27. Kapitel

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Marleenes Sicht:

Ich wusste nicht was mich aufweckte hatte, denn kaum das ich meine Augen geöfnet und den hellen Sonnenstrahlen entgegengeblinzelt hatte, die durch den offenen Vorhang fielen ließen die dumpfen Kopfschmerzen mich für einen Moment lang alles um mich herum vergessen.

Eindeutig hatte ich letzte Nacht zu wenig geschlafen. Ich senkte meinen Blick und starrte auf den leeren Teller, der schräg auf meinen miteinander verschränkten Beinen tronte und die Gabel, die rechts von mir achtlos auf dem Fußboden lag.

Langsam fiel mir wieder ein, wie lange ich gestern Nacht nicht hatte einschlafen können und wie ich Aldrins süß angerichtetes Tablett vor meiner Zimmertür gefunden und den Teller sofort mitgenommen hatte.

Zugegebener maßen hatten die Nudeln wirklich ziemlich lecker geschmeckt, was dann auch der Grund dafür sein dürfte, dass ich die ganze Portion geschafft hatte, doch danach schien mich meine Müdigkeit wieder eingeholt zu haben.

Vorsichtig hob ich die metallerne und am Griff fein verzierte Gabel auf und legte sie auf den Teller, bevor ich diesen neben mir auf den Boden stellte und mich einmal streckte.

Wie spät es wohl war? Langsam setze ich mich auf und hielt mich mehr oder weniger geschickt an der Wand neben mir fest, als mir wie so oft kurz schwarz vor Augen wurde, bevor ich barfuß ins Bad tapste.

Noch immer etwas müde musterte ich meine verwuschelten Haare im Spiegel und putzte meine Zähne, bevor ich mich auszog und unter die warme Dusche stellte. Der heiße Wasserstrahl tat meiner angespannten Nackenmuskulatur überraschend gut und ich schloss die Augen, während ich mich zum ersten Mal seit Tagen so wirklich entspannte.

Ich dachte an Marie, sah sie vor mir, wie wir zusammen mit Milo diesen Sommer im Garten Fußball gespielt hatten oder ich mit ihr in einer Vollmondnacht eine Nachtwanderung gemacht hatte, als sie wieder einmal wie so oft schlecht geträumt hatte.

Für andere waren es vielleicht ganz gewöhnliche Erinnerungen, ja geradezu schlicht, aber mir schienen sie nahezu alles zu bedeuten. Auf meine Frage, warum man erst bemerkte wie wichtig die kleinsten Dinge im Leben, jede der Sekunden die man mit der Familie verbrachte wirklich waren, wenn man erkannte, dass man sie nicht mehr hatte, wusste ich noch immer keine Antwort.

Doch trotzdem erkannte ich an diesem Morgen etwas: auch wenn es vielleicht schmerzhaft war sich an diese Augenblicke zu erinnern, war es gleichzeitig wunderschön.

Erst als meine Haut vom warmen Wasser schon ganz rot war und die Erinnerungen doch so schmerzhaft wurden, dass ich das Gefühl hatte sie nicht mehr ertragen zu können, stellte ich die Dusche aus, wickelte mich in eines der weichen, schneeweißen Handtücher und zog schließlich eine viel zu große Hose und ein weites, blau-rot kariertes Hemd, beides Sachen die Aldrin mir von sich geliehen hatte, über meine Unterwäsche.

Bevor ich das Bad wieder verließ warf ich nur einen flüchtigen Blick in den nebeligen Spiegel, denn ich wusste wie sinnlos es war, überhaupt nur den Versuch zu wagen, meine Korkenzieherlocken nach dem Duschen bändigen zu wollen und schnappte mir den auf den Boden stehenden Teller, bevor ich meine Zimmertür öffnete.

Nur das Tablett, das verschwunden war ließ mich wissen, dass Aldrin wohl noch einmal nach mir gesehen hatte und irgendwie bedeutete mir diese kleine Geste mehr als ich es jemals zugegeben hätte.

Ein schmunzeln stahl sich auf meine Lippen, während ich den langen Flur hinunter bis zu der vorletzten Tür rechts folgte, hinter der sich die Küche befand.

Vorsichtig stieß ich sie mit meinem linken Fuß auf und wandte mich nach rechts um den Teller an die Spühle zu stellen, als mich ein schüchternes „Guten Morgen!" aus meinen Gedanken riss.

Erschrocken ließ ich den Teller, der zum Glück nicht zerbrach auf die Anrichte fallen und hörte ein leises, kehliges Lachen.

Sobald ich mich zu Aldrin umgedreht hatte verschwand sein Lächeln und er sah mich abwartend an, doch in dieser Sekunde war ich unfähig ihm eine Antwortauf seine stille Frage nach Vergebung zu geben. Ich weiß nicht was ich erwartet hatte, aber die dunkelblaue Jogginghose und das weiße T-Shirt, welches seine Muskeln am Oberkörper sehr gut zur Geltung brachte raubten mir sekundenlang all meine Aufmerksamkeit.

Mit einer Tasse Kaffe in der rechten Hand saß er da, das linke Bein über das rechte gelegt und musterte mich, bis sein Blick an meinen Augen hängen blieb, und meiner wie ganz zufällig an seinen.

Ich hatte das Gefühl das sie in mir auslösten nie beschreiben können, aber jetzt wusste ich, was sie für mich auszustrahlen schienen: Geborgenheit, Sicherheit und die Hoffnung, das alles wieder gut werden würde, wenn ich nur daran Glaubte. Nur ob das sein Wunsch war, oder meiner, das konnte ich nicht sagen.

„Morgen", erwiderte ich, unfähig etwas zu sagen, doch mehr brauchte es auch gar nicht.

Aldrin schien auch so verstanden zu haben was ich damit zum Ausdruck bringen wollte, denn seine Gesichtszüge entspannten sich und er lächelte wieder. Auch ohne es zu sagen hatte er wohl bemerkt, dass ich nicht länger verletzt war, es nie gewesen war, auch wenn er dieses Detail niemals erfahren würde.

„So schreckhaft?", an dem Glitzern in seinen Augen erkannte ich, das er mich nur necken wollte und auch wenn ich nicht wusste wieso, stieg ich darauf ein: „Wenn du mich auch so überrascht!"

Er schmunzelte und auch ich musste Lächeln.

„Übrigens, danke fürs Essen. Die Nudeln waren wirklich lecker."

Aldrin nickte nachdenklich und ein Schweigen breitete sich zwischen uns aus.

„Ich muss dann jetzt mal los", ich deutete auf die Küchentür und wandte mich schon zum gehen.

„Klar, wohin willst du eigentlich?"

Zuerst hatte ich darauf keine Antwort, oder wollte sie mir zumindest nicht einmal selbst eingestehen, doch für ihn schien ich lange genug nicht geantwortet zu haben um nachzuhaken: „In die Schule?"

Ausweichend schüttelte ich den Kopf, nicht wissend was ich darauf antworten sollte während ich erkannte wohin ich wirklich wollte, auch wenn ich es nicht durfte, nicht einmal daran denken sollte.

„Ich muss jetzt auch wirklich los.", ich stahl mich zur Tür hinaus und zog mir schnell meine Schuhe an, bevor ich die Haustür öffnete.

Bevor ich sie hinter mir schloss, hörte ich ihn noch meinem Namen rufen, doch ich wusste, das er mir nicht böse sein würde. Nein, eilig ging ich durch seinen Vorgarten. Aber ich war es. Ich war wütend, wütend auf mich selber, denn ich wusste wie sehr ich sie gefährdete, wenn ich mein Vorhaben in die Tat umsetzten würde. Zumal ich mir gestern noch geschworen hatte, nie wieder mein altes Zuhause besuchen zu werden.

Doch andererseits erkannte ich auch, dass ich es musste, das ich mir immer wieder vor Augen führen musste was ich nicht mehr hatte, auch wenn es schmerzhaft war, denn ich musste sehen wie gut es ihnen ohne mich ging, dass sie noch lebten. Es, sie immer wieder sehen, wenn es sein musste jeden Tag, damit ich bloß nicht irgendwann schwach werden würde, denn das konnte ich mir wirklich nicht leisten.

Weil ich durch dich leben lernteWhere stories live. Discover now