Zwischen Sieg und Versagen

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Ohne Opfer, konnte es keinen Sieg geben.

Noch während mir dieser Gedanke in den Sinn kam, wurden die beiden Tragen von zwei Wachmännern angehoben und an uns vorbei transportiert. Ich vermied es, meinen Blick auf diese zu werfen. Vielmehr blickte ich wie versteinert auf Kiyan, der den Wachmännern stumm hinterher sah. Mein Verstand wollte es erst nicht wahrhaben, doch sobald dies geschah, stiegen mir Tränen in die Augen. Die Zeit schien still zu stehen, als ich mich wieder in Bewegung setzte und mit schnellen Schritten zu Kiyan lief.

Ich zog ihn in eine Umarmung, konnte jedoch den Widerstand spüren, der von ihm ausging. So, wie es zu Beginn meiner Zeit im Schloss gewesen war. Weder konnte, noch wollte ich in diesem Augenblick etwas sagen. Mir fehlten die Worte. „Camilla." Seine leise, raue Stimme brachte mich dazu, meinen Blick anzuheben und ihn anzusehen. „Was ist geschehen?" fragte ich ihn unter Tränen, doch er schüttelte lediglich leicht den Kopf. Die Tränen in seinen Augen waren verschwunden und das Grau dieser, lag nun wie ein eisiger Wintersturm auf mir.

Sanft schob er mich zurück, ehe er meine Hände ergriff. In Gedanken versunken blickte er hinab auf diese und strich mit dem Daumen über meine Handinnenfläche, wo sich die Narbe befand, die er mir damals versehentlich zugefügt hatte. „Könntest du mich einen Moment alleine lassen? Ich möchte dir nicht wehtun." Seine Stimme war so leise, dass niemand der Umstehenden sie hätte hören können. Erst nachdem er dies ausgesprochen hatte, kreuzte sich sein Blick wieder mit dem Meinen.

Kiyan alleine lassen? In solch einem Moment? Es kam mir falsch vor. Der Gedanke an Jurian schob sich derweil weit hinein in mein Unterbewusstsein. Von Bedeutung war nur, dass Kiyan seinen Bruder verloren hatte. Die einzige Person, die er in all den Jahren unentwegt hatte beschützen wollen. Nach einem kurzen Nicken meinerseits, löste er seinen Griff um meine Hände und bewegte sich auf die breite Treppe zu, die in das obere Stockwerk hinaufführte. Erst sobald er aus meinem Sichtfeld verschwunden war, blickte ich mich in der Eingangshalle um.

Ich war nicht allein. Calliope stand am anderen Ende der Halle und beobachtete mich mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck. Trotz des Anschlags im Schloss, schien sie keinen einzigen Kratzer abbekommen zu haben. Als sie bemerkte, dass ich sie entdeckt hatte, hoben sich ihre Mundwinkel ein wenig und sie zog sich mit einer angedeuteten Verbeugung aus meinem Blickfeld zurück. Mit ihr stimmte etwas nicht. Dieses Bauchgefühl hatte ich bereits gespürt, als ich ihr das erste Mal begegnet war. Wie hatte sie den Anschlag so unbeschadet überstehen können, wenn selbst Amalia und Keylam nicht ungeschoren davongekommen waren?

Jeder Gedanke durchwühlte meinen Kopf, nur nicht die, die mich an das soeben Gesehene erinnerten. Dass ich Phileas und Jurian dort hatte liegen sehen, kam mir wie ein Traum vor. Ein simpler Traum, der durch meine Angst produziert worden war. Denn nun lag die Eingangshalle wieder im Stillen vor mir, während die restlichen Bediensteten damit zugange waren, das Chaos nach dem Anschlag wieder zu beseitigen. Ich konnte nicht warten und dabei zusehen, wie sie dies taten. Nicht, während Kiyan dort oben vollkommen alleine mit diesem Schmerz zurechtkommen musste.

Unruhe machte sich in mir breit und ich beschloss, zu ihm hinauf zu gehen. Trotz seinem Wunsch, ihn alleine zu lassen, kam mir der Gedanke nicht richtig vor, in solch einem Augenblick nicht bei ihm zu sein. Selbst wenn ich mich nur in seiner Nähe aufhalten würde, ohne ein einziges Wort von mir zu geben. Nachdem ich die Treppe erklommen hatte, bewegte ich mich geradewegs auf die Tür des Königs zu. Jedoch kam ich nicht weit, als ich feststellte, dass die Tür zu Phileas' Schlafgemach einen winzigen Spalt weit geöffnet war.

Meine Schritte verlangsamten sich, ehe ich mich dieser Tür näherte und sie schließlich ein wenig weiter öffnete, um hineinsehen zu können. Kiyan saß auf der Kante des Bettes seines Bruders und hatte den Blick auf etwas hinab gesenkt, was sich in seinen Händen befand. Es war einer der Teddybären, wie ich beim genaueren Hinsehen feststellen konnte. „Du solltest nicht hier sein, Camilla." Kiyan hatte sich mir zugewandt, als er mein Erscheinen bemerkt hatte. Mit einem leichten Kopfschütteln trat ich jedoch in den Raum hinein und schloss die Tür hinter mir.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt