Kapitel 90

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Verträumt
Ge. 02- Kapitel 90

[Sicht von Ece]

Nach der Schule ging ich mit Tunç in ein Café. Wir wollten eigentlich darüber reden, wie wir unsere Eltern dazu bekommen könnten, einander zu mögen, aber dazu hatten wir irgendwie nicht genug Zeit. Wir redeten über dies und das, lachten viel, er ärgerte mich oft, ich nervte ihn zurück, es war einfach nicht genug Zeit mit ihm.

Sein Lachen, seine Augen, seine Art, alles an ihm wurde jeden Augenblick etwas besondereres für mich. Ich musste immer wieder an den Tag denken, wo wir uns zum ersten Mal begegnet waren- in der Schulmensa. Es waren einfache Ananas, die uns zusammenbrachten, dann seine Freundschaft mit meinem Bruder und diese komische Verbindung zwischen uns.

Nachdem wir aus dem Café gingen, schlenderten wir in der Stadt herum. Wir aßen ein Eis und später Crêpes. Ich wusste es jetzt schon, dass ich wegen Tunç womöglich noch fett wurde.

»Willst du, dass wir noch etwas essen gehen?«, fragte er mich dann.
»Übertreib, so viel esse ich gar nicht!«
Er lachte. »Wenn du meinst.«
Ich schlug ihm gegen die Schulter und er drückte mich fester an sich.

In dem Moment sah ich vor mir meine Mutter. Wir blieben beide abrupt stehen und ich starrte meiner Mutter in die Augen. Das komische war aber, dass Bekir neben meiner Mutter stand und er mich auch hasserfüllt ansah. Was tat er denn hier und das neben meiner Mutter?

Meine Mutter und Bekir kannten sich wegen der Grundschule. Da waren ich und Alev noch mit ihm befreundet. Das hieß, dass sie diese schrecklichen Seiten von Bekir gar nicht kannte. Vielleicht dachte sie ja sogar, Bekir sei ein artiger Junge oder so. Trotzdem war es nicht normal, dass er plötzlich bei ihr stand. Was suchte er hier?!

Meine Mutter kam auf mich zu, dicht gefolgt von Bekir, packte mich an meinem Arm und zog mich zu sich. Ich wehrte mich nicht dagegen. Es war meine Mutter. Was sollte ich denn tun?

Bekir grinste triumphierend. Tunç machte einen Schritt zurück, nicht wegen Bekir, sondern meiner Mutter. Es sah wahrscheinlich nicht so schön aus, wenn er zu nahe an mir war.

»Was tust du hier bei meiner Tochter!?«, kreischte meine Mutter. Bekirs Grinsen wurde breiter. Am liebsten hätte ich ihm eine reingeschlagen.
»Es-«, fing Tunç an, doch meine Mutter ließ ihn nicht reden. »Lass es gut sein, ich will es doch nicht hören. Komm nur nicht in die Nähe meiner Tochter!«
»Anne (Mama)«, sagte ich. »Ich war freiwillig bei ihm.«
Meine Mutter sah mich streng an. Ich erkannte ihren Blick sofort. Sie warnte mich, ich solle nicht weiter reden oder zumindest auf ihrer Seite stehen.

»Ich möchte bei ihm sein«, sprach ich weiter. Noch nie hätte ich gedacht, so etwas sagen zu können. Überhaupt! Das ganze mit Tunç gestand ich schwer mir selbst. Ich war einfach nicht gut mit Liebesdingen.
»Ich hab ihrer Tochter nichts angetan«, sagte Tunç.
Meine Mutter hob eine Braue. »Wer weiß, was du für Sachen tust.«
»Wechselst jeden Monat deine Freundin«, fügte Bekir eine dreckige Lüge hinzu.
»Was redest du!?«, zischte Tunç.

Mutter schien Bekir zu glauben, denn sie schob mich weiter zu sich. Ich konnte es nicht fassen. Ich konnte es einfach nicht fassen.

»Das stimmt nicht«, versuchte Tunç vergebens meine Mutter zu überzeugen.
»Anne (Mama), Tunç hat Recht!«
»Hör auf, ihn zu beschützen!«, schimpfte meine Mutter. Sie richtete ihren Kopf zu unserem Auto, welches in der Nähe stand. Ich lächelte Tunç zur Entschuldigung schwach an und stieg dann in unser Auto ein. Von hier aus konnte ich nur sehen, wie meine Mutter noch etwas sagte und dann auch in das Auto stieg. Wütend knallte sie die Autotür zu und sah mich vom Rückspiegel aus wütend an. Als sie losfuhr, begann sie schon mit den Befragungen.

»Was hast du mit diesem Typen gemacht, Ece!?«
»Ich bin mit ihm in der Stadt gewesen, hast du doch gesehen! Außerdem bereue ich es nicht! Er ist kein schlechter Mensch!«
»Du kennst dich also mit schlechten Menschen aus?«
»Du besser oder wie?«, zickte ich. Sie dachte ja, dass Bekir "gut" wäre.
»Ece, überleg zwei Mal, was du sagst. Was soll an diesem Jungen nett sein!? Allein, wie er dich anstarrt! Man merkt doch, dass er nur das eine will.«

Ich verschränkte die Arme. »Will er nicht! Ich liebe Tunç, Anne (Mama)!«
Plötzlich stoppte das Auto.
»Was hast du gesagt?«, fragte meine Mutter laut und fuhr weiter, weil hinter uns ein Auto auftauchte.
»Ich-liebe-Tunç-Aksoy! Ich liebe ihn mehr als mein Leben!«
Mutter schlug gegen das Lenkrad und die Wut sah man ihr im Gesicht geschrieben. »Wie lange seit ihr zusammen?«
»Eine Woche«
»Ece, du machst Schluss.«
»Aber-«
»Du machst Schluss.«
»Wir werden sehen, oh ich Schluss mache!«

Wir waren angekommen, also stieg ich aus und rannte in mein Zimmer. Auf eine Art verstand ich meine Mutter. Sie hasste Tunçs Mutter seit Jahren. Wie sollte sie dieser Frau in die Augen sehen, nach all den Jahren? Wie sollte sie einfach diesen Hass loswerden? Auf der Anderen Seite verstand ich sie nicht. Sie kannte Tunç nicht, das heißt, sie konnte ihn nicht einfach so beurteilen und außerdem war ich ihre Tochter! Sie wollte doch mein Glück, oder nicht!?

[Sicht von Cihan]

Zu Hause schnauzte mich meine Mutter erst einmal an.
»Mit welchem Kerl hast du dich dieses Mal geprügelt, Cihan!?«, rief sie mir hinterher, als ich das Badezimmer betrat und mir vor dem Spiegel mein Gesicht ansah.
»Cihan, hörst du mir zu?«, fragte sie dann und erschien hinter mir.
»Ich hab mich mit keinem Kerl geprügelt«, erwiderte ich und fasste langsam an meine Nase. Es tat nicht mehr weh und dazu sah es nicht gebrochen aus. Trotzdem sollte ich vielleicht zum Arzt.

»Ach, die Wunde ist also angewachsen!?«, entgegnete meine Mutter streng.
»Anne (Mama), es ist ehrlich nicht dieser Rede Wert. Ist nichts großes.«
Sie sah mich immer noch streng an und ihre Augen wurden immer größer. Sie behandelte meine Wunde kurz und ich gab ihr dann Bescheid, dass ich zum Arzt gehe.

»Mine!«, rief meine Mutter und meine kleine Schwester kam grinsend zu uns.
»Mine, pass Mal auf deinen Bruder auf, okay?«, fragte sie dann. Mine nickte. Sie ging erst zum Kindergarten und meine Mutter wusste, dass ich neben ihr keine Kämpfe veranstalten würde.

»Okay, ich passe auf ihn auf!«, rief Mine mit ihrer Kindlichen Stimme und nahm meine Hand, als sei ich das Kind.
»Na gut«, murmelte ich und ging mit ihr aus dem Haus.

Der Arzt sagte, als ich endlich nach einer halben Stunde drankam, dass meine Nase nicht gebrochen war. Ich sollte dennoch aufpassen, dass es nicht wieder passierte. Bla bla. Ich sollte mir auf jeden Fall irgendeine Medikament holen. Eigentlich unnötig. Meine Nase war eh nicht gebrochen, aber da Mine bei mir saß und alles mithörte, musste ich es mir holen. Sie war zwar klein, aber bei so etwas war sie extrem fürsorglich. Ich konnte mir viel zu gut vorstellen, dass sie mich meiner Mutter petzte.

Also ging ich mit Mine danach zu einer Apotheke. Es dauerte eine Weile, bis sie mir das Medikament gaben und da stellte ich fest, dass Mine nicht mehr bei mir war. Wo war sie denn jetzt hingegangen!? Ich sah mich schnell um und ging das aus der Apotheke. Links, rechte, überall sah ich hin, doch sie war nicht zu sehen. Rennend begab ich mich zuerst zur einen Seite. Beim Rennen hörte hinter mir ich einen Krankenwagen, Geschrei und vieles Mehr. Schlagartig drehte ich mich um, beschleunigte mein Tempo und lief direkt auf die Stelle zu, von der dieser Lärm kam. Jemand wurde mit einer Trage in einen Krankenwagen getragen. Ich konnte die Person nicht sehen und hoffte, dass es nicht meine kleine Prinzessin war. Viele Autos hatten angehalten. Es war wohl ein Unfall.

Mein Herz machte einen Ruck, als ich Mine auf dem Bürgersteig sah, sie war runtergefallen, wie es aussah. Ihre großen grauen Augen sahen zu Krankenhaus, wo eine Frau nun hineinging. Sie hatte rote Augen, ein verheultes Gesicht und rief immer wieder: »Kizim! (meine Tochter!)«
Beim näheren hinsehen, erkannte ich das es diese eine Frau war. Wie hieß sie gleich... Özlem! War das ihre Tochter, die den Unfall hatte?!

VerträumtWhere stories live. Discover now