Besuch aus dem Schatten

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Es vergingen einige Tage, während diese Hütte, welche Amalia bereits bewohnt hatte als wir dort ankamen, zu unserem neuen Zuhause wurde. Es war nicht leicht, sich nach der Zeit im Schloss, wieder an dieses einfache Leben zu gewöhnen. Ein Leben, welches Jurian und ich eigentlich seit unserer Kindheit kannten. „Es würde dir sicherlich guttun, für eine Weile vor die Tür zu gehen." Hörte ich Amalias Stimme, während mein Blick auf den winzigen Spiegel gerichtet war, welcher direkt vor mir an der schäbigen Wand im Inneren der Hütte hing.

Meine blonden langen Haare waren zerzaust und hingen nicht mehr wie früher, in lockeren Wellen hinunter. Man könnte meinen, sie kämen einem Vogelnest gleich. Doch das war es nicht, was meinen Blick auf sich gefangen hielt. „Es geht mir doch bereits gut." Gab ich monoton als Antwort zurück, während ich durch den Spiegel hindurch die zahlreichen dunklen Flecken, einige bereits langsam wieder verblassend, begutachtete. Das leichte Stoffkleid, welches ich seit dem Tag unserer Bestrafung trug, hatte ich ein wenig angehoben, um mir die betroffenen Stellen darunter anzusehen. Die Gegend, in der der Schmerz am schlimmsten war.

„Belüg dich nicht selbst, Camilla." Ich tastete vorsichtig den dunklen Fleck in meiner Bauchgegend ab und verzog dabei ein wenig das Gesicht, als der Schmerz sich erneut bemerkbar machte. Amalias Aussage ignorierte ich wissentlich. Ich wusste nur zu gut, dass ich log. Auch wenn sich Jurian in diesem Moment nicht in der Hütte aufhielt, wollte ich ihm keinen Grund geben, um sich noch mehr Sorgen zu machen, als er ohnehin bereits tat. „Die Sonne steht schon ziemlich tief. Jurian sollte bald zurückkommen."

Obwohl ich versucht hatte, ihn davon abzuhalten, hatte er den Entschluss gefasst, die Gegend alleine zu erforschen und zeitgleich etwas Zeit für sich zu nehmen. Die Hütte war nicht sehr groß und mit drei Personen darin, fehlte mehr als deutlich, jede Spur an Privatsphäre. Es war verständlich, dass er sich nach all dem, einen ruhigen Ort suchen wollte, wo er ungestört über alles nachdenken konnte. Ich hätte dies ebenfalls gerne getan. Doch stattdessen stand ich noch immer hier vor diesem winzigen Spiegel und beobachtete die Reflexion meines Selbst.

Immer wieder wunderte ich mich erneut darüber, wie schnell sich das Leben verändern konnte. Von einen auf den anderen Tag befand man sich als königliche Zofe im Schloss und wiederum an einem anderen Tag, wurde man zu Boden getreten und als Verräterin aus dem Königshaus verbannt. Es war so viel, so plötzlich geschehen, dass ich mit meinen Gedanken daran, nicht gänzlich hinterher kam. Wären meine Eltern enttäuscht, wenn sie mich in dieser Situation sehen würden? Hätten sie mich ebenfalls für meine Taten verurteilt?

„Camilla!" Helenes Stimme war lauter geworden. Die Gedanken hatten mich soweit mitgerissen, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie sie weiterhin mit mir sprach. Ich wandte meine Aufmerksamkeit von dem Spiegel ab und ließ mein Kleid wieder herabfallen, ehe ich dieses ein wenig glatt strich. Es war ohnehin nur noch ein trauriges Stück Stoff, welches an mir herunterhing. Der anfängliche Glanz darin, war verschwunden. Nun erkannte man mich wieder als den Menschen, zu dem ich bestimmt war, zu sein. Ein mickriges Bauernmädchen.

Das waren die ausgesprochenen Gedanken des Königs gewesen. Obwohl ich niemals gedacht hätte, dies einmal zuzugeben, begann ich langsam, seinen Worten Glauben zu schenken. „Das darf doch nicht wahr sein.." Amalia griff achtlos nach meinem Handgelenk und zog mich schließlich mit sich Richtung Tür, wodurch sie mich aus meinem erneuten Gedankenstrom riss. Ich wusste nicht, woher diese Gedanken plötzlich kamen, doch ich ließ sie einfach zu und betrachtete sie lediglich von außen.

Ich hielt mir eine Hand über die Augen, als die vereinzelten Strahlen der langsam untergehenden Sonne, durch das Blätterdach hindurch auf uns hinabfielen. Es war hell, viel zu hell. Nach all dem Regen, hatte ich nicht erwartet, dass die Sonne noch einmal hervorkommen würde. „Du hast diese Hütte seit dem Tage eurer Ankunft nicht mehr verlassen. Das kann ich nicht mehr mit ansehen." Versuchte die ehemalige Zofe mit den dunkelbraunen Haaren mir zu erklären, ehe sie mein Handgelenk losließ. Ihr Blick wirkte nun anders als an dem Tag unserer Ankunft. Als würde sie etwas an mir sehen, was ihr Sorgen bereiten würde.

„Du siehst grauenvoll aus, Cami." Schallte nun eine andere Stimme zu mir herüber, die mir durchaus bekannt war. Als ich mich in Jurians Richtung drehte, legte sich der Hauch eines Lächelns auf meine Lippen. Es war beruhigend, zu sehen, dass er in einem Stück zurückgekehrt war. „Bitte entschuldigen Sie mein geschändetes Auftreten, gnädiger Herr." In meiner Stimme lag eine Spur von Belustigung. Jurian trat näher, ließ seinen Blick erst einen Moment über mich schweifen, ehe er seine Arme um mich schloss und mich in eine Umarmung zog.

„Ist alles in Ordnung?" Meine Stimme war nun leiser als zuvor und trug Ernsthaftigkeit mit sich. Es lag nicht fern, dass man sich in diesem Wald schnell verlaufen konnte. Nur vorsichtig erwiderte ich seine Umarmung, bedacht darauf, seinen Rücken nicht zu berühren. Ich wollte ihm nicht noch mehr Schmerzen zufügen. „Es würde mir besser gehen, wenn ich dich wieder lächeln sehen würde." Kam es mit einem ebenfalls leisen Murmeln von ihm zurück. Ich hob den Kopf ein wenig um ihn ansehen zu können und ließ ein Lächeln auf meinen Lippen erscheinen.

Jurian schüttelte jedoch den Kopf, als er dies sah. Auch in seinem Blick lag nun Besorgnis, so wie ich es bereits bei Amalia festgestellt hatte. „Ein wahres Lächeln, Cami. Nicht.. so etwas.." Das aufgesetzte Lächeln verschwand aus meinem Gesicht, doch ehe ich etwas darauf erwidern konnte, erklang ein Räuspern neben uns, was meine Aufmerksamkeit für sich gewann. „Ich werde nun hineingehen.. bitte seid vorsichtig, wenn ihr noch länger hier draußen bleiben wollt."

Amalias Blick wechselte zwischen mir und Jurian, bis sie schließlich nach unserem gefolgten Schweigen ein Nicken hinzufügte und sich in Bewegung setzte. Ich löste mich aus der Umarmung, sobald Amalia außer Sichtweite war, löste jedoch nicht den Blickkontakt mit Jurian. Womöglich hatte Amalia recht. Es war nicht sicher genug, sich hier draußen aufzuhalten, sobald die Dunkelheit hereingebrochen war. Doch bis zu diesem Zeitpunkt, war noch ein wenig Zeit. „Ich frage mich, ob deiner Familie mitgeteilt wurde, was geschehen ist."

Meine Worte ließen Jurians Blick etwas düsterer werden. Ich hatte mir bereits gedacht, dass er nicht darüber sprechen wollte. Dass meine dunklen Gedanken auf ihn übergingen, war nicht meine Absicht. Ich wollte mir lediglich von der Seele reden, wovon ich dachte, dass es wichtig war, darüber zu sprechen. „Unter der Herrschaft dieses Königs..? Ich bin mir nicht sicher." Seine Worte waren vorsichtig formuliert. Beinahe so, als hätte seine Antwort Auswirkungen darauf, was mit seiner Familie geschah. Der König war nicht in unserer Nähe, daher war es nicht von Bedeutung, ob und wie wir über ihn sprachen.

„Hast du Schmerzen?" wechselte Jurian abrupt das Thema, weshalb ich mich schließlich von ihm abwandte und meinen Blick durch den Wald schweifen ließ. „Nein." Nur ein Wort, mehr würde er von mir nicht als Antwort erhalten. Nach der Fragerei von Amalia, war mir die Lust vergangen, noch länger über meinen Gesundheitszustand zu diskutieren. „Cami.." ich spürte eine Berührung an meinem Arm, zog diesen jedoch augenblicklich zurück, sodass die Berührung verschwand. „Es geht mir gut."

„Bitte entschuldige, doch es sieht nicht so aus, als wäre.." sprach er weiter und ich drehte mich schlagartig zu ihm um. Mein eisiger Blick, mit dem ich ihn nun anstarrte, ließ ihn verstummen. Für uns beide gab es Dinge, über die wir nicht sprechen wollten. Jurians Familie war das eine, mein Wohlbefinden das andere. Wir mussten damit leben, was geschehen war. Ob wir dies nun wollten, oder nicht. Ein plötzliches Geräusch aus dem Wald neben uns, ließ mich zusammenzucken und unsere eben gewechselten Worte vergessen. Unsere Unterhaltung machte mich schreckhaft. Es konnte nur ein Tier gewesen sein, in diesen Wald würde sich womöglich niemand ohne Grund verirren. Dieser Gedanke beruhigte mich wieder ein wenig.

Doch als das Geräusch erneut erklang und diesmal regelmäßiger zu hören war, wie ein stetiges Rascheln aufgrund des mit Blättern bedeckten Waldbodens, legte sich doch die Nervosität über mich. Die Neugierde aus meiner Kindheit, wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden, als ich einen Fuß vor den anderen setzen wollte, um nachzusehen, woher dieses Geräusch kam. Jurian ergriff jedoch schlagartig meinen Arm und zog mich zu sich, hinter den breiten Stamm eines Baumes, der zu unserem Glück, unsere beiden Körper gänzlich hinter sich verbarg. „Amalia!" Mein erschrockener Aufschrei wäre durchaus hörbar gewesen, hätte Jurian mir nicht im selben Augenblick seine Hand vor den Mund gehalten. Die Stimme war tief und klang förmlich wie aus purem Eis. Eine Gänsehaut legte sich über meinen Körper. Dieser Mann, wer auch immer er war, schien uns nicht freundlich gesinnt zu sein. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now