Unheimliche Ruhe

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In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Würde Kiyan in diesem Moment nicht neben mir liegen und friedlich schlafen, wäre ich womöglich aufgestanden und hätte das gesamte Schloss unsicher gemacht. Der Gedanke, dass dies wohl der letzte Augenblick sein könnte, in dem wir so friedlich beieinander lagen, brachte mich innerlich förmlich um. Daher hatte ich die letzten ewig langen Minuten damit verbracht, Kiyan zu beobachten und mir vorzustellen, wovon er träumen musste. Er hatte nicht einmal fragen müssen, ob er diese Nacht erneut bei mir würde verbringen können. Wie ich ihm bereits deutlich gemacht hatte, stand ihm meine Tür jederzeit offen.

Es war beruhigend, ihn so friedlich schlafen zu sehen. Bei allem, was uns noch bevorstand. Die bereits stark heruntergebrannte Kerze auf dem Nachttisch, warf ein sanftes, warmes Licht auf seine schlafende Silhouette. Nach meinem Albtraum in der vorigen Nacht, hatte ich ihn nicht einmal darum bitten müssen, ein wenig Licht zu machen. Er hatte dies beinahe schon selbstverständlich getan und gab mir somit ein wenig Sicherheit in der tiefen Dunkelheit der Nacht.

Gelegentlich waren Geräusche aus dem Gang zu hören. Nur leise und kaum hörbar. Obwohl die Sonne noch nicht über den Horizont getreten war, musste es im unteren Stockwerk bereits drunter und drüber gehen. Es bereitete mir eine Gänsehaut, zu wissen, dass Kiyan sich schon bald zu Ihnen gesellen würde, ehe sie gemeinsam in Richtung Westen aufbrachen. Für mich schien die Zeit still zu stehen, doch in Wahrheit wusste ich, dass der Ernst des heutigen Tages mit jeder einzelnen Sekunde näher rückte.

Nur ungerne wollte ich länger über den grauenvollen Moment nachdenken, wenn Kiyan leblos zurück ins Schloss getragen wurde. Es bereitete mir nur noch mehr Angst, dies vor meinem inneren Auge zu sehen. „Camilla?" Kiyans verschlafene und zugleich raue Stimme, riss mich aus den Wellen meiner Gedanken. Ich setzte ein zaghaftes Lächeln auf, als sich unsere Blicke miteinander kreuzten. „Du solltest noch ein wenig schlafen." Riet ich ihm und zog die Bettdecke ein wenig höher in Richtung meiner Brust. Da ich ohnehin keinen Schlaf hatte finden können, lehnte ich nun mit dem Rücken am Kopfende des Bettes.

„Wie lange bist du schon wach?" fragte er mich stirnrunzelnd, da solch eine frühe Zeit auch als ehemalige Zofe recht unüblich war. Ich versuchte, mir gedanklich eine Ausrede zusammenzuknüpfen, in Form eines weiteren schlechten Traums oder ähnlichem. Doch dann hielt ich es für besser, ehrlich zu ihm zu sein. „Die gesamte Nacht." „Die gesamte.." wiederholte er den Ansatz meiner Worte langsam und setzte sich schließlich auf. „Camilla, warum hast du nichts gesagt? Ich hätte.." „Ich werde nachher noch genügend Zeit haben, um diesen Schlaf nachzuholen, sobald ihr unterwegs seid." Unterbrach ich ihn, ehe er sich Vorwürfe über meinen fehlenden Schlaf machen konnte.

„Du warst also die gesamte Nacht wach, während ich selenruhig geschlafen habe?" fragte er verständnislos nach und ich gab lediglich ein entschuldigendes Nicken von mir. Natürlich hätte ich etwas sagen können, doch dann wäre Kiyan nun ebenso müde wie ich es war und das konnte ich nicht verantworten. Er musste so ausgeschlafen sein, wie es nur irgendwie möglich war und Schlaf spielte bei ihm ohnehin eine große Rolle. „Mach so etwas bitte nie wieder." Brummte er unzufrieden und griff daraufhin nach meiner Hand, was mir ein leichtes Lächeln entlockte.

Nachdem er einmal sanft meine Hand gedrückt hatte, erhob er sich schließlich aus dem Bett. Diesmal trug er sein Hemd nicht, da dies für ihn deutlich angenehmer war, als beim letzten Mal. Im dämmrigen Schein der Kerzenflamme, waren so jedoch auch die unzähligen Narben auf seinem Rücken zu sehen, die ich nur äußerst selten zu Gesicht bekam. Ihn selbst schien es kaum noch zu stören, dass diese Narben für mich sichtbar waren. In mir zog sich jedoch alles zusammen, wenn ich nur daran dachte, wie er aussehen würde, sollte er wirklich lebend vom Schlachtfeld zurückkommen. Lebend hieß schließlich nicht auch unversehrt.

„Liebend gerne würde ich noch ein wenig länger hier bei dir liegen bleiben, allerdings habe ich noch einiges zu erledigen, ehe wir losziehen können." Sagte er, sichtlich unerfreulich gestimmt. Dies nahm ich als Anlass, ebenfalls aus dem Bett zu steigen und die wenigen Meter die uns nun voneinander trennten, zu verringern. Kiyans Blick wanderte einen Moment über meinen Körper, ehe er ein Seufzen von sich gab. „Wahrlich bedauerlich, dass ich gehen muss." Nicht grundlos reagierte er so, denn ich trug ausgerechnet das Kleid, welches Phileas am vorigen Tag noch besonders angepriesen hatte. Ich trug es lediglich, um Kiyan ein wenig Freude vor seiner Abreise zu bereiten.

„Und du beschwerst dich über die widerlichen Gedanken deines Bruders?" fragte ich amüsiert und setzte einen sanften Schlag an seine Brust, als ich bei ihm ankam. Ihm entfuhr ein Lachen, ehe er einen flüchtigen Kuss auf meine Lippen setzte. „Ein weiterer Grund, mich auf meine Rückkehr zu freuen." Ein Zwinkern seinerseits deutete mir an, worauf er ansprach. „Kiyan!" rief ich entrüstet, woraufhin sich der König mit schnellen Schritten Richtung Tür bewegte. Lachend blickte ich ihm nach, bis er aus dem Raum verschwunden war und die Stille mich wieder umgab.

Kopfschüttelnd widmete ich mich dem Kleiderschrank in meiner Nähe und ließ meine Finger über die darin aufgehängten Kleider gleiten. Schließlich griff ich nach einem simplen dunkelblauen Kleid, welches mit langen Ärmeln versetzt war und in leichten Wellen zu meinen Füßen hinabfiel. Ich sollte mir keine Gedanken um mein Aussehen machen, dies tat ich selten. Auch damals im Dorf hatte ich keinen großen Wert auf meine Kleidung legen müssen. Doch wenn meine Hoffnung nicht ausreichen würde, um Kiyan lebend zurück zu bringen, würde dies das Letzte sein, was er an mir sah.

Ich warf mir das Kleid über und suchte anschließend nach meiner Haarbürste, um meine dünnen blonden Haare einigermaßen in Ordnung zu bringen. Gerade als ich damit fertig war und meine Haare in sanften Wellen über meine Schultern fielen, wurde die Tür meines Schlafgemachs geöffnet und Kiyan blickte durch den offenen Spalt hinein. „Verzeihung, hätte ich zuvor klopfen sollen?" fragte er mich, was ich mit einem amüsierten Kopfschütteln verneinte. „Ich denke, das ist nicht mehr notwendig."

Kiyan blieb in der nun geöffneten Tür stehen, streckte mir allerdings seine Hand entgegen. „Ich werde nicht gehen, ohne mich angemessen von dir verabschiedet zu haben." Ich blies noch die Kerze auf dem Nachttisch aus, ehe ich in meine halbhohen ebenfalls blauen Schuhe schlüpfte und schließlich seine Hand ergriff. „Eine bezaubernde Wahl, Liebste." Seine Worte brachten mir zum Erröten, was ich zu überspielen versuchte, in dem ich ihn auf seine eigene Kleidungswahl ansprach. „Ist dies nicht ein wenig zu kalt, um draußen im Schnee umherzuwandern?" Das Hemd und seine recht ordentlich wirkende Hose, kamen mir zu förmlich vor, für solch einen grauenvollen und verletzungsreichen Tag.

„Womöglich hast du Recht." Gab er schmunzelnd zu, während wir hinaus in den Gang schritten und uns der breiten Treppe in der Eingangshalle näherten. „Der Rest meines Aufzugs liegt noch.." begann er, stoppte dann aber plötzlich in seiner Bewegung und verstummte. Stirnrunzelnd sah ich mich in der Eingangshalle um, konnte jedoch nichts erkennen, was ihn zu diesem Handeln verleitet haben mochte. Sobald er stehen geblieben war, schob er mich sanft aber nachdrücklich hinter sich, wodurch die Verunsicherung in mir noch größer wurde.

„Was ist.." Kiyan brachte mich augenblicklich zum Schweigen, als er kurz in meine Richtung blickte und sich einen Finger an die Lippen hielt. Irgendetwas stimmte nicht. Eine gefühlte Ewigkeit standen wir auf diese Weise mitten auf der Treppe in der Eingangshalle und lauschten den Geräuschen um uns herum. Es war still. Nichts Ungewöhnliches für solch einen frühen Morgen innerhalb der Schlossmauern. Langsam setzte sich Kiyan wieder in Bewegung, schien sich allerdings noch nicht vollends sicher zu sein, dass alles in Ordnung war.

„Amalia." Sprach ich erleichtert aus, als die Genannte aus einem angrenzenden Gang heraustrat und uns verwundert entgegenblickte. Bei dem plötzlichen Klang meiner Stimme, zuckte Kiyan kaum merklich zusammen. „Wo ist Jurian?" fragte er sie direkt, sobald sie näher an uns herangetreten war. Amalia zuckte hierauf nur unwissend mit den Schultern. „Ich habe ihn heute Morgen noch nicht gesehen. Ich dachte, er wäre bei Phileas und hilft bei den Vorbereitungen." Kiyans Griff um meine Hand verstärkte sich ein wenig.

„Sieht es hier etwa nach Vorbereitungen aus?" Seine Stimme glich einem Knurren, welches seine Kehle verließ. „N-Nein?" antwortete sie zögernd, nachdem sie sich einen Augenblick umgesehen hatte. Nun fiel auch mir auf, was Kiyan so stark zu verunsichern schien. Es war nicht nur still um uns herum. Das gesamte Schloss musste vollkommen leer sein. Selbst die Wachen an den Eingangstoren waren verschwunden.

Die ZofeWhere stories live. Discover now