36. Kapitel

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Marleenes Sicht:

Ich stand ganz still da, während Aldrin mir vorsichtig übers Gesicht fuhr und versuchte meine Tränen wegzuwischen.

Noch immer war ich dabei zu realisieren, was er mir gerade wirklich offenbart hatte, doch meine Gedanken schienen so schnell an mir vorbeizuziehen, dass ich keine Sekunde lang klar denken konnte.

War das wirklich war? Passierte all das gerade wirklich? Wie aus weiter Ferne bemerkte ich, wie Aldrin mein Gesicht noch immer behutsam in seinen Händen hielt und wahrscheinlich auf eine Antwort meinerseits wartete, doch die konnte ich ihm gerade einfach nicht geben.

Er hatte es die ganze Zeit über gewusst, die Sache mit den Prophezeiungen und all das hier war die Bestätigung, dass es sie wirklich geben musste.

Wie viel er von mir wusste, wie weit er hinter mein Geheimnis gekommen war, das ich ihm hatte niemals verraten wollen, konnte ich mit einem Mal nicht mehr sagen.

Doch was mich am meisten beunruhigte war die Tatsache, dass mich dies wahnsinnig erleichterte. Klar, er konnte lange nicht alles wissen, nicht erraten, das ich die Prophezeiungen von anderen sehen konnte, gesehen hatte, was mit ihnen passieren würde und trotzdem nichts dagegen getan hatte.

Aber Aldrin war mir so nahe gekommen, dass der das, was ich unter allen Umständen hatte vor ihm verbergen wollen, doch bemerkt zu haben schien und das... das fühlte sich einfach unfassbar gut an.

Zum ersten Mal seit ich denken konnte hatte ich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. Nicht die komische, distanzierte und so gefühlskalte unter all den anderen, die niemanden hatte der sie verstand, der sie verstehen durfte.

Erneut zog mich Aldrin in seine Arme und für einen Moment, nur für eine Sekunde hatte ich das Gefühl, dass alles gut werden könnte. Etwas, das ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht einmal zu denken getraut hatte.

Doch als er sich langsam wieder von mir löste, mir noch einmal meine Locken aus dem Gesicht strich, mit einem undefinierbaren Ausdruck in meine Augen sah und mich bei der Hand fasste, begann ich zu verstehen.

Fast konnte ich gar nicht glauben, dass er keine Antwort von mir haben wollte. Nicht nachfragte, was dies gerade gewesen war, wie genau ich mit den Prophezeiungen verbunden war, sondern einfach langsam weiterging um mir auch den Rest dieses wunderschönen Schlosses zu zeigen.

Er wollte mich zu nichts zwingen, mir die Freiheit geben, von der er wusste, das ich sie mehr als alles andere brauchte und dafür war ich ihm zutiefst dankbar. Obwohl mir all seine kleinen Gesten zeigten, wie gut er mich wirklich kannte, wie gefährlich nah er mir gekommen war, denn vielleicht wollte ich mich gar nicht länger dagegen wehren.

Aldrin zog mich nach links in einen kleineren Flur, der wie alle Gänge nur von Fackeln beleuchtet und mit dunkelrotem Teppich ausgelegt zu sein schien, der unglaublich weich sein musste, auch wenn ich ihn noch nicht berührt hatte.

Hier war alles einfach so unbeschreiblich, so anders, aber nicht schlecht. Nein, im Gegenteil, ich war mir ziemlich sicher, dass dieses Schloss das schönste war, dass ich jemals gesehen hatte.

Immer weiter zog mich Aldrin hinter sich her, die Treppen rauf und runter, mal einem Flur nach links, mal einem anderen nach rechts folgend, sodass ich schon lange meine Orientierung verloren hatte.

Nur das meine Hand noch immer in seiner ruhte, während ich ihm mehr oder weniger elegant hinterher stolperte und mir fast nichts von dem behalten konnte, was er mir gerade voller Eifer erzählte, nahm ich war.

Viel zu sehr war ich in meiner eigenen Welt versunken, in meinen Gedanken und undefinierbaren Gefühlen, die sich einfach nicht sortieren lassen wollte.

Es mochte sein, dass dieses Schloss das schönste war, was ich jemals gesehen hatte, doch da war noch so viel mehr. Ich fühlte hier etwas, das ich noch nie zuvor gespürt hatte: ich fühlte mich sicher, nicht mehr länger allein und, und ich fühlte mich zum ersten Mal wirklich zuhause.

Ohne es erklären zu können oder auch nur anzuzweifeln, wusste ich, dass ich hierhin gehörte, aber genau das machte mir eine Heidenangst.

Denn es war zu spät, meine Chance einmalig und für ewig verstrichen. Hätte Aldrin mir all das früher gezeigt, vielleicht. Vielleicht hätte alles gut werden können, auch für mich, aber jetzt, jetzt lagen die Dinge anders.

Sie waren gestorben und nichts, nichts und niemand auf dieser Welt würde dies Rückgängig machen können, auch wenn ich alles, wirklich alles dafür gegeben hatte. Weil es meine Schuld war, weil ich ihre Prophezeiungen ignoriert hatte, weil sie nur wegen mir, wegen meiner Rücksichtslosigkeit und dem undefinierbaren Gefühl das alles mit mir zusammenhing gestorben waren.

Nein, es konnte nicht mehr alles gut werden, niemals und erst recht nicht für mich... und schon allein das Wissen, dass ich nur eine Sekunde daran gedacht hatte, ließ mich fühlen wie der schlechteste Mensch auf der ganzen Welt.

Erst als Aldrin abrupt anhielt und ich ungeschickt gegen seinen breiten Rücken prallte, schaffte ich es mich wenigstens für diesen Moment von all diesen Gedanken loszureißen.

Wir standen vor einer massiven, dunklen Holztür mit Metallgriff und als Aldrin sich zu mir umdrehte, thronte ein unsicheres Lächeln auf seinen Lippen.

„Ich kann dich natürlich nicht zwingen hier zu bleiben, aber es würde mich sehr freuen wenn du es tätest...", er holte tief Luft. „...also, das hier ist den Zimmer.", ohne abzuwarten, öffnete er die Tür und ich konnte nichts anderes als den riesigen Raum, mit all seinen noch prächtigeren Möbeln zu bewundern.

Die vielen, großen Schränke, Kommoden und der Tisch mit seinen vier Stühlen waren ebenfalls aus dunklem Holz gefertigt und mit zahlreichen Verzierungen und Schnörkeln versehen.

Doch am meisten zog mich das riesige Bett in seinen Bann, dessen Bettpfosten bestimmt zwei Meter in die Höhe reichten und ein Dach aus wunderschönem, dunkelroten Stoff hielten, das perfekt zu all den ebenfalls rot oder weißen Kissen und den zwei weinrot-weißen Decken zu passen schien.

Aldrin schob mich sanft zu seinem Fußende und setzte mich auf die unfassbar kuscheligen Decken und ich ließ es einfach geschehen, denn dieser Anblick hatte mir noch immer die Sprache verschlagen.

Ich rechnete damit, dass er nun gehen und mich allein lassen würde, sodass ich endlich eine Chance haben würde, all meine chaotischen Gedanken zu sortieren, doch stattdessen setzte er sich neben mich und sah mich fast schon zögerlich von der Seite an.

„Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich noch etwas bleibe?"

Unfähig etwas zu erwidern nickte ich bloß, insgeheim wissend, das mir dies noch tausend mal besser gefiel als meine ursprüngliche Idee.

Weil ich durch dich leben lernteDove le storie prendono vita. Scoprilo ora