57. Kapitel

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Aldrins Sicht:

Es war schlimm, das schrecklichste was ich jemals hatte machen müssen, doch zugleich war ich mir noch niemals so sicher gewesen, dass ich das richtige tat.

Denn Marleene war mir wichtig. Wichtiger als alles andere, um vieles wichtiger als die Aussicht König zu werden, wichtiger als mein Leben und wenn es irgendetwas gab um sie zu beschützen, dann würde ich es machen.

Auch wenn es bedeutete, sie zu verlieren.

Wenn sie nur in Sicherheit sein konnte, wenn sie nicht bei mir war, würde ich sie gehen lassen, ganz gleich wie sehr es mich verletzte. Denn dass sie glücklich war, das sie wenigstens im Ansatz das Leben führen konnte, das sie so sehr verdient hatte, das wünschte ich mir mehr als alles andere für sie.

Nur, dass ich bis vor wenigen Stunden noch damit gerechnet hatte, das wir dieses Leben zusammen bestreiten würden, diese Tatsache hatte sich radikal geändert.

Die Aussage der Prophezeiung war klar und deutlich gewesen: wenn sie bei mir blieb würde sie sterben. Vielleicht wusste ich nicht wie, nicht wo und nicht wann, aber das war unwichtig.

Niemals, niemals sollte sich ihr Schicksal bewahrheiten und deshalb war das einzige was ich tun konnte, sie gehen zu lassen, so schwer es mir auch fallen mochte.

Doch das war es gar nicht, was mir das Gefühl bescherte, das meine eigene Welt gerade zusammenbrach und es mit einem Mal nichts mehr gab an dem ich mich festhalten konnte.

Viel mehr war es ihr Blick, ihre Augen, die die meinen ungläubig musterten, während sie langsam zu begreifen schien, dass ich es ernst meine. All das Entsetzen, dass dem Spaß und danach die Anspannung weil ich so urplötzlich und ernst hatte mit ihr sprechen wollte immer weiter verdrängte und mehr und mehr von ihr besitz ergriff.

Mit ansehen zu müssen, wie sie langsam verstand und wie gleichzeitig all das was wir in den letzten Tagen, Wochen und Monaten so langsam aufgebaut hatten wieder in ihr zerbrach. Wie die so mühsam wieder errichteten Ruinen ihres Lebens erneut in sich zusammenfielen und sie unter sich zu begraben schienen.

„Wieso?", auch wenn sie es zu überspielen versuchte, hörte ich das Zittern ihrer Stimme und sah die Tränen in ihren Augenwinkeln, die sie panisch weg zu blinzeln versuchte.

„Wieso?", hallte es in meinem Kopf nach und gerade noch so konnte ich mein bitteres Lachen unterdrücken.

Wieso? Weil ich schlichtweg keine andere Wahl hatte. Weil sie das Mädchen war, das schon lange den größten Platz in meinem Herzen eingenommen hatte, das Zentrum in dem Universum meines Lebens. Weil sie mir einfach alles bedeutete und weil ich es niemals ertragen würde sie meinetwegen, unseretwegen auch nur ein bisschen Gefahr auszusetzen.

Die ganze Zeit über hatte ich geglaubt, das allerschlimmste wäre sie zu verlieren, doch nun wusste ich, dass das nicht stimmte. Das allerschlimmste war sie gehen lassen zu müssen, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte als das sie für immer bei mir blieb.

Doch all das konnte ich ihr nicht sagen. Denn sie würde es nicht verstehen. Schlichtweg nicht glauben.

Sie, die am meisten über die Prophezeiungen wissen sollte, die eigentlich erkennen müsste, dass sie sich egal ob früher oder später irgendwann bewahrheiten würden, würde sie zu ignorieren versuchen, das wusste ich.

Noch immer blickte sie mir unverwandt ins Gesicht und suchte nach einer Antwort, während ich mir immer sicherer wurde, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Sie würde es nicht verstehen, es einfach nicht glauben, ignorieren oder gar verdrängen. Aber das konnte sie nicht, denn früher oder später würde es einen immer wieder einholen.

Würde ich ihr jetzt jedoch erklären, was ich gerade erfahren hatte, was der wirkliche Grund für all das war, würde sie bleiben, das wusste ich. Marleene würde bei mir bleiben und versuchen es zu vergessen, aber das durfte sie nicht, denn auch wenn man es verdrängte würde sich ihre Prophezeiung nicht verändern und nur darauf warten sich irgendwann zu erfüllen.

Noch immer musterte sie mich, versuchte stark zu sein und ihr Leben, das gerade erneut in tausend Scherben zu zerbrechen schien verzweifelt zusammenzuhalten und mir wurde bewusst, dass sie noch immer auf eine Antwort von mir wartete.

„Ich... ich kann einfach nicht..."

Die Sekunden verstrichen, während sie zu begreifen schien, was ich gerade wirklich gesagt hatte, bevor sie sich endlich aus ihrer Schockstarre löste.

„Das ist deine Antwort?", sie kam langsam auf mich zu, doch ich schwieg.

„Das ist deine Antwort, Aldrin?", schrie sie und ich sah die Tränen, die mit einem Mal ihre Wangen hinunter rannen.

„Denkst du nicht...", sie hob ringend ihre beiden Arme: „Denkst du nicht, das ich wenigstens die Wahrheit verdient habe?"

Ja, ja verdammt, genau das dachte ich, doch ich wusste auch, dass ich ihr exakt das nicht sagen konnte, nicht durfte, weshalb ich einfach einen Schritt nach hinten wich, während sie langsam immer weiter auf mich zukam.

„Ich dachte... dachte, dass ich dir wenigstens im Ansatz wichtig bin.", mit dem Handrücken ihrer noch immer mehligen Hände fuhr sie sich über die Wangen: „Aber schon okay, ich habe es verstanden, ich habe mich geirrt."

Der Unterton ihrer Stimme, der all die Verzweiflung, all das Unverständnis und den Schmerz widerspiegelte den sie gerade durchlebte, gab mir das Gefühl innerlich gleich zu zerreißen, aber dennoch kam keines der Wörter, die ich viel zu gerne ausgesprochen hätte, um ihr alles zu erklären über meine Lippen.

„Doch eines, eines sollst du noch wissen", flüsterte sie und sah mir direkt in meine Augen: „Ich habe dir vertraut, voll und ganz. Habe mich dir geöffnet, geglaubt, dass wenigstens du anders bist, doch anscheinend habe ich mich geirrt. Und glaub mir, dieser Fehler wird mir kein zweites mal passieren... niemals."

Ohne meine Reaktion abzuwarten drehte sie sich um.

„Ich geh jetzt mal meine Sachen packen", mit diesen Worten setzte sie sich in Bewegung und ging den langen Flur hinab, während ich ihr einfach nur nachsehen konnte.

Was hatte ich gerade bloß getan? Hatte ich mir vor Monaten nicht einmal mehr als alles andere geschworen, ihr das Strahlen zurückzugeben, das sie schon so lange verloren hatte?

Und jetzt? Jetzt hatte ich es ihr genommen, endgültig. Ich hatte mein Versprechen gebrochen, mein Versprechen, sie niemals, unter keinen Umständen zu verletzten, doch noch viel schlimmer:

Ich hatte ihre Welt erneut verletzt. Ihre kleine, zerbrechliche Welt die wir in den letzten Wochen ganz langsam wieder aufgebaut hatten und von der ich mir geschworen hatte, alles dafür zu geben, sie nie wieder Schaden erleiden zu lassen.

Doch jetzt, jetzt hatte ich genau das Gegenteil getan, den ich... ich hatte sie erneut in tausend kleine Scherben zerbrochen.

Weil ich durch dich leben lernteOn viuen les histories. Descobreix ara