»Ece, gibst du mir eine Chance?«

»Bilde dir nichts ein. Ich bin nur hier, damit ich dir endlich sagen kann, dass du mich in Ruhe lassen sollst.«

Er lachte. Es war ein widerwärtiges hinterhältiges dreckiges Lachen.

Ich ging einige Schritte rückwärts auf die Flasche zu.

»Hab keine Angst, Ece. Ich tue dir nichts.«

»Dann verpiss dich!«

In meiner Stimme war keinerlei Angst zu erkennen, obwohl ich innerlich schon fast am Umkippen war. Jetzt verstand ich genau, wie sich Alev gefühlt haben muss. Bei ihr war es auch schlimmer gewesen. Sie wurde mit ihrer Familie bedroht.

Es waren nur noch ein paar Schritte zur Flasche. Timo kam mir immer näher und ich schnappte die Flasche, machte sie kaputt und rammte sie in Timos hässliche Fresse. Er stürzte zu Boden. Die Angst, die ich verdrängt hatte, trat vor und ich zitterte leicht. Es war wie ein Alptraum.

[Sicht von Serkan]

Yakup ging zu Timo und knallte ihm noch ein paar rein. Ich und Alev standen etwas weiter weg. Ich hätte mich am liebsten auch auf ihn gestürzt, aber Eces Beine waren so wackelig, das ich sie halten musste.

»Wer ist denn die Rothaarige da?«, fragte Timo und bekam da auch schon einen Tritt in den Bauch. Alev kam näher zu mir. Ihre Angst konnte man schon von ihren Augen ablesen.

»Egal-«, fing Timo an und spuckte etwas Blut. »wie viel du ihr bezahlt hast. Ich zahle das doppelte für eine Nacht.«

Das war zu viel. Ich konnte mich kaum noch halten. Der Typ bat mich förmlich, ihn umzubringen.

»Halte sie fest«, sagte ich zu Alev, die sofort Ece hielt. Dann stürzte ich mich auf diesen Timo.

Wir schlugen, bis Timo ohnmächtig wurde und riefen dann einen Krankenwagen an. Timo würde nicht sagen, dass wir ihn verprügelt hatten. Dafür war er zu stolz, das wusste ich genau.

Ich nahm wieder Ece zu mir. Sie war zwar nicht mehr schockiert und zitterte, so etwas kaute und schluckte sie schnell, aber ich wollte dennoch auf Nummer sicher gehen.

Sie sagte kein Wort, bis wir zu Hause waren.

»Ich koche kurz etwas«, waren ihre Worte und somit verschwand sie in der Küche. Alev ging auch in die Küche. Das hieß, ich musste mir keine Sorgen mehr machen.

Yakup und ich gingen wieder hoch.

Ich musste an Nisan denken, Yakups Schwester. Die Ärmste hatte es schwer erwischt. Es war eben einfach nicht so, dass wenn man vergewaltigt wurde, heute auf morgen alles vergaß. Nisan redete kein Wort mehr. Keinen einzigen. Egal, wie sehr alle es versucht hatten- schon seit einem Jahr. Als ich das letzte Mal mit Yakup dorthin gegangen war, meinte der Doktor, dass sie langsam Fortschritte machte, sie aber manchmal auch versuchte sich selbst zu verletzen.

Was war das wohl für ein Gefühl, zu wissen, dass seine eigene Schwester...

Was war das für ein Gefühl, sie jeden Tag zu sehen und keinen Laut von ihr zu hören. Als sei sie gar nicht hier.

»Ähm, Yakup?«, sagte ich vorsichtig und Yakup warf mir einen fragenden Blick. Okay, wie sollte ich jetzt danach fragen? »Öhm, äh...«

»Serkan frag einfach.«

»Naja, wie geht es Nisan? Macht sie irgendwelche Fortschritte?«

Yakups Gesicht wurde kreidebleich. Er sah nach unten. »Naja... Im Moment nicht mehr so, aber sie hat zum ersten Mal vor einem Monat einen Satz gesagt. Ein einzigen klitzekleinen Satz.«

»Das wäre?«

»Abi, beni kurtar.(Bruder, rette mich.)«

Er bekam eine Gänsehaut und seine Augen wurden glasig. Verdammt genau das wollte ich nicht. Der Schmerz war schon groß genug. Ich sollte ihn dann auch nicht weiter öffnen.

»Aber das ist doch ein großer Fortschritt«, versuchte ich ihn aufzuheitern. Er nickte. »Sie macht auch manchmal Geräusche- selten, aber manchmal tut sie es. Das ist auch ein Erfolg, aber ihr Arzt meinte, sie sei nicht genug glücklich ist. Sie wollte sich in der letzten Woche drei Mal umbringen.«

Oha, ich war wie versteinert. Yakup sah zu mir und eine Träne fiel ihm hinunter. »Verstehst du, Serkan? Sie ist nicht mehr bei sich! Sie ist nicht mehr meine Nisan! Und- und das ist alles meine Schuld! Ich hätte auf sie aufpassen müssen!«

Yakup sah zu Boden. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie denn auch? Ich wusste nicht, was das für ein Schmerz war. Ihr erster Satz hatte ihn nur noch mehr gekränkt.

»Sie lächelt nie. Den ganzen Tag bleibt sie sitzen und tut nichts, außer essen, schlafen und so. Ich hab alles versucht, Bruder. Wirklich. Ich hab alles versucht, um ihr eine Freude zu machen...«

Es klopfte an der Tür.

»Komm rein«, sagte ich mit einer schwachen Stimme. Alev betrat den Raum und sah zu uns beiden. Ihr Blick blieb bei Yakup haften. Seine Augen waren schließlich rot.

»Äh, wir haben essen gemacht. Kommt ihr runter?«, fragte sie mit einer vorsichtigen Stimme. Ich nickte und Yakup stand auf. Er wusch sich das Gesicht und ging dann runter. Wir aßen alle gemeinsam. Die Stimmung war bedrückt. Keiner wollte etwas sagen.

Nach dem Essen gingen wir schlafen.

Am nächsten Tag ging es allen besser. Wir frühstückten und redeten dabei. Ich hatte beschlossen auch manchmal Nisan zu besuchen. Alev und Ece wollten auch mitkommen. Ich war dagegen.

Nisan war ein wirklich wunderschönes Mädchen gewesen. Sie hatte richtig helles braunes gewelltes Haar. Ihre Augen waren hellgrün und ihre Lippen waren pink und voll. Und jetzt?

Sie war wie kaputt.

Alev und Ece wollten gar nicht wissen, was ich darüber dachte. Sie waren beide fest entschlossen, dorthin zu gehen. Hatte ich kein Wort mehr bei denen mitzureden?

Alev verabschiedete sich dann von Ece in der Küche. Yakup wollte auch gehen. Er nahm seine Tasche aus meinem Zimmer und ging dann auch.

Ich musste noch mit Ece sprechen. Irgendwie musste ich sie doch umstimmen können. »Ece?«, rief ich und sah unten nach. In der Küche war sie nicht mehr. Ich ging hoch und klopfte an ihrem Zimmer. Es war etwas zu hören, aber sie gab keinen Laut von sich.

Mir war es egal, also öffnete ich einfach die Tür. Eine Sekunde, nachdem ich sie geöffnet hatte, schloss ich sie dann auch wieder. Oha, war Alev nicht gegangen? Sie hatte da gestanden- oben nur mir BH und hatte sofort ein T-Shirt vor sich gehalten.

Verdammt, war das peinlich.

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