Insomnia

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Ich war sprachlos. War zu überwältigt von dem Wissen, dass Jurian wirklich hier war und wohl die Absicht hatte, mich hier rauszuholen. „Juri.. du verstehst das nicht." Begann ich, doch er unterbrach mich direkt, wobei seine Stimme einen gereizten Unterton beinhielt. „Was verstehe ich nicht, Cami? Dass diese Familie dich hierher verschleppt hat und dafür sorgen wird, dass du den Rest deines Lebens kein Tageslicht mehr sehen kannst?" Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Kannst du denn nicht sehen, wie sie dich manipulieren?"

Was mich dazu bewegte, war mir nicht gänzlich klar, doch ich zog meine Hände langsam zurück und löste diese somit von den Seinen. „So ist es nicht." Über Jurians Gesicht zog sich ein dünner Schatten, als sich die Berührung zwischen uns auflöste. „Ich bin freiwillig mit ihnen hierhergekommen. Es steht mir jederzeit frei zu gehen, wenn es mein Wunsch ist, Jurian. Doch ich will es nicht. Ich werde nicht gehen." Daraufhin legte sich einen Moment die Stille über uns, während ich förmlich an Jurian's Gesichtsausdruck erkennen konnte, wie er versuchte, meine Worte zu verstehen.

Seit meiner Ankunft gab es keinen Tag, an dem ich nicht daran gedacht hatte, hier zu verschwinden. Besonders als ich erkannte, welche Familie dies hier wirklich war. Ich erinnerte mich jedoch stets an Phileas Worte und auch das, was Kiyan über Phileas gesagt hatte, war mir im Gedächtnis geblieben. Diese Familie war nicht perfekt, im Gegenteil, und es würde sicherlich nicht einfach werden, dauerhaft hier zu leben. Doch Kiyan brauchte Hilfe und ich würde Phileas' Bitte nicht ausschlagen, zumal ich seinen hohen Stand dabei durchaus nicht vergaß.

„Was haben sie nur mit dir gemacht?" kam es leise von Jurian, während sein Blick noch immer auf mir lag. Ich wusste nicht, was er damit meinte. An mir selbst, konnte ich keine große Veränderung feststellen. „Du hättest nicht mit ihnen mitgehen sollen.. sieh dich doch einmal um, das hier bist doch nicht.." begann er schließlich, wurde jedoch von einer dumpfen Stimme unterbrochen, die plötzlich innerhalb des Kerkers zu hören war und Jurian verstummte augenblicklich. Wir waren nun nicht mehr alleine in diesen Gängen.

Mein Herz begann zu rasen, bei dem Gedanken daran, was geschehen könnte, wenn man mich hier bei Jurian entdecken würde. Viel Zeit blieb mir nicht, denn ich hörte bereits die dumpfen Schritte auf dem kalten, steinigen Boden stetig näherkommen. „Wenn du bleibst, dann bleibe ich auch." Meine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu Jurian, der diese Worte nur leise, regelrecht flüsternd von sich gegeben hatte. Mein Gesichtsausdruck sprach wohl für sich, denn als ich ihm widersprechen wollte, antwortete er mit nur wenigen, dafür jedoch klaren Worten. „Du hast deine Wahl bereits getroffen, Camilla. Jetzt treffe ich meine."

Antworten konnte ich darauf nicht mehr, da die dumpfen Schritte unaufhaltsam näher kamen und ich mir sicher war, dass diese Person schon bald hier auftauchen würde. Ich vermutete, dass es der Wachmann sein musste, der zuvor noch auf dem klapprigen Stuhl an der Tür zum Kerker gesessen und seelenruhig geschlafen hatte. Nur für einen kurzen Moment blickte ich Jurian noch an, sah den entschlossenen Ausdruck in seinen Augen und wusste, dass er diese Worte durchaus ernst meinte.

Dann setzte ich mich in Bewegung und brach den Blickkontakt zwischen und ab. Ich würde nun mit dem Gewissen leben müssen, Jurian in dieses seltsam verzwickte Leben hineingezogen zu haben. Denn es würde nicht lange dauern, bis einer der Brüder oder womöglich auch der König zu ihm hinuntergehen würden, um erfahren zu wollen, wonach er suchte. Niemand wollte freiwillig in einem Kerker sitzen und mir war unschlüssig, wie es mit ihm weitergehen würde. In diesem Augenblick machte ich mir mehr Sorgen darum, was mit ihm geschehen würde, als darum, ob ich meine Pflichten erfüllte.

Nachdem ich den Gang mit Jurians Zelle verlassen hatte und kurz darauf wieder am Eingang des Kerkers ankam, bestätigte sich meine Vermutung. Die Tür des Kerkers stand offen, der Stuhl der davor im Gang stand, war leer. Es musste also wirklich der Wachmann gewesen sein, der nun zu Jurian unterwegs war. Lediglich ein Kontrollgang, wie ich vermutete. Doch dadurch erleichterte er mir das unbemerkte Verschwinden, weshalb ich ohne Probleme wieder den Kerker verließ und mit vorsichtigen Schritten den Gang weiter entlang tappte.

Die Tage der darauffolgenden Wochen, waren diesem sehr ähnlich. Mit der Zeit merkte ich mir die Zeiten, in denen die Wachmänner ihre Kontrollrunde machten und konnte so unbemerkt in den Kerker hinein und wieder hinaus gelangen. Meist mitten in der Nacht, wenn alle schliefen und ich ohne Aufsehen zu erregen, durch die Gänge wandern konnte. Während des Tages erledigte ich meine Pflichten, tat dies, was mir zugetragen wurde und ließ mir von meinen nächtlichen Ausflügen weitestgehend nichts anmerken.

Nachdem ich durch Jurian erfuhr, dass er dort unten kaum etwas zu Essen bekam, geschweige denn, dass generell jemand nach ihm sah, beschloss ich nach nur wenigen Tagen, etwas aus der großen Schlossküche mit zu ihm hinunter zu nehmen. Dies war der schwierigste Teil, doch es gelang mir glücklicherweise jedes Mal, ohne, dass ein Fehlen von Lebensmitteln auffiel. An all den Tagen, auch nach Wochen, in denen ich mich jeden Tag zu ihm nach unten schlich, berichtete er mir stets, dass weder Kiyan, noch sein Bruder oder der König selbst bei ihm gewesen waren. Sie schienen ihn regelrecht hier unten vor sich hin vegetieren zu lassen. Auch innerhalb der Gespräche des Personals, konnte ich keine Anzeichen darauf heraushören, dass jemand etwas von seiner Anwesenheit mitbekommen hatte.

„Camilla?" eine plötzliche Berührung an meinem Arm und das Erklingen dieser Stimme, riss mich aus meinen Gedanken. Während meiner Arbeit wurden meine Gedanken oft zu Jurian gelenkt, der sich dort unten, innerhalb dieser kalten Steinmauern jederzeit den Tod holen konnte. Glücklicherweise hatte man ihm seinen Mantel und die halbwegs warme Kleidung nicht abgenommen, somit konnte er sich zumindest ein wenig warm halten. Ich drehte meinen Kopf in Phileas' Richtung und blickte zu ihm hinunter. Sein Blick kreuzte meinen und seine strahlend grünen Augen wirkten besorgt. „Du wirkst ein wenig müde.. geht es dir gut?"

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie auch Kiyan nun seinen Kopf hob und in unsere Richtung sah. Wir befanden uns im Speisesaal und ich war damit zugange, diesen für die Mahlzeit am Morgen vorzubereiten. Das Königspaar war noch nicht anwesend, wodurch es durchaus einfacher war, sich miteinander zu unterhalten, ohne stetig das Gefühl zu haben, unter Beobachtung zu stehen. „Natürlich." Antwortete ich ihm, so überzeugt wie möglich, wobei sich meine Mundwinkel ein wenig hoben, um ihm dies zu bestätigen. Obwohl ich wusste, dass die dunklen Schatten unter meinen Augen etwas gänzlich anderes sagten.

Ich schlief deutlich weniger. Anfangs war es mir schwergefallen, am frühen Morgen aufzustehen um meinen Pflichten nachzugehen, wenn ich in der Nacht bei Jurian im Kerker gewesen war. Doch mit jedem Tag wurde es leichter und es hatte sich nun schon regelrecht zu einer Routine entwickelt. Allerdings litt mein Schlaf stark darunter. Gelegentlich fielen mir sogar mitten in einem Gespräch mit Juri die Augen zu. Ich war unglaublich müde aber um ihm in diesem dunklen Loch ein wenig Gesellschaft zu leisten, musste ich eben auf meinen Schlaf verzichten.

Kiyan hatte recht behalten. Phileas gefiel es ganz und gar nicht, dass man mir diese Müdigkeit ansehen konnte, woraus er wohl die Schlussfolgerung gezogen haben musste, dass ich zu wenig schlief. Aus diesem Grund ließ er nach meinem zügigen Abstreiten auch nicht direkt meinen Arm wieder los. „Nimm dir den Rest des Tages frei, Camilla... und das ist keine Bitte." Dies gefiel mir nicht einmal annähernd und damit war ich wohl nicht die Einzige. Jedoch gab ich mit einem Nicken nach, woraufhin er schließlich meinen Arm wieder losließ und sein Gesichtsausdruck sich ein wenig entspannte. „Bist du von Sinnen, Phileas? Wenn Vater mitbekommt, dass du sie ständig freistellst, wirft er sie raus."

Diese nicht sehr erfreut wirkenden Worte kamen von Kiyan, der seinen Bruder nun mit einem ungläubigen Kopfschütteln entgegenblickte. Mehr konnte ich nicht erkennen, da ich mich schließlich von ihnen abwandte, um den Speisesaal zu verlassen, so wie Phileas es mir zugetragen hatte. Ein freier Tag war genau das Gegenteil von dem, was ich wollte. Wenn ich nicht beschäftigt war, wurden die Gedanken und Gewissensbisse in meinem Kopf nur noch lauter und auch die Brüder schienen mittlerweile geteilter Meinung zu sein.

„Das ist mir bewusst, Kiyan. Dennoch wird es einfacher zu erklären sein, als die Müdigkeit in ihren Augen, solltest du das übersehen haben. Du weißt genauso gut wie ich, dass Vater so etwas nicht sehen will. Sollte er das mitbekommen, sitzt sie sofort außerhalb dieser Mauern." Nach diesen Worten schloss ich leise die Flügeltür des Speisesaals hinter mir. 

Die ZofeWhere stories live. Discover now