Lorentina

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Der Regen prasselte nur so auf uns nieder, während wir die Pferde vorsichtig über den schlammigen Untergrund führten. Auf dem Weg zurück zum Schloss, hatte sich der Himmel immer weiter verdunkelt. Nur wenige Augenblicke, nachdem wir den Wald erreicht hatten, brach der Regen vollends aus den Wolken und ließ die ersten vereinzelten Blitze über uns hinweg ziehen. Der sonst so festgetrampelte Waldboden, hatte sich innerhalb weniger Minuten zu einem regelrechten Schlammsee entwickelt. Wir hielten es für sicherer, die Pferde zu führen, um sie somit nicht durch unser Gewicht, auf diesem Untergrund aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Nun wateten wir, bis auf die Knochen durchnässt, durch diesen Schlamm. Der untere Teil meines Kleides hatte sich bereits bräunlich verfärbt und auch der Mantel schleifte beinahe durchgehend über den nassen Boden. Ein markerschütternder Donner durchbrach die, lediglich von dem Regen gestörte, Stille und ließ sowohl Kiyan, als auch mich zusammenzucken. „Fürchtest du dich etwa, vor einem kleinen Frühlingsgewitter?" fragte ich, durch den Regen hindurch, in Richtung Kiyan, der mir daraufhin einen bösen Blick zuwarf. „Wir sind bald da, ein wenig Regen wird uns sicherlich nicht umbringen." Wir taten beide so, als würde uns dieses Wetter nichts ausmachen und doch legte sich ein Hauch von Furcht und Hochachtung über uns.

Wir kamen dem Ende des Waldes immer näher und ich konnte bereits die ersten Lichter in weiter Ferne entdecken, welche das Schloss in die nun deutlich dunklere Umgebung warf. Bedauerlicherweise hatte mich Kiyan's Mantel nur für einen kurzen Zeitraum vor dem durchdringenden Regen geschützt. Das Wasser tropfte unentwegt von Kiyans' Hemd herunter, welches er unter dem Mantel getragen hatte und seine, durch den Regen beinahe pechschwarzen Haare, hingen ihm wirr im Gesicht. Ich wollte nicht einmal daran denken, wie ich in diesem Augenblick aussehen musste.

Nach einer Weile, die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlte, erreichten wir endlich das Schloss und ich war das erste Mal erleichtert darüber, die wenigen, hell erleuchteten Fenster zu sehen, die auf ein warmes, trockenes Inneres hoffen ließen. Ich wollte keine Sekunde länger in diesem strömenden Regen verbringen. Instinktiv sah ich mich nach Jurian um, konnte ihn jedoch nicht erkennen. Die Wachen vor den Toren blieben regungslos an ihrem Posten stehen. Kiyan schien dies eindeutig zu stören. „Das kann doch nicht wahr sein.. es ist nur Regen." Warf er in Richtung der Wachen, woraufhin sich zwei von ihnen nun doch in Bewegung setzten und sich uns näherten.

Bei einem kurzen Blick an mir herunter, verzog ich leicht das Gesicht. „Das wird womöglich nie wieder sauber, Kiyan. Es tut mir unendlich leid." Er wandte sich daraufhin mir zu, blickte einmal an mir herab und schüttelte schließlich den Kopf. „Du hast recht. Im besten Fall könnte man glauben, diese Flecken wären Absicht." Nun fühlte ich mich umso schuldiger, dieses Kleid durch diesem kurzen Ausflug so verunstaltet zu haben. Bei meinem schuldbewussten Gesichtsausdruck, begann Kiyan jedoch zu lachen. Ein Lachen, welches ich in dieser absurden Situation nicht erwartet hätte. „Es ist nur ein Kleid, Camilla. Nicht einmal Mutter wäre verärgert darüber."

Beinahe automatisch wollte ich in dieses Lachen einstimmen, entdeckte im nächsten Moment jedoch Jurian direkt neben mir, der mir kommentarlos die Zügel des Pferdes aus der Hand nahm. Mir verging das Lachen, als ich realisierte, mit welchem Blick er mich dabei betrachtet hatte. Er wirkte zutiefst enttäuscht. Den Grund dafür kannte ich nicht, doch ihn auf diese Weise zu sehen, tat mir weh. „Phileas wartet sicherlich bereits auf mich. Du solltest dir etwas Trockenes anziehen." Erwähnte Kiyan und zog somit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Die zweite Wache, die vom Rande des Schlosses zu uns gekommen waren, übernahm die Zügel seines Pferdes, woraufhin Kiyan und ich uns schließlich wieder in Bewegung setzen.

Der Mantel fühlte sich tonnenschwer auf meinen Schultern an und ich war froh, ihn ausziehen zu können, sobald wir das Schloss wieder betreten hatten. Hinter uns durchbrach weiteres Donnern die abendliche Stille. Nun bereitete mir dies keine großartige Furcht mehr. Ich war wieder im Schloss und zugegebenermaßen, fühlte es sich in diesem Moment wahrhaftig ein wenig sicher an, hier zu sein. „Ich denke, ich erlöse Phileas nun von seinen Pflichten. Er wird womöglich jedes Detail unseres Ausflugs erfahren wollen." Sehr erfreut schien Kiyan nicht darüber zu sein, dennoch warf er mir ein leichtes und beinahe entschuldigendes Lächeln zu, ehe er sich bereits von mir entfernte.

Es störte mich nicht sonderlich, so plötzlich in der Eingangshalle alleine gelassen zu werden. Ich war sogar recht froh, über diesen kurzen Augenblick für mich selbst. Den schwarzen Mantel von Kiyan noch immer über meinen Arm liegend, machte ich mich schließlich auf den Weg zu meinem kleinen Schlafgemach, um dort endlich aus dem nassen Kleid schlüpfen zu können. Ich spürte den kalten Wind noch immer in meinen Knochen. Die Stille, die mich im Schloss empfang, war wahrlich angenehm, nach dem andauernden Geräusch des Unwetters um uns herum. Phileas würde sicherlich einige Fragen an seinen Bruder haben, welche dieser womöglich ausführlich beantworten musste.

Ich hingegen, konnte nun ungestört in trockene Kleidung wechseln und mich nach restlichen anfallenden Aufgaben im Schloss umsehen. Die neuen Zofen hatte ich bisher noch nicht zu Gesicht bekommen und um ehrlich zu sein, war ich auch ganz froh darüber. Es gefiel mich nicht, mit anzusehen, wie einfach es doch war, mich zu ersetzen. Die Prinzen hatten damit nichts zu tun. Der König selbst, hatte all dies alleine in die Tat umgesetzt, das war mir durchaus bewusst. Sobald ich die nasse Kleidung abgelegt hatte und mir ein neues, trockenes Kleid übergeworfen hatte, fühlte ich mich direkt ein wenig besser.

Die Arbeit im Garten hatte sich jedoch erstmal erledigt. Ich würde nicht nochmal in diesen Regen hinaustreten. Somit verschob ich diese Arbeit vorerst auf den nächsten Tag und mir fiel direkt ein Ort ein, an dem ich für einen kurzen Augenblick vollkommen ungestört sein konnte. Ein Ort, den ich bereits seit einer ganzen Weile nicht mehr betreten hatte. Mit ansteigender guten Laune, bewegten sich meine Beine wie von selbst vorwärts und trugen mich durch die Gänge, bis hin zur Eingangshalle und in das obere Stockwerk hinauf.

Die Bibliothek hatte ich während meiner alltäglichen Arbeit im Schloss beinahe vergessen. Es war unwahrscheinlich, dass in diesem Augenblick jemand dort sein würde, besonders Kiyan und Phileas würden sich nun vorerst anderen Dingen widmen, als sich nach mir zu erkundigen. Ich würde mich nicht lange dort aufhalten, zumal bereits die Dunkelheit des späten Abends das Schloss umgab. Sobald ich die Bibliothek betrat, empfing mich eine Stille, in der nur das gelegentliche Geräusch der Regentropfen an den großen Fenstern zu hören war. Ich hatte vollkommen vergessen, wir gerne ich früher meine Zeit mit lesen verbracht hatte. Seit ich mich in diesem Schloss befand, hatte ich mich kaum noch einem Buch gewidmet.

Ob es mir gestattet war, eines dieser Bücher auszuleihen? Der König war nicht anwesend und ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Prinzen etwas dagegen haben würden. Zumal ein einziges fehlendes Buch, in diesen zahlreichen, meterhohen Regalen wohl kaum auffallen würde. Ich schlenderte durch den breiten Raum und ließ meinen Blick langsam über die angrenzenden Regale an den Wänden gleiten. Nicht alle Bücher handelten von Geschichten oder philosophischen Ergründungen unserer Zeit. Auch unzählige Landkarten und Atlanten befanden sich in diesen Regalen, welche in diesem Moment jedoch nicht meinem Interesse entsprachen.

Ich blieb vor einem der Regale stehen und betrachtete ein Buch darin etwas genauer. Der Einband war vollkommen braun und enthielt keine Beschriftung. Vorsichtig hob ich eine Hand, mit der Absicht, das Buch aus dem Regal zu nehmen, um es mir ein wenig genauer anzusehen. Bevor ich jedoch dazu kam, dieses berühren zu können, erklang ein Poltern hinter mir und ich zuckte erschrocken von dem Regal zurück. Mein Blick flog sofort in die Richtung, aus der dieses Geräusch gekommen war, wodurch ich eine mir völlig fremde Person entdeckte, die ich zuvor noch nie in diesem Schloss zu Gesicht bekommen hatte. „Darf ich fragen, wer Sie sind? Es ist Ihnen nicht gestattet, sich in diesem Raum aufzuhalten."

Mein Puls stieg mir bis zum Hals, als ich die junge Frau erblickte, die mir nun beinahe direkt gegenüber stand und mich mit einem äußerst verwirrten und fragenden Gesichtsausdruck musterte. Ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte. Wie sollte ich erklären, warum ich hier war, wenn ich nicht einmal wusste, ob ich dieser Person trauen konnte? Die junge Frau mit den auffallenden schwarzen Haaren, die ihr in leichten Locken über die Schultern fielen, bückte sich für einen kurzen Moment, um ein Buch aufzuheben, welches ihr zuvor heruntergefallen war. Dies hatte womöglich das Poltern verursacht. Sie ließ mich dabei jedoch nicht für eine winzige Sekunde aus den Augen.

„Einen Augenblick.." begann sie murmelnd, als ich ihr auch weiterhin keine Antwort gab, sondern lediglich darauf bedacht war, nicht noch schuldiger auszusehen, als ich es ohnehin bereits tat. Die junge Frau trat langsam ein wenig näher, während ihre grünen Augen mich fest in ihrem Blick behielten. Automatisch wich ich dabei ein wenig vor ihr zurück. „Bitte entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Mein Name ist Lorentina.. und du musst Camilla sein, richtig? Phileas hat mir von dir erzählt."

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt