen. Sein Blick war ausdruckslos, als er sich mir zuwandte. „Gibt es ein Problem, mein Sohn?" „Was hast du mit den Habseligkeiten von Mutter vor? Die halbe Eingangshalle ist vollgestapelt mit all ihren Dingen." „Wir werden sie verbrennen."

Er hatte bei seiner Antwort nicht eine winzige Sekunde gezögert. Nicht einen Moment darüber nachgedacht, ob das was er tat, eine gute Idee war oder ob er sein Verhalten auf irgendeine Weise rechtfertigen konnte. „Das kannst du nicht tun, Vater!" brachte sich nun auch Phileas mit ein, von dem ich gehofft hatte, dass er lediglich alles schweigsam mit anhören würde. „Wir benötigen ein freies Schlafgemach und eure Mutter ist tot, sie wird diese Dinge nicht mehr benötigen." Es waren eiserne Worte, die er damit an uns richtete. Vater blickte einmal kurz an uns vorbei, als Nora das Schloss erneut verließ und einen weiterem Arm voll mit Mutters Habseligkeiten auf dem bereits angehäuften Stapel hinabfallen ließ.

„Es stehen genügend Gästezimmer zur Verfügung, Vater. Es ist nicht notwendig, Mutters Schlafgemach vollends leer zu räumen." Versuchte ich ihm zu erklären, in der Hoffnung, ihm dadurch deutlich machen zu können, wie sinnlos seine Idee war. Es gab keinen Grund, all ihre Kleidungsstücke und sonstigen Habseligkeiten zu verbrennen. Diese Frau, die mit ihm angereist war, konnte auch in jedem anderen Gästezimmer unterkommen, ohne uns alles wegzunehmen, was uns von unserer Mutter geblieben war. Während ich noch mit unserem Vater darüber diskutierte, näherte sich Phileas dem langsam immer höher werdenden Berg an Sammelstücken.

Schließlich zog er etwas aus diesem Berg hervor, was sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein weißer Mantel. Aus weiter Entfernung wirkte er womöglich nicht besonders, doch mein Bruder und ich wussten dies eindeutig besser. „Das ist Thias Mantel." Stellte ich mit regelrecht tonloser Stimme fest und musterte den weißen Mantel einen Augenblick genauer. Sie hatte ihn niemals tragen können, aber ich wusste, dass Mutter ihn noch immer seit Jahren in ihrem Schrank aufbewahrt hatte. Zumal sie diesen gerne an Camilla weitergegeben hätte, wie ich mittlerweile wusste.

„Othilia hat diese Familie bereits vor einem halben Jahrzehnt verlassen. Dass eure Mutter diese wertlosen Dinge behalten hat, ist eine wahre Schande. Sie hat jahrelang in Erinnerungen geschwelgt. Für die Erinnerungen an dieses Kind, hat sie letztendlich mit ihrem Leben bezahlt." „Bitte verzeihen Sie meine Unterbrechung. Zu meiner eigenen Verteidigung muss ich erklären, dass ein einfaches Gästezimmer meinesgleichen nicht einmal ansatzweise gerecht werden kann. Ich habe um die Räumung dieses Zimmers gebeten, da dieses meinen Ansprüchen an eine Unterkunft für eine Person hohen Ranges, um einiges mehr entspricht."

Es war nicht die Tatsache, dass diese Frau verlangt hatte, das Zimmer meiner Mutter leerräumen zu lassen, die mich in diesem Moment zunehmend verärgerte, sondern ihr respektloses Verhalten gegenüber Familienangelegenheiten, in dessen Klärung sie sich in keiner Weise einzumischen hatte. Sie umging diese Regelung, als würde sie gar nicht erst existieren. Ich spürte Phileas Griff um meinen Arm, was mich glücklicherweise daran erinnerte, einmal tief durchzuatmen. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt