Kapitel 78

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Verträumt
Ge. 02- Kapitel 78

»Mr. Bener, hier ist eine junge Dame, die mit ihnen sprechen will«, verkündete die Sekretärin am Telefon. Ich wartete nervös. Irgendwie musste ich an diesen Mann denken, dem ich gerade begegnet war.
»Weshalb sind sie noch einmal hier?«, fragte sie mich dann mit einem netten Lächeln.
»Wegen den Gestaltungen der Innenkammern«, sagte ich selbstbewusst. Das war unser Code für Notfälle gewesen.

Die Sekretärin nickte und sagte meinem Vater Bescheid.
»Sie können jetzt rein«, erklärte sie mir dann, als sie fertig mit dem Telefonieren war. Ich nickte lächelnd und ging dann in Richtung des Zimmers.

Als ich vor der Tür stand, spürte ich eine Wärme und die Spuren der Sehnsucht kreischten in mir. Ich konnte es kaum erwarten, die Türklinke hinunter zu drücken. Schnell betrat ich den Raum und sah ihn das besorgte Gesicht meines Vaters- Metin Bener.

»Olcay, ist alles okay?«, fragte er mich. Seine Stirn war gerunzelt und seine Augen verrieten Angst- Angst um mich. Wir hatten viel erlebt.

Ich schüttelte einfach den Kopf.
»Komm her«, nuschelte er dann und nahm mich in den Arm. Ich umarmte ihn fest. Wie ich das vermisst hatte.

»Du weißt, es ist gefährlich«, fragte er mich. Es war eher eine rhetorische Frage. Er und ich wussten genau, dass ich die Antwort kannte.

»Ich hab dich so vermisst«, murmelte ich und hielt die Tränen zurück. »Wie lange soll das noch so weiter gehen? Ich brauche dich.«
Die Worte sprudelten einfach so aus meinem Mund. Wie oft war dieses Gespräch schon durch meinen Kopf gegangen? Wie oft hatte ich mir vorgestellt, dass ich es ihm sagte. Wie oft wollte ich hierher kommen, wie oft hatte ich Angst vor den Konsequenzen, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie.

Mein Vater küsste mich auf mein Haar und wir lösten uns dann von der Umarmung. Er strahlte mich an. »Setz dich doch, kleines.«
Ich nicke und setzte mich auf die rote Couch in der Ecke des Zimmers. Er ging zu seinem Tisch und kramte etwas. »Wie geht es dir?«
»Eigentlich ganz okay.«
»Und Özlem?«
»Super.«
»Wie steht's mit der Schule?«
»Wie immer halt.«

Er grinste mich an und setzte sich vor mich auf die Couch. »Diese dummen monotonen Gespräche haben wir jetzt hinter uns, sag Mal, ist alles okay?«
Ich nickte und er reichte mir das, was er von seiner Tischschublade geholt hatte- Schokobrötchen.
»Keine Angst, ich hab sie erst heute morgen geholt. Sie sind nicht alt oder so.«
Ich grinste, doch sah dann auf der Tüte das Zeichen von de Bäckerei von heute morgen, wo Bekir und seine Freunde mich geschlagen hatten.

»Von welcher Bäckerei hast du die?«, fragte ich entsetzt, als ob es eine Schande wäre, wenn er sie von der falschen hätte.
»Die Bäckerei vor deiner Schule«, antwortete er. »Erwischt, um ehrlich zu sein, wollte ich vielleicht wenn ich Glück hab zu dir, ein kleines Gespräch oder so. Du weißt, wie sehr ich dich vermisse.«

Ich schmollte. »Ich vermisse dich auch, Baba (Papa).«
Danach zeigte ich aber auf die Brötchen und machte ein ernstes Gesicht. »Die esse ich aber nicht!«
»Warum?«
»Warum wohl? Weil die Angestelltin dort eine fette hässliche-«, ich blieb abrupt stehen und biss mir auf die Lippe.
»Was?«, fragte mein Vater, obwohl er mich genau verstanden hatte. Sein Grinsen war irgendwie total breit geworden. »Weißt du, welchen Blick du gerade hast?«
»Welchen?«
»Dein "ich-bin-total-eifersüchtig,-gebe es -aber-nicht-zu-Blick".«
»Das stimmt nicht!«, kreischte ich. Ich war doch nicht eifersüchtig auf so eine Schlampe! Die war doch so dumm und fett und schlampig und 'ne totale Memme! Ich meine, die hat sich bescheuert in der Bäckerei versteckt, während die Typen mich schlagen wollten! Und wenn die weg sind, wollte die sch auch noch um Cihan kümmern! Die war so 'ne... unbeschreiblich!

»Natürlich bist du eifersüchtig, den Blick kenn ich doch.«
»Du irrst dich, baba (papa)!«
»Ich kenn den Blick schon seit der Grundschule!«
»Damals gab es mich nicht!«
»Dafür aber deine Mutter«, lachte er und sah verträumt zur Seite. »Sie hat es nie zugegeben... genau wie du.«

Dann sah er wieder zu mir. »Jetzt sag mir, was ist denn mit dieser Angtestelltin?«
»Nichts!«
»Okay, okay, ich frag ja nicht mehr. Scheint ein ziemlich privates Thema zu sein.«
»Baba! (papa!)«
»Ja ist okay, Olcay. Ich nerve ja nicht.«
Ich konnte es immer noch nicht fassen! Wie konnte man auf so jemanden eifersüchtig sein? Pff! Ich und eifersüchtig? Niemals! Ich will die nur töten. Eifersucht ist mir fremd! Wieso auch? Soll sie doch Cihan... -Warte, was hat das mit Cihan zu tun? Ach nichts! Olcay, du bist echt dumm! Mach dir keine Gedanken.

»Es gibt etwas wichtigeres, was ich mit dir besprechen muss«, gestand ich. Es musste jetzt raus.
»Das wäre?«
»Du kennst doch Aliyes Tochter?«
»Ece?«
»Genau die! Also die hat 'ne Freundin und die wurde-«, ich machte eine kurze Pause und sah runter. Das war ein einfach viel zu schweres Thema. Darüber konnte man nicht leicht reden. »- wurde vergewaltigt von einem Typen und liegt in einer Klinik. Es ist der Sohn eines wichtigen Arbeiters hier.«
»Was?«
»Die haben die angezeigt, aber der Typ hatte einfach viel zu viel Geld und so. Kein Plan, wie der das geschafft hat. Könntest du für mich das Mal recherchieren?«
Mein Vater nickte geschockt. Das war zu erwarten. Ich hab ihm eine Zettel, wo Informationen über Timos und seinem Vater war.

»Der Sohn belästigt auch manchmal Ece«, schoss es aus mir heraus.
Die Augen meines Vaters spuckten Feuer. »Ich glaub's nicht!«, rief er und stand auf. »Wie können solche Menschen ungestraft bleiben!?«
»Baba (Papa), schrei nicht so!«
»Wie nicht, hä!? Aliye ist wie eine Schwester für mich! Außerdem hat der Typ ein-«, er stoppte und fasste sich an die Stirn.

Dann blickte er zur Uhr und dann wieder zu mir. »Olcay, du musst zur Therapie!«
»Nein!«
»Doch!«
»Ich bin nicht krank!«
»Olcay!«
»Ich geh ja schon!«

[Sicht von Tunç]

Nachdem Olcay gegangen war, sprachen Özlem und Frau Özkan kurz. Danach sah mich Frau Özlan plötzlich verwirrt an. »Wieso bist du noch nicht gegangen?«
»Äh, keine Ahnung«, erwiderte ich und ging aus dem Raum. Bevor ich mit Olcays Mutter sprechen wollte, musste ich schließlich mit Ece sprechen.

Ich rief sie an, als ich vor der Schule stand.

»Was ist?«, fragte sie genervt und man erkannte an ihrer Stimme, dass sie geschlafen hatte.
»Hast du mich denn gar nicht vermisst?«, lachte ich.
»Wie kann man bitte dich vermissen? Du bist ein Problem.«
»Musst du gerade sagen, 'ne? Bevor du in mein Leben kamst, war alles okay.«
»Ich kann auch wieder verschwinden.«
»Das ist ja das komische.«
Ich will nicht, dass du gehest. Egal, was für Probleme du breitest.
»Was ist komisch? Hä?«, nuschelte sie. Plötzlich hörte ich ein Geräusch vom Hörer. Es klang, als ob jemand runtergefallen war oder so.

»Aua!«, quengelte Ece. »Bin vom Bett gefallen!«
»Jetzt verstehe ich alles«, lachte ich.
»Auuu! Wieso redest du so unverständlich?Was verstehst du man?«
»Wahrscheinlich bist du als Kleinkind auf den Kopf gefallen und das mehrere Male.«
Ich lachte extra laut, um sie zu provozieren. Sie war viel zu leicht reizbar.
»Bist du dumm oder so?«, kreischte sie. Ich fand, sie hörte sich an, wie ein Kleinkind. »Ich bin doch nicht die Person, die auf den Kopf gefallen ist.«
»Tunç!«
»Ich kenne meinen Namen!«
»Boah, ich leg auf! Hast du mich jetzt nur deshalb geweckt, du Arsch.«
»Sofort am beleidigen, du kannst ja gar keine Wahrheit verkraften.«
»Tunç!«
»Okay, okay, ich hör schon auf! Ich wollte dir etwas sagen, was dir gefallen wird.«
»Ja?«
»Ich hab diese Özlem gefunden, die uns wohl weiterhelfen könnte. Du wirst staunen, wer es ist.«
»Waaas? Wo! Wie? Wann!?«

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