Rücksicht

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Es war angenehm und seltsam zugleich, ihm so nahe zu sein. Noch vor Monaten, war er unter einer einfachen Umarmung zusammengeschreckt und nun schien es ihn nicht einmal ansatzweise zu stören, dass ich sogar auf seinem Schoß saß. „Wie wäre es mit Frühstück?" fragte ich ihn, um meine Gedankengänge in eine andere Richtung zu lenken. Ich durfte nicht darüber nachdenken, was hier zwischen uns geschah, geschweige denn, was sich daraus entwickeln könnte. Es wäre falsch.

Ein unzufriedenes Murmeln gab er als Antwort von sich, obwohl sein Gesichtsausdruck bereits genug über seine Ansicht preisgab. „Könntest du Amalia bitten, etwas hinauf zu bringen?" stellte er als Gegenfrage und ich legte lachend den Kopf schief. „Damit du dich nebenbei weiterhin mit deiner Arbeit beschäftigen kannst? Ich sehe doch, dass du andauernd auf diese Unterlagen zu blicken versuchst." Damit hatte ich nicht ganz unrecht. Kiyans Aufmerksamkeit lag ohne Zweifel auf mir, doch der neu gekrönte König in ihm, konnte nicht verhindern, seinen Blick unentwegt wieder zu diesen Dokumenten wandern zu lassen. Auch, wenn er dies selbst nicht zu merken schien.

Ertappt löste er seine Arme von meiner Taille und schob mich stattdessen von sich hinunter, ehe er sich selbst von dem Stuhl erhob. „In Ordnung. Ich gebe mich geschlagen, Camilla." Sein Schmunzeln machte mir deutlich, dass er meine Idee nicht für so schlecht hielt, wie er andeutete. „Allerdings denke ich, dass du dafür ein wenig zu dünn gekleidet bist." Ich blickte stirnrunzelnd an mir hinunter. Das Kleid welches ich trug, war für einen vollkommen normalen Tag im Schloss gänzlich ausreichend.

Er näherte sich mir wieder ein Stück und beugte sich so weit zu mir hinab, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. „Wenn die verehrte Dame darauf besteht, mit mir zu frühstücken, werde ich dementsprechend entscheiden, wo dies stattfindet." Ich verzog leicht das Gesicht, da ich mir nicht vorstellen konnte, was für einen Ort Kiyan sich dafür hatte einfallen lassen. Denn wenn ich dafür zu dünn gekleidet war, musste es ein Ort sein, an dem ich ohne Umschweife frieren würde.

„Womöglich sollte ich einen Mantel mitnehmen." Gab ich murmelnd nach und begab mich schließlich auf den Weg Richtung Tür. Kiyan hielt mich nicht zurück, im Gegenteil. Er trat sogar einen Schritt zur Seite, um mir dabei nicht im Weg zu stehen. „Wir treffen uns unten in der Eingangshalle. Ich werde derweil Amalia bitten, uns etwas zurechtzulegen." Hörte ich ihn noch, mit dem deutlichen Klang eines Schmunzelns sagen, bevor ich sein neues Schlafgemach schließlich verließ.

„Du bist recht früh wach, Cami." Hörte ich plötzlich eine andere Stimme, sobald Kiyans Tür hinter mir ins Schloss fiel und ich mich nun im Gang davor befand. Jurian lehnte mit verschränkten Armen in der Nähe meiner eigenen Zimmertür, einige Meter von mir entfernt, blickte allerdings mit einem skeptischen Ausdruck in seinem Gesicht zu mir hinüber. Da ich mit ihm sprechen wollte und ohnehin meinen Mantel holen musste, setzte ich mich wieder in Bewegung, geradewegs auf ihn zu. Jurian deutete auf die geschlossene Tür direkt neben sich. „Ich bin lediglich ein paar Minuten nicht da und du verschwindest kommentarlos."

Ich schwieg solange, bis ich bei ihm ankam und meine Hände auf seine vor der Brust verschränkten Arme legen konnte, um diese zu lösen. „Dass du äußerst kreativ bist, habe ich schon immer gewusst, Juri." Nun war er es, der verwirrt die Stirn runzelte. „Die unzähligen Blumen und Pflanzen. Ich habe sie gesehen, als ich bei Sonnenaufgang für eine Weile hinuntergegangen bin." Ihm schien ein Licht aufzugehen, als ich dies sagte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde augenblicklich sanfter. „Es war nicht meine Idee, sondern die von Kiyan."

Ich nickte wissend. So hatte ich es bereits von ihm erfahren. Dennoch war ich froh, ihn nun selbst darauf ansprechen zu können. „An den Chrysanthemen habe ich erkannt, dass du beteiligt warst." Jurians Mundwinkel hoben sich zu einem leichten Lächeln. „Sie haben mich ebenso an dich erinnert, Cami. Außerdem erinnern sie mich an Zuhause." Bei seinem letzten Satz schmerzte etwas in meinem Inneren. Natürlich betrachtete er dieses Schloss nicht als sein wahres Zuhause. Er war schließlich nur hier, weil auch ich es war.

Die ZofeWhere stories live. Discover now