Vertrauen

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Die unmissverständlichen Worte dieser Frau, schwirrten noch immer in meinem Kopf umher. Wäre Kiyan nicht dazwischen gegangen, wäre sie womöglich zu allem fähig gewesen, damit ich aus der unmittelbaren Nähe ihres Standes verschwand. So war es auch damals gewesen. Ich wollte nicht in die Nähe dieses Standes treten, doch Kiyan hatte mich unwissentlich dazu gezwungen, ihm zu folgen. Das kleine bisschen Freude, welches ich seit dem Verlassen des Schlosses angesammelt hatte, wurde von den Worten dieser Frau innerhalb weniger Augenblicke zunichte gemacht.

Diese Unterhaltung hatte mich sehr an das Verhalten des Königs erinnert und ich war froh, dieser Situation entkommen zu sein und nun wieder etwas durchatmen zu können. „Camilla?" Kiyans Stimme war nicht weit entfernt, dennoch brachte ich es nicht über mich, nach ihm Ausschau zu halten. Diese Frau hatte mir förmlich jegliche Energie aus dem Körper gezogen und ich war froh, für einen Moment einmal nicht die Erinnerung an das Schloss in meiner unmittelbaren Umgebung zu haben. „Diese Frau hat bereits zuvor auf diese Weise mit dir gesprochen." Schlussfolgerte Kiyan, als er bei mir ankam und nach meinem Arm griff, um mich zu sich umzudrehen. „Aus diesem Grund wolltest du dich ihr nicht nähern."

„Sie war nicht die einzige." Antwortete ich darauf und warf ihm, zugegeben, ein vorgetäuschtes Lächeln zu. Mein ganzes Leben hatte sich darauf ausgelegt, dass die höheren Schichten zu mir hinunterblickten und mich allein für meine Existenz in deren Nähe verabscheuten. Ich konnte es mir nie erklären, doch so war es schon immer gewesen. Mit der Zeit hatte ich daraus gelernt und hielt mich konsequent von solchen Menschen fern. Kiyan konnte dies natürlich nicht wissen. Er ließ meinen Arm los, als ich einen bedeutend langen Blick darauf warf und ihn somit daran erinnerte, was er tat.

„Ich bin eine Heuchlerin, Kiyan." Ich deutete auf das blaue Kleid der Königin, welches ich trug und dem Gegenteil von dem entsprach, womit ich aufgewachsen war. „Deine Mutter war eine wundervolle Frau. Es ist falsch, dieses Kleid zu tragen. Ich sollte mich nicht als Euresgleichen ausgeben und vorgeben, jemand zu sein, der ich nicht bin." „Das ist nicht wahr. Diese Frau weiß nicht, wovon Sie spricht. Sie.." begann er, ehe ich ihn unterbrach. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du bei unserem ersten Aufeinandertreffen die selben Ansichten geteilt. Warum nimmst du mich nun in Schutz, Kiyan? Was hat sich verändert?" Ich wartete auf eine ehrliche Antwort. Eine Erklärung, warum seit Kurzem alles so furchtbar verwirrend war. Doch es folgte nur ein Schweigen seinerseits, während der Blick seiner stahlgrauen Augen weiterhin direkt auf mir lag.

Plötzlich wurde ich von etwas Kleinem angerempelt und wäre beinahe gestolpert, hätte ich im letzten Moment nicht mein Gleichgewicht zurückerlangt. Auch Kiyan schien ebenfalls für einen Augenblick sein Gleichgewicht zu suchen, bis er es mir gleichtat und den kleinen Kindern hinterherblickte, die sich zwischen uns hindurch gewunden hatten und sich ungestüm und voller kindlicher Lebensfreude ihrem noch jungen Leben hingaben. Dieser Moment, so kurz er auch gewesen war, erinnerte mich an die Zeit, als ich noch mit Jurian ebenso unbeschwert unser unkompliziertes Leben leben konnte. Ein Leben, in dem es zwar gelegentlich Niederschläge gab, es aber dennoch nichts gab, was man nicht gemeinsam hatte lösen können.

Nun waren wir hier, beinahe erwachsen und in einer Situation, die sich keiner von uns auf diese Weise gewünscht hatte. Bevor ich den Gedanken hegte, dass es womöglich keine gute Idee gewesen war, weiterhin im Schloss zu bleiben und Jurian dadurch mit hinein in diesen Teufelskreis zu ziehen, riss Kiyan mich aus meinen Gedanken und führte mich durch die Menschenmassen hindurch, in die Richtung des Stadttores. „Wir sollten zum Schloss zurückkehren, ehe es dunkel wird." Konnte ich murmelnd von ihm vernehmen und ließ mich wortlos mitziehen. Womöglich hatte er recht. Diese Stadt überwältigte mich mit Gefühlen und Erinnerungen, die ich bereits überwunden geglaubt hatte.

Bei den Pferden angekommen, lösten wir diese von dem Balken, an dem sie bis zu diesem Zeitpunkt noch angebunden waren und stiegen auf, ehe wir auch schon den Rückweg antraten. Die letzten Stunden waren so schnell vergangen, dass es sich lediglich wie ein einziger Wimpernschlag anfühlte. „Denkst du, Phileas hat während deiner Abwesenheit, deine Aufgaben würdevoll vertreten?" fragte ich ihn, sobald wir die Stadt einige Meter hinter uns gelassen hatten und die Geräusche, sowie die unzähligen Stimmen des Marktes langsam verstummten. „Auf keinen Fall. Er wird alles in seiner Macht stehende versuchen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, doch länger als einen Tag wird er damit nicht zurechtkommen."

„Ist es nicht riskant, ihn alleine zu lassen, wenn euer Vater jederzeit von seiner Reise zurückkehren wird?" fragte ich ihn daraufhin und war froh über diesen kleinen Themenwechsel, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, ob die Handlungen meiner Vergangenheit richtig gewählt waren. „Dass wir in die Stadt reiten, war seine Idee, Camilla. Ihm ist dieses Risiko durchaus bewusst. Vater wird uns sicherlich keine Probleme machen." Er wirkte vollends von dieser Annahme überzeugt, was ich nicht recht nachvollziehen konnte. Schließlich wusste niemand genau, wann der König zurückkehren würde.

„Warum bist du dir damit so sicher?" Auf diese Frage folgte eine kurze Woge des Schweigens, die ich nicht zu deuten wusste. „Die Konflikte, die wir im Westen auszutragen haben, sind bereits seit langer Zeit ungeklärt. Wenn Vater es als notwendig erachtet, persönlich dorthin zu reisen, hat dies nichts Gutes zu bedeuten. Ich kann dir jedoch nicht sagen, was genau dort vor sich geht. Vater wird sich ausgiebig vor Ort damit beschäftigen und mit wichtigen Informationen zurückkehren. Bis dahin sollten wir uns glücklich schätzen, für einen Moment ungestört zu sein."

Ungestört. Das war eine interessante Wortwahl. Schließlich war er derjenige, der anstelle seines Vaters die laufenden Geschäfte übernehmen musste, während dieser abwesend war. Dennoch war er nun hier mit mir auf dem Feld unterwegs und überließ diese anfallenden Aufgaben seinem Bruder. Die Konflikte im Westen, bereiteten mir ein wenig Sorge. Meine Mutter hatte mir von den viele Jahre andauernden Kriegen erzählt, die sie aus den Geschichten ihrer eigenen Eltern und Großeltern kannte. Dass sich die Lage im Westen nicht besserte, sogar eher noch verschlimmerte, beunruhigte mich.

„Sie werden nicht hierher kommen und unser Land zu Grund und Boden trampeln, Camilla." Er musste meine Verunsicherung bemerkt haben und ich warf ihm sofort ein leichtes Lächeln zu, um mir nicht weiter anmerken zu lassen, wie sehr mich der Gedanke verunsicherte, dass dort etwas vor sich ging, wovon keiner von uns etwas ahnte. Alleine bei dem Gedanken daran, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich machte mir keine Sorgen meinetwegen. Jurian war es, der damit in eine Situation gebracht werden würde, die ich eigentlich zu verhindern gehofft hatte.

„Es wird sicherlich noch kälter werden.." Kiyan sprach förmlich zu sich selbst, während er sich ohne lange zu überlegen, den langen, schwarzen Mantel von den Schultern zog und ihn stattdessen mir entgegen hielt. Unsere Pferde liefen so nahe beieinander, dass ich diesen mit einem einfachen Handgriff erfassen könnte. Doch ich tat es nicht sofort. „Man wird dich erkennen, Kiyan.. ich brauche diesen Mantel nicht, mir ist nicht kalt." Es folgte ein wahrhaftiges Augenrollen seinerseits. „Du hast eine Gänsehaut, Camilla. Ich kann nicht zulassen, dass du dich meinetwegen erkältest. Phileas wird mir womöglich noch einen ausführlichen Monolog darüber halten."

Ich zögerte erst, ließ mir seine Worte genau durch den Kopf gehen und ergriff schließlich doch den Mantel, den ich mir daraufhin selbst über die Schultern warf. Sofort erfasste mich eine wohlige Wärme, denn die leichten Brisen des Windes wurden vollkommen davon abgeschirmt. Tagsüber war es warm genug, um mit einem dünnen Kleid draußen umherzuwandern. Doch sobald die Sonne langsam verschwand, so wie es nun der Fall war, kam die kühle Luft wieder zurück und der Wind nahm zu. „Wir sind weit genug von der Stadt entfernt. Solange diese Frau, welche uns so wohlgesonnen erschienen ist, ihr Wort hält, wird niemand erfahren, dass wir jemals dort gewesen waren."

Vollkommen konnte ich seinen Worten keinen Glauben schenken. Nach einem kurzen Blick zurück in Richtung Stadt, stellte ich fest, dass wir wahrhaftig so weit davon entfernt waren, dass es den Menschen dort schwerfallen würde, uns zu erkennen. Ich hoffte, dass dieser Ausflug nicht zu einem Problem werden würde. Dass der König davon erfuhr, war nicht gänzlich auszuschließen. Ich erinnerte mich an die Tatsache, dass ich daran nun nichts mehr ändern konnte. Wir waren bereits auf dem Rückweg und sollte dem König davon Bericht erhalten, würden wir in allzu naher Zukunft davon erfahren.

Die ZofeWhere stories live. Discover now