10. Kapitel

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Aldrins Sicht:

Inzwischen war mir der Weg aus Schotter so vertraut, dass ich mich nicht einmal mehr konzentrieren musste um den schmalen Trampelpfad zu finden, der rechts von ihm abging.

Ich hatte inzwischen schon selber einmal vorne an der Klippe gestanden, wenn auch nicht lange, da selbst mir durch die Tiefe des Abgrundes ganz flau im Magen geworden war und ich zudem nicht gewusst hatte, wann das Mädchen da sein würde.

Denn bis auf dieses eine Mal hatte sie schon immer auf dem Vorsprung gesessen, als ich gekommen war um nach ihr zu sehen, auch wenn sie davon noch immer nichts wusste.

Leise schob ich den kleinen Ast der Eiche beiseite der mir meinen Weg versperrte und genoss die klare Luft, die durch die dicht an dicht stehenden Bäume auch um einiges kühler war als vorhin in der direkten Sonne auf der Straße.

Keine Frage, ich mochte den Sommer. Wenn ich eine Lieblingsjahreszeit gehabt hätte, wäre bestimmt er es gewesen. Denn der Frühling war mir hier immer noch zu kalt, im Herbst regnete es zu viel und man war traurig weil es kalt wurde und im Winter hatte es schon lange keinen vernünftigen Schnee mehr gegeben, sondern höchstens Schneematsch.

Doch ich hatte keine, denn in Almelis war das ganze etwas anders. Natürlich hatten wir auch Jahreszeiten, aber trotzdem gab es noch jeden Winter Schnee, sodass man im Herbst nicht traurig sein musste, dass ein viertel Jahr voller Kälte und grauem Matsch vor einem lag. Die Sommer waren schön, aber nie so heiß, dass man sich Sorgen um die Wasserversorgung der Bevölkerung machen musste und im Frühling war es vielleicht noch nicht ganz so warm. Doch dafür blühten eine Vielzahl von Blumen, viel mehr als es hier jemals tun würden.

Das leise knacken von Zweigen hinter mir holte mich in die Gegenwart zurück und schnell verschwand ich hinter einem der dicken Baumstämme, als ich ihr oranges-rotes Haar bereits durch die Blätter vor mir schimmern sah.

Ganz still stand ich da und wartete ab, hoffend, dass sie mich wie die letzten Male auch nicht entdecken würde und beobachtete wie sie ihr altes Fahrrad neben sich herschob.

Zuerst war es mir gar nicht aufgefallen, aber je öfter ich dieses nun sah, desto schmerzlicher wurde mir bewusst, dass es nicht nur an den Stellen an denen der dunkelgrüne Lack abplatzte, sondern auch sonst ziemlich heruntergekommen wirkte.

Sie ging an mir vorbei und lehnte ihr Fahrrad wie immer an den selben Baum, der seit ein paar Tagen auch mein Versteck war.

Erst als sie sich wieder von mir entfernte, bemerkte ich, dass ich die ganze zeit über die Luft angehalten hatte und stieß sie erleichtert leise aus, während sie auf den großen Steinvorsprung trat uns sich dabei einmal um sich selbst drehte.

Diese Geste war mir mittlerweile merkwürdig vertraut und wie immer wenn mir so etwas bewusst wurde, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Brach ich nicht viel zu sehr in ihre Privatsphäre ein?

Schon bevor sie sich am Rande des Abgrundes setzte und die Beine anzog, hatte ich gewusst, dass sie dies als nächstes tun würde.

Ich wusste definitiv, dass das, was ich vor ein paar Tagen angefangen hatte um meine Gedanken an sie endgültig zu vertreiben und jetzt noch immer fortführte nicht richtig war.

Doch mir war auch bewusst wie schrecklich einsam sie war und deswegen schaffte ich sie einfach nicht sie wieder zu vergessen.

Sie faszinierte mich, auch wenn ich nicht genau sagen konnte wieso. Vielleicht war es ihre scheinbar unendliche Stärke, die sie mir jeden Tag bewies und die sie selber noch nicht einmal wahrzunehmen schien.

Mein Blick wanderte erneut zu ihr. Zu dem Mädchen, dass Stundenlang ganz still dasaß und in die weite Ferne starrte, als würde die ganze Last der Welt auf ihr lasten. Und langsam glaubte ich auch, dass ihr Geheimnis etwas ähnlich schlimmes sein musste, zumindest für sie.

Ein kleines bisschen interessierte es mich vielleicht schon, was sie hinter ihren Fassaden zu verstecken versuchte, aber ich wusste nur allzu gut dass das allein ihr Ding war. Doch helfen, ja das wollte ich ihr.

Wenigstens ein Stück des Leids von ihr nehmen, denn ich sah es, ich sah das sie leitete, auch wenn sie es selbst an diesem abgelegenen Ort versuchte zu verstecken.

Heimlich folgte ich ihrem nun in die Tiefe gesenkten Blick. Zuerst hatte ich manchmal Angst gehabt, dass sie im nächsten Moment springen würde, doch inzwischen wusste ich, dass dem nicht so war.

Zwar konnte ich nicht sagen, ob sie manchmal mit dem Gedanken spielte, aber ich konnte ihr ansehen, dass sie dies niemals wagen würde. Weil es etwas gab, was sie hier hielt, wegen dem sie immer weiterleben und stark sein musste.

Auch wenn ich nicht sie leiseste Ahnung hatte was es war, betete ich für sie vom ganzen Herzen, dass es niemals aus ihrem Leben verschwinden würde. Denn wenn das eintreten sollte, gäbe es für sie keinen Grund mehr auch nur eine Sekunde länger zu bleiben.

Weil ich durch dich leben lernteWhere stories live. Discover now