11. Kapitel

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Aldrins Sicht:

Schon vom weiten sah ich ihr mir inzwischen vollkommen vertrautes Fahrrad wie immer an dem Baumstamm gelehnt stehen und auch wenn ich es mir selbst niemals eingestanden hätte, machte mein Herz einen kleinen freudigen Sprung.

Denn es bedeutete, das sie auch heute Nachmittag wieder hier war und obwohl ich mir dessen eigentlich ziemlich sicher gewesen war, fand ich es trotzdem schön sie zu sehen.

Eigentlich war es schon lustig. Ich wusste rein gar nichts über sie, nicht einmal ihren Namen und trotzdem hatten wir eine Sache gemeinsam: diesen Ort.

Den großen Felsvorsprung, den noch kein anderer bemerkt zu haben schien, doch den sie selbst schon Jahre kennen musste.

Wenn ich jedoch ehrlich war, stimmte das nicht ganz genau, denn streng genommen war es ihre Klippe. Ihr Rückzugsort und somit vielleicht der einzige an dem sie ihre Gedanken sortieren konnte. Für sie musste er also eine viel tiefere Bedeutung haben als für mich, auch wenn ich noch nicht sagen konnte welche.

Doch das hatte ich auch gar nicht wirklich gemeint. Viel mehr, dass ich den Felsen erst seit knapp drei Wochen kannte, er mich aber schon total in den Bann seinen Schönheit gezogen hatte.

Auch wenn ich es nicht begründen konnte, spürte ich das es die Wahrheit war, wenn ich behauptete, dass all dies hier: de kleine Wald, der so gut verborgene Pfad und der Vorsprung aus dem hellen Stein inzwischen mein Lieblingsplatz war.

Der Ort an dem sich das Chaos in meinem Leben wie von selbst zu sortieren schien und ich einfach klar denken konnte.

Allein ihre Anwesenheit bewies, dass es ihr genauso zu gehen schien. Was uns verband war also ein gemeinsamer Lieblingsort.

Nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich von dieser Gemeinsamkeit wusste und sie eben nicht.

Vorsichtig trat ich über einen großen Ast, der mir dem Weg zu ihrem Fahrrad versperrte und verschwand wie immer hinter dem dicken Baumstamm, von dem aus ich einen perfekten Blick auf das Plateau hatte.

Bevor ich jedoch auch nur den Hauch einer Chance hatte mich zu ihr umzudrehen, knallte es ziemlich laut neben mir.

In der ersten Sekunde zuckte ich unweigerlich zusammen, doch in der nächsten hätte ich mir selber gegen die Stirn schlagen können.

Die Jeansjacke, die ich in meiner rechten Hand getragen hatte, musste sich in dem Lenker verhangen und das Fahrrad als ich weiterging umgerissen haben.

Eigentlich brauchte ich gar nicht zu ihr sehen, denn ich wusste auch so, dass sie das Geräusch fast ebenso laut wie ich gehört haben musste, aber trotzdem wurde mir mit einem mal ganz kalt als ich ihren verwunderten Blick auffing und sah wie sie sich erhob.

Was sollte ich jetzt tun?Zum unbemerkten weglaufen war es definitiv zu spät und so sehr ich es auch versuchte, mir viel einfach kein anderer Ausweg ein.

Während ich mich also ganz fest gegen den harten Baumstamm in meinem Rücken presste viel mir ein, was meine Mom früher immer zu mir gesagt hatte, wenn mir in einer brenzligen Situation wie so oft mal wieder nichts eingefallen war: „Es ist nicht schlimm, mein Schatz, sich nicht schnell Ausreden ausdenken zu können, denn wer die Wahrheit sagt ist nicht nur ehrlich, sondern auch viel Stärker als alle Lügner es jemals sein könnten."

Mit einem Schmunzeln musste ich daran denken wie sie mich früher ziemlich oft mit einer heimlichen Tafel Schokolade nach dem Zähneputzen in meinem Bett sitzend erwischt hatte. Auch mein Cousin Leo war ein paar mal mit dabei gewesen und während er sich immer sofort damit herausredete, dass alles meine Idee gewesen war, hatte ich nur verzweifelt nach ebenso einer guten Ausrede gesucht.

Doch jedes mal wenn er geendet hatte und meine Mom mich mit einem ihrer wunderschönen Lächeln angesehen hatte, war mir noch immer nichts eingefallen.

So war ich also mit der Wahrheit herausgedrückt, mit der Angst, bestimmt zwei ganze Tage Schoki-Verbot zu bekommen, doch stattdessen hatte sie mir nur lachend durch die dunkelblonden Haare gestrubbelt und mich danach in ihre Arme geschlossen.

Vielleicht fuhr ich mir auch deshalb auch heute noch durch meine Spitzen, weil mich diese Geste so sehr an sie erinnerte?

Ein Ast, der ganz in der Nähe knackte, riss mich aus meinen schönen Erinnerungen und ließ mich erstarren.

Viel zu gerne hätte ich genau gewusst wie nah sie mir schon war, doch ich wagte es nicht hinter dem Stamm hervor zu spähen, oder mich überhaupt zu bewegen.

Das Laub, das überall zwischen den Bäumen lag raschelte nur ein paar Meter von mir entfernt und signalisierte mir somit, dass sie den kleinen Trampelpfad verlassen haben musste.

Eilig versuchte ich mir eine plausible Ausrede einfallen zu lassen, denn auch wenn meine Mom das bestimmt anders gesehen hätte, wusste ich, dass die Wahrheit dieses eine Mal nicht der richtige Weg sein würde.

Einfach weil ich es ihr nicht erklären konnte, weil sie nicht verstehen würde. Weil ich sie verletzten würde, weil sie immer versuchte stark zu wirken und ich hinter ihre Fassade geblickt hatte. Weil ich ihr für ihren Geschmack wahrscheinlich viel zu nahe gekommen war, viel zu viel von dem gesehen hatte, was keiner jemals bemerken sollte.

Die tiefen Zweige, die den Stamm zu meiner rechten Seite zierten wackelten und ich wusste, dass sie mich in wenigen Sekunden gefunden haben musste.

Gerade so konnte ich mich noch davon abhalten, frustriert auszuatmen, sondern zwang mich weiter dazu die Luft anzuhalten.

Leise wandte ich meinen Kopf nach rechts und versuchte mich noch weiter gegen die unebene Baumrinde zu pressen, als ich schon eine Strähne ihrer roten Haare sah.

Ich schloss die Augen und wappnete mich schon dafür mich gleich wahrscheinlich ziemlich unglaubwürdig verteidigen müssen, als etwas leise piepste.

Keine Sekunde später verstummte das Rascheln der Blätter und auch wenn ich es nicht sehen konnte, war ich mir sicher, dass sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche gezogen hatte und nun die Nachricht las, die sie soeben bekommen haben musste.

Obwohl ich überhaupt keine Ahnung hatte wer ihr geschrieben haben konnte, geschweige denn, was in der Nachricht gestanden hatte, schlich sich ein kleines Grinsen auf meine Lippen als ich sie leise seufzen hörte.

Ob sie wohl wusste, dass sie sich nicht nur total genervt, sondern vor allen Dingen unfassbar süß anhörte wenn sie das tat?

Eine Sekunde lang war ich schockiert über meinen eigenen Gedanken, doch dann zwang ich mich wieder dazu, mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren.

Angespannt wartete ich darauf ihr gleich Rede und Antwort, nur eben ohne letzteres stehen zu müssen, aber als sie begann weiter zu laufen, schien sie sich wieder von mir zu entfernen.

War das wirklich möglich? Erst als ich hörte, wie sie ihr Fahrrad wieder aufrichtete und es auf den schmalen Pfad zog, konnte ich wirklich daran glauben.

Langsam drehte ich mich so, dass ich hinter dem Stamm hervorgucken konnte und sah tatsächlich, wie sie immer weiter zwischen den Bäumen und Büschen verschwand.

Während mein Herz so schnell klopfte, dass ich mein Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte und ich langsam die Luft ausstieß, von der ich erst jetzt wirklich bemerkte, dass ich sie angehalten haben musste, konnte ich noch immer nicht wirklich fassen, was für unfassbares Glück ich gerade gehabt haben musste.

Weil ich durch dich leben lernteWhere stories live. Discover now