Der Mantel

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„Gab es ein Problem mit Jurian?" fragte Kiyan plötzlich in die Stille hinein, womit er mich augenblicklich aus meinen Gedanken riss. Mehr als diese Frage, verwirrte mich die Tatsache, dass er etwas von unserem Gespräch mitbekommen haben musste, obwohl Phileas nach unserer Unterhaltung nicht mehr zu seinem Bruder hinaufgegangen war. „Phileas war vorhin bei mir und hat zufällig mitbekommen, dass ihr miteinander gesprochen habt." Dabei deutete er zu den Fenstern, bei denen die Vorhänge nicht gänzlich zugezogen waren. Aus diesem Zimmer war es womöglich ein Leichtes, den Garten und das Treiben dort unten zu beobachten. Warum hatte ich nicht direkt daran gedacht? 

„Er wollte nachsehen, warum Jurian nicht auf seinem Posten ist. Ist alles in Ordnung?" Bei den letzten Worten, wandte er nun doch seinen Blick von den Dokumenten auf dem Schreibtisch ab und drehte sich vollends in meine Richtung, wodurch sich unsere Blicke für einen Augenblick kreuzten. Automatisch setzte ich ein leichtes Lächeln auf, um zu überspielen wie überrascht ich darüber war, dass dies der Grund sein musste, warum er mit mir sprechen wollte. Phileas hatte also doch davon gewusst und hatte mich demnach angelogen. Durchaus hatte er das Gespräch zwischen Jurian und mir mitbekommen und war nur aus diesem Grund in den Garten hinunter gegangen.

„Wir haben uns eine Weile nicht gesehen, das scheint ihn zunehmend zu stören." Versuchte ich eine geeignete Ausrede dafür zu finden, warum Jurian sich unerlaubt in meiner Nähe aufgehalten hatte. Mir war bereits zuvor gewusst gewesen, dass er mit solch einem Verhalten irgendwann Aufsehen erregen würde. Kiyan schien meinen Worten keinen vollen Glauben zu schenken, ließ diese Antwort jedoch mit einem Nicken auf sich beruhen. „Ihr dürft euch nicht dauerhaft begegnen, geschweige denn, miteinander sprechen. Das war Vater's Bedingung, damit er bleiben kann."

Schuldbewusst nickte ich und trat langsam ein paar Schritte von Kiyan zurück, um mich den Fenstern zu nähern, durch die Phileas uns beobachtet haben musste. Es ähnelte einer Spur von Enttäuschung, die ich in Kiyans Gesichtsausdruck ablesen konnte. Obwohl ich dieses Gespräch zwischen Jurian und mir zu unterbinden versucht hatte, fühlte ich mich schuldig und konnte ihm nun nicht in die Augen sehen. „Sobald Vater von seiner Reise zurückgekehrt ist, sollte Jurian solche kleinen Ausflüge zu dir unterlassen. Er riskiert es, dass Vater ihn noch hinauswirft, sollte er davon mitbekommen."

„Du wirst es ihm nicht erzählen?" fragte ich nach und drehte mich mit einem beinahe hoffnungsvollen Blick zurück in seine Richtung. Kiyan schüttelte den Kopf, als sich mein Blick wieder mit seinem kreuzte. „Er muss für sich selbst entscheiden, ob er dieses Risiko weiterhin eingehen möchte. Er sollte lediglich bedenken, dass auch du darunter leiden wirst. Ich möchte sein Fehlverhalten damit nicht unterstützen, Camilla. Du solltest nur nicht für etwas in Mitleidenschaft gezogen werden, wofür du nicht verantwortlich bist."

Diese Worte ergaben durchaus Sinn und machten mir nun deutlich, dass er Jurian in Ruhe lassen würde, obwohl er ihm nicht traute. Nur war ich der Grund, weshalb er seinem Vater kein Wort darüber erzählen würde. Zu meinem Schutz? In gewisser Weise war dies durchaus paradox. „Mir ist es allerdings auch nicht gestattet, mich in eurer Nähe aufzuhalten, dennoch bin ich nun hier und es scheint dich nicht sonderlich zu stören." Dies war der Punkt, den ich nach seinen Erklärungen nicht verstand.

Zu meinem Schutz würde er Jurians Fehlverhalten nicht melden und doch störte es ihn nicht, wenn er und sein Bruder selbst diese Regeln umgingen, indem ich mich in deren Nähe aufhielt. Das konnte nicht gerecht sein. Noch während ich sprach, wandte Kiyan den Blick von mir ab und blickte für einen Moment förmlich ins Leere. Er schien über meine Worte nachzudenken, jedoch gab er keine Erklärung von sich. Mir war durchaus bewusst, dass ich ihn und Phileas nicht mehr würde sehen können, sobald der König zurück war. Es stimmte mich ein wenig traurig, wir hatten trotz der Umstände, eine schöne Zeit zusammen verbracht.

Die ZofeWhere stories live. Discover now