Hinter den Mauern

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Mein Puls sank langsam wieder in den Normalbereich und ich versuchte zu verstehen, was hier soeben geschehen war. Der König war kein besonders netter Mensch, das musste ich sicherlich nicht in Frage stellen. Ich blickte kurz um mich herum und bemerkte, dass auch die anderen Zofen wieder begannen, sich ihrer Arbeit zu widmen. Nur hatte sich zusätzlich eine bedrückende Stille über die Gänge und die Eingangshalle gelegt. Es war anders, als vor der Rückkehr des Königs. Man spürte regelrecht die Anspannung, die in der Luft lag.

„Wir hätten dich wecken sollen, es tut uns unendlich leid." Es war Amalia, die sich mir zugewandt hatte und mich nun mit einem schuldbewussten Ausdruck auf dem Gesicht ansah. „Es ist sicherlich nicht so dramatisch, wie es ausgesehen haben muss." Meinte ich mit einem leichten Lächeln, um ihr nicht noch mehr Schuldgefühle zu bereiten. Sie schwieg daraufhin einen Moment, blickte mich einfach nur an und wirkte dabei fast so, als ob sie noch etwas ergänzen wollte, nickte dann jedoch nur und wandte sich schließlich von mir ab. Ich machte mir nicht viel daraus.

Wenn ich mir weiterhin Gedanken darüber machen würde, was ich durch diesen kleinen Fehler ausgelöst hatte, würde ich womöglich keinen Fuß mehr außerhalb des Schlafsaals setzen. Aus diesem Grund schob ich diese bekümmernden Gedanken beiseite und konzentrierte mich auf die Aufgaben, die nun auf mich warteten. Meine Beine trugen mich fast automatsch zu dem Raum, wo unsere Reinigungsutensilien untergebracht wurden. Amalia würde der Königin ihren Tee bringen, sobald die Zeit dafür gekommen war. Ich war ein wenig erleichtert darüber, diese Aufgabe nicht selbst übernehmen zu müssen und wollte nicht einmal daran denken, wie dieser jungen Zofe nun zumute sein musste.

Ich griff nach einem mit flauschigen, weißen Federn besetzten Staubbesen und begann damit, die wenige Dekoration, die sich in der Nähe der Eingangshalle und den angrenzenden Räumen befand, zu entstauben. Wir hatten einen Großteil der Räume unter uns aufgeteilt, weshalb ich nun dafür zuständig war, diesen Teil des Schlosses sauber zu halten, solange keine wichtigeren Aufgaben anfielen. Den Speisesaal, die Waffenkammer und auch die Bibliothek, in der ich Phileas begegnet war, wurden von anderen Zofen und Gehilfen im Schloss hergerichtet. Noch war ich nicht lange genug an diesem Ort, um wichtigere Aufgaben zu übernehmen. Amalia war eine der wenigen Bediensteten, die in einem nahen Kontakt zu der Königsfamilie stand.

Durch die wenige Dekoration in Form von Vasen, Gemälden oder Skulpturen, war die Entstaubung der mir zugeteilten Räume in kürzerer Zeit erledigt, als ich zuvor angenommen hatte. Ich hatte die Arbeit so schnell wie möglich erledigen wollen. Einen weiteren Fehler durfte ich mir in nächster Zeit nicht erlauben. So gutherzig wie ich allerdings war, begann ich sogar damit, einen Teil der oberen Etage zu säubern und nahm somit einem der anderen Mädchen ein wenig Arbeit ab. Nur durch die unscheinbaren Fenster in der Nähe des Eingangstores bekam ich mit, wie die Sonne sich langsam über den umliegenden Feldern erhob und ihr annähernd goldenes Licht in die dunklen Hallen des Schlosses warf.

Außerhalb dieser Mauern wurde es kalt, der Winter würde wohl bald den Schnee heranbringen. Dennoch ließen diese wenigen hellen Sonnenstrahlen ein wenig Zufriedenheit durch meine Adern fließen. Ein klein wenig Wärme. Während ich so dastand und vom oberen Ende der Treppe in die Eingangshalle blickte, schien die Welt für einen Moment still zu stehen. Einen Augenblick lang wirkte alles unglaublich friedlich, so wie ich es aus dem Dorf kannte, wenn ich die Sonne dabei beobachtete, wie sie mit einem goldenen Schein über den Bergen emporstieg. Es war ein friedlicher Moment, an den ich mich in Zukunft noch gerne zurückerinnern würde. Eine der wenigen schönen Erinnerungen an diesen Ort.

„Ich danke dir, Camilla. Es gibt im Augenblick unsagbar viel zu erledigen, ich hätte das wohl nicht mehr rechtzeitig schaffen können." Hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir sagen und drehte mich zu Amalia um, wodurch die eben noch wahrlich stehengebliebene Zeit wieder weiterzulaufen begann. Sie warf mir ein erleichtert wirkendes Lächeln zu, ehe sie sich wieder von mir abwandte und den Gang weiter entlanglief, der zu den Gemächern der Königsfamilie führte. Sie trug ein Tablett mit Tee in den Händen, weshalb ich davon ausging, dass dieser für die Königin gedacht war.

Ich kannte den Ablauf nicht, der stattfand, wenn der König ebenfalls im Schloss anwesend war. Mir war nicht bewusst, ob es Änderungen in den bisherigen Abläufen gab oder dadurch zusätzliche Aufgaben anfielen. Zum anderen überkam mich die Neugier. Zugleich auch gemischt mit ein wenig Furcht, denn ich verspürte plötzlich das Verlangen, Amalia zu folgen. Ich gab diesem Verlangen nach, auch wenn mir ein wenig unbehaglich dabei zumute war. Die Fragen, die sich bisher in meinem Kopf eingenistet hatten, musste ich endlich beantworten können.

Die Zofe blieb vor der geschlossenen Tür des Schlafgemachs der Königin stehen, klopfte mithilfe der Spitze ihrer Schuhe und wartete schließlich darauf, hineingebeten zu werden. Eine Antwort darauf war nicht zu hören, doch die Tür wurde kurz darauf von einer mir nicht sichtbaren Person geöffnet und Amalia bekam die Möglichkeit, den Raum zu betreten. Zu meinem Glück wurde die Tür anschließend einen Spalt weit offen gelassen, wodurch ich mich etwas näher heranschlich und vorsichtig durch diesen offenen Türspalt spähte.

In dieser Situation erwischt zu werden, würde womöglich keine positiven Auswirkungen mit sich bringen. Meine Neugier trieb mich trotz dessen dazu, herauszufinden, was sich hinter diesen geschlossenen Türen abspielte. Ich musste herausfinden, ob die Gerüchte die ich über den König vernommen hatte, wirklich allesamt der Wahrheit entsprachen. Das erste was ich sah, war lediglich das schwarze Kleid mit der weißen Schleife am Rücken, welches Amalia trug. Doch dann bewegte sie sich in die Richtung des Bettes in dem die Königin lag und ihr bereits ein leichtes Lächeln entgegenbrachte. Selbst aus der Entfernung in der ich dies betrachtete, konnte ich erkennen, wie dieses Lächeln beinahe gequält wirkte.

Ich beobachtete Amalia dabei, wie sie näher herantrat, bis ich eine weitere Person neben dem Bett erkannte, die zuvor durch die Zofe verborgen geblieben war. Es war der König, der sie bei jeder kleinsten Bewegung genauestens beobachtete. Regelrecht herablassend. Es war nur ein Sekundenbruchteil notwendig. Nur dieser eine kleine Moment, von dem ich mir im Nachhinein wünschte, ihn niemals mitbekommen zu haben. Diese winzige Sekunde genügte, um das kleine bisschen Hoffnung zu zerstören, das ich in Bezug zum König gehabt hatte. Der kleine Funken Hoffnung, dass er lediglich einen schlechten Tag gehabt hatte und nicht den Gerüchten gerecht wurde, die über ihn im Umlauf waren.

Doch ich irrte mich. Dieser winzige Augenblick machte diesen Funken schlagartig zunichte. Denn während Amalia das Tablett, auf dem sich die Teetasse befand, auf dem kleinen Tisch neben dem Bett abstellen wollte, konnte ich in diesem Hauch einer Sekunde deutlich erkennen, wie der König, der nicht weit von ihr entfernt stand, sein Bein so positionierte, dass es nicht anders möglich war, als das sie über dieses stolpern musste. Es war absehbar, dass sie daraufhin für einen kurzen Moment das Gleichgewicht verlor.

Sie fing sich schnell wieder und fand zu ihrer Balance zurück, aber das Tablett mit dem Tee hatte sie nicht mehr rechtzeitig retten können. Es fiel, mitsamt des noch warmen Inhalts, auf die Decke unter der die Königin lag. Es war nichts, was einem großen Drama gleichkommen würde, dennoch hielt ich mir die Hand vor den Mund, um keinen Ton von mir zu geben. Für eine Sekunde herrschte Schweigen, während sich die Blicke von Amalia und der Königin zu kreuzen schienen. Niemand von ihnen sagte ein Wort. Erst als der König nach dem Arm der jungen Zofe griff, löste sie sich aus ihrer regelrechten Erstarrung. „Wie kannst du es wagen.." gab dieser in einem tiefen, fast schon bedrohlichen Tonfall von sich und schob Amalia mit solch einer Kraft in Richtung Tür, dass diese beinahe erneut das Gleichgewicht verlor.

„Es tut mir leid.. ich.." „Sollte ich auch nur davon hören, dass du dich in der Nähe dieses Schlosses aufhältst, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass du deine Familie nie wieder sehen wirst." Knurrte er beinahe und ließ ihr dadurch keine Zeit, um sich für dieses Missgeschick zu entschuldigen. Zumal es nicht einmal ihre Schuld gewesen war. Da sie der Tür bereits gefährlich nahe gekommen waren, entschied ich, dass ich mich nun selbst zurückziehen musste. Ich konnte nur davon ausgehen, dass er mich nicht besser behandeln würde, sollte er mich dabei entdecken, wie ich dies beobachtet hatte.

Weshalb ich mich mit eiligen Schritten wieder von der Tür entfernte, mich einem der Gemälde widmete, die dort an der Wand hingen und mich bemühte, so zu wirken, als hätte ich von all dem nichts mitbekommen, sondern hätte mich lediglich meiner Arbeit gewidmet. Keinen Sekundenbruchteil später, öffnete sich die Tür zum Schlafgemach der Königin und ich konzentrierte meinen Blick voll und ganz auf das Bild, während ich dieses mit dem Staubbesen entstaubte. Es folgten keine Worte mehr. Kurz darauf hallte ein lauter Knall durch den Gang, der mich regelrecht bis auf die Knochen erschaudern ließ. Die Tür war geschlossen worden, wodurch ich nun die Möglichkeit bekam, mich Amalia zuzuwenden. Diese jedoch, beachtete mich in keiner Weise, sondern lief starr an mir vorbei. In ihren Augen lagen Tränen, die sie wohl zu verbergen versuchte. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now