3. Kapitel

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Marleenes Sicht:

Fassungslos starrte ich ihn an und wusste, dass sich all das Entsetzen das ich gerade spürte auf meinem Gesicht widerspiegeln musste, bevor ich mich umdrehte und begann zu flüchten, so wie ich es immer tat.

Als ich auf dem Flur an der Kommode vorbeirannte, schaffte ich es nicht länger meine Tränen zurückzuhalten, doch ich bemerkte es noch nicht mal.

Erst als ich den kalten Türknauf der Haustür in meinen Händen hielt wurde mir klar, dass ich dieses Haus nie wieder betreten würde. Ich wusste nicht woher dieses Gefühl kam, nur, dass es hundertprozentig stimmte.

„Marley!", hörte ich Fabi hinter mir rufen und keine Sekunde später seine hastigen Schritte auf dem alten Dielenboden.

Trotzdem drehte ich mich nicht um, wollte nicht die Schuldgefühle in seinen Gesichtszügen ablesen können und die Reue in seinen schönen Augen sehen.

All das würde mir nur noch mehr verdeutlichen was ich soeben gesehen hatte, doch ich hatte schon längst verstanden. Hatte schon längst realisiert, dass nicht ich es war die er da eng in seinen Armen gehalten hatte, gemütlich mit dem Kopf an sein Schlüsselbein gebettet.

Das war mein Lieblingsplatz! Nein, wurde mir eine Sekunde später klar, aber es war meiner gewesen.

Um nicht noch weiter in diese viel zu schmerzhaften Gedanken zu versinken riss ich die Tür auf und stürmte in das Treppenhaus.

Noch nie hatte ich in diesem Tempo die schmalen Stufen genommen, doch heute hatte ich keine Angst zu fallen. Ich spürte gar nichts mehr, wollte nur noch so schnell wie möglich hier weg, dieses Bild, jenes schwarzhaarige Mädchen, oder am besten die ganzen letzten fünf Monate aus meinem Gedächtnis löschen.

„Marley, jetzt warte mal!", Fabian polterte hinter mir die Treppen hinab, aber ich war mir bewusst das mein Vorsprung zu groß war, sodass er noch nicht mal eine Chance hatte mich einzuholen.

Wie sie wohl hieß? Was sie von mir unterschied? Welche ihrer Eigenschaften mochte Fabi lieber als meine? Tausende von Fragen auf die ich keine Antwort wusste, oder nur eine, die ich mir selbst nicht eingestehen wollte. Nicht konnte.

Erst als ich die Eingangstür vor mir sah, sie aufriss und ins Frei trat, realisierte ich, dass es jetzt vorbei war, dass ich jetzt wegfahren würde und unsere gemeinsame Zeit wirklich zu Ende sein würde, für immer.

„Marley!", als Fabi ebenfalls den Vorgarten erreichte, hatte ich mein Fahrrad schon aufgeschlossen und wollte mich gerade auf meinen Sattel schwingen.

Mit einem Mal hielt ich jedoch inne. Ich war schon immer gut im Weglaufen gewesen um zu verhindern, dass ich noch tiefer, noch schmerzhafter verletzt werden würde. Doch sollte ich nicht wenigstens dieses eine Mal stark sein, wenn auch nur um einen Schlussstrich zu setzen?

Zögerlich stieg ich wieder ab und drehte mich zu ihm um, aber so dass mein altes Fahrrad als Schutz zwischen uns stand.

Früher hätte ich sicherlich lachen müssen, doch jetzt bewies es meine schmerzliche Theorie nur noch mehr, dass er nur in einer seiner blau-grün karierten Boxershorts vor mir stand.

„Willst du mir jetzt sagen, dass es anders ist als ich dachte?", fragte ich und zog sarkastisch meine linke Augenbraue nach oben, obwohl ich das insgeheim am sehnlichsten hoffte.

Allerdings schaffte er es noch nicht mal mir in meine Augen zu sehen und schüttelte langsam seinen gesenkten Kopf, während meine Welt ins Wanken geriet.

„Was dann?", ohne das ich es verhindern konnte zitterte meine Stimme, doch er hatte bestimmt schon lange meine Tränen gesehen, die mir unaufhaltsam die Wangen hinab strömten.

„Ich... ich weiß es nicht"

Verzweifelt versuchte ich mich nicht umzudrehen und zu verschwinden, so wie ich es sonst immer tat, wenn mir etwas zu nah ging, denn ich musste noch etwas wissen: „Wie lange... wie lange geht das schon?"

Fabi seufzte einmal, doch schaffte es endlich mir in die Augen zu sehen, während er schwieg und ich seine Gesichtszüge zu deuten versuchte. Auf einmal brauchte er gar nicht mehr zu antworten, denn sein Schweigen war mehr als deutlich genug.

„Nur noch eine Frage...", meine Stimme war ungewöhnlich hoch und drohte zu brechen: „Was war ich für dich?"

Einen Moment schien die Stille die uns beide umgab mich fast zu erdrücken, doch er schien wirklich nach den richtigen Worten zu suchen: „Du warst, nein du bist etwas ganz besonderes für mich gewesen. Deine so zurückhaltende Art mag vielen vielleicht einen falschen Eindruck vermittelt haben, aber ich habe gesehen, wie viel du dir still denkst und es dich nur nicht auszusprechen traust. Mir ist bewusst, dass es nichts gibt mit dem ich das was ich getan habe wieder rückgängig machen kann, aber ich möchte das du weißt, dass es mir mit dir immer ernst war, egal was sich nebenbei abgespielt hat und das ich dich niemals so verletzen wollte. Du bist etwas wirklich besonderes... denn du bist die erste Person in die ich mich wahrhaftig verliebt habe."

Ich schniefte einmal und konnte gar nicht glauben was er da gerade von sich gab. Die ganze Zeit hatte ich an ihm geglaubt, er war alles für mich gewesen und ich für ihn nur eine von vielen? Auch wenn seine Gefühle für mich ausnahmsweise echt gewesen waren.

Ungeschickt schwang ich mich auf den Sattel meines Fahrrades und drehte mich noch einmal nach hinten um Fabi sehen zu können um: „Nur das Liebe nicht immer ausreicht.".

An seinem für eine Sekunde verrutschenden Gesichtsausdruck sah ich, dass er mein leises Flüstern gehört haben musste und wandte meinen Blick wieder nach vorne, bevor ich wackelnd losfuhr und mich kein einziges Mal umdrehte.

Meine Sicht war verschwommen und ich nahm kaum etwas war als ich nach links abbog und prompt von einem Auto, dass gerade noch hatte rechtzeitig angehalten konnte an gehupt wurde.

Doch das war mir egal, alles war mir egal. In diesem Moment gab es nur einen Ort an den ich mich jetzt flüchten wollte und genau zu ihm war ich auf dem Weg, während ich noch einmal über alles nachdachte.

Er war die einzige Person außerhalb meiner Familie, die ich halbwegs an mich herangelassen hatte, der ich vertraut hatte und der ich mich wenigstens ein bisschen geöffnet hatte.

Aber Fabi hatte es nicht einmal zu schätzen gewusst.

Während ich über die Brücke fuhr, die den kleinen Bach überquerte und die letzten Ruinen meiner heilen Welt nachgaben und in sich zusammenvielen schwor ich mir zwei Dinge. Erstens würde ich mir nie wieder erlauben jemandem zu vertrauen und zweitens würde ich unter keinen Umständen erneut jemandem nahekommen, nicht mal ein kleines bisschen.

Denn alles was derjenige über einen wusste würde er später dazu benutzen einen zu verletzen, dass hatte ich inzwischen gelernt.

Aber machte es überhaupt noch einen Unterschied?, fragte ich mich als ich die Brücke auf der anderen Seite wieder hinabfuhr und die schwarze Silhouette ein paar Meter vor mir durch meine Tränen gar nicht bemerkte.

Heute, eben gerade war das letzte bisschen meiner heilen Welt auch noch zusammengebrochen und alles was von ihr übrig geblieben war, war der kleine Scherbenhaufen am Boden, den keiner jemals bemerken würde.

Weil ich durch dich leben lernteDär berättelser lever. Upptäck nu