Kapitel 77

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Verträumt
Ge. 02-Kapitel 77

Als wir uns von der Umarmung lösten und ich ihm in die Augen sah, merkte ich, wie sehr ich alles vermisst hatte. Ihn zu umarmen, seinen Geruch aufzunehmen, ihn zu sehen, mich in seine Augen zu verlieren, wie ich es immer tat, wie ich es jetzt noch tat...

Es war das Gefühl von Glück und Zuversicht. Ich fühlte mich so sicher und Geborgen. Er nahm meine Hand und wir gingen ein Stück.

»Ich könnte wetten, das war 'n Kumpel von Bekir«, meinte er und meine wundervolle Welt wurde plötzlich wieder in den Müll geworfen und das persönlich von der hatten Realität. Bekir war ein ernstes Problem. Sollte ich Serkan sagen, dass er gerade bei mir war? Mich verarscht hat? Und vor allem, dass er behauptet hat, er hätte sich verändert? Das wäre ja lachhaft, aber naja... Ich stöhnte.

»Du antwortest mir ja gar nicht«, erkannte Serkan. »Was bedrückt dich?«
»Ach nichts«, log ich und es tat mir an der Seele weh. Serkan war wie ein Teil von mir. Wenn ich ihn anlog, log ich praktisch mich selbst an.
»Bist du sicher, Pumuckl?«
Ich blieb stehen und starrte ihn sauer an. Er grinste schief, weil er genau wusste, weshalb ich sauer war.
»Pumuckl?«, fragte ich und schlug ihm gegen die Schulter. »Nenn mich nie wieder so!«
Er lachte. »Pumuckl's Zwillingsschwester?«
»Serkan!«, drohte ich.
»Ich hör ja schon auf, schlag mich nicht«, lachte er und wurde dann schon wieder ernst. »Was sollte deine Nachricht?«
»Welche?«
»Du hast geschrieben, dass du vor der Turnhalle wartest?«

Okay, es musste raus. Die Frage war nur, wie ich das anstellen sollte, ohne dass er ausrastete oder so. »Also, das war so. Ich dachte du hättest mir eine Notiz geschrieben, dass du vor der Turnhalle wartest. Das war aber Bekir.«
»Ich wusste es«, zischte er. »Ich wusste, dass er nicht so leicht loslässt, dieser Schnorrer.«
»Serkan, lassen wir das!«, bat ich. Ich hatte keine Lust, die ganze Zeit meines Lebens über Bekir nachzudenken und was er für ein Arschloch war. »Er ist im Moment nicht da und wenn er kommt, hab ich einen starken festen Freund, gute Freunde und du weiß ja, wie meine Cousine ist.«
»Sag das noch einmal!«, rief er und strahlte mich an. Seine grünen Augen sahen mich voller Energie an.
»Was?«, fragte ich und im nächsten Moment wurde mir klar, was er meinte. »Ich habe einen starken festen Freund?«
Er lachte. »Sag es noch einmal!«
»Serkan bist du bescheuert?«, lachte ich.
»Meinetwegen geb ich zu, dass ich bescheuert bin. Jetzt sag es noch einmal!«
»Nö!«
»Alev!«
Ich liebte es, wie er meinen Namen aussprach. Es war voller Leidenschaft. Was für ein schöner Name. Wieso war mir nie klar geworden, wie schön mein Name klang?

Als ich in Gedanken war, drückte er mir eine Kuss auf die Wange und strahlte mich an. »Du bist das komischste Mädchen der Welt.«

[Sicht von Olcay]

Nachdem uns Olcay noch lange ausgeschimpft war, musste meine Mutter schnell weg. Tunç war irgendwie in Gedanken. Mir doch egal. Ich stieg in einen Bus und wartete lange. In der Zeit sah ich mir irgendwelche Schulsachen an. Die Fahrt dauerte lange, bis ich einmal Umstieg und noch eine kurze Strecke fuhr.

Als ich dann vor dem Gebäude stand, klopfte mein Herz stark. Die große Aufschrift "Bener" zauberte mir schon ein Lächeln ins Gesicht. Mit schnellen Schritten ging ich ins Gebäude. Im Aufzug angekommen, stand ich nun da mit einem Mann neben mir, der einen ziemlich verschränkten und hochnäsigen Ausdruck machte. Ich schaute deshalb einfach nur zur Seite.

Kurz danach spürte ich schon den Blick dieses Mannes stechen. Manche Menschen waren echt unhöflich. "Nicht hingucken, Olcay!", befahl ich mir selbst und hätte sogar beinahe hingesehen. Der Typ räusperte sich und sah mein "beinahe hingucken" wahrscheinlich als Aufforderung zu sprechen. »Was macht denn eine so junge Dame in einer so großen Firma.«

Ich blickte den Mann schief an. Er sah mir eine Weile in die Augen, lächelte aber dann auf eine sehr widerliche Weise. Ein Schlag traf mich und es fühlte sich so an, als würde es mich in eine andere Zeit wirbeln:

"Ich war noch recht jung- ein Kleinkind. Meine Mutter hatte mir angeordnet, von dem Bäcker in der Nähe von unserem Haus ein Brot zu kaufen. Es waren gerade Mal fünf Häuser zwischen unserem Haus und den Bäcker. Als ich dorthin lief sah mich ein kleiner Junge mit großen Augen an und sagte mir, ich solle ihm doch folgen. Ich schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts dazu. Sprechen tat ich damals sowieso nur wenig. Der Junge deutete auf den Ball in seinen Händen. Ich mochte Bälle. Ich war klein und naiv, also ging ich einige Schritte zu ihm, bis ich einen schwarz angekleideten Mann in einer Ecke sah, der uns beobachtete. Sein falsches Lächeln prägte sich in meinem Kopf. Aus Angst ließ ich das Geld fallen und fing an wegzulaufen.

Der Mann war schon an meiner Seite und hielt mich mit deiner einen Hand am Mund, damit ich nicht schrie und hob mich mit der anderen Hand vom Boden. Ich wurde in ein Auto geworfen. Zum Fesseln hatte er noch keine Zeit. Wenn mich jemand aus der Nachbarschaft sehen würde, würden sie mir helfen. Sie hatten mich alle sehr gemocht. Der Junge saß bei mir auf dem Hintersitz und der Mann fuhr schnell weiter. Ich wollte schreien und weglaufen, doch der Junge neben mir packte mich am Haar, drückte meinen Kopf runter und hielt meinen Mund zu. Es war die reinste Qual.

Mit Mühe trat ich dem Jungen nach einer kurzen Weile in den Bauch, öffnete die Tür des Autos und sprang hinaus. Ich landete auf der Straße, wo ich mit blutigen Knien und zerrissenen Jeans lag. Der Mann hätte nicht einfach stoppen können, es war eine Straße mit nur einer Spur. Ich richtete mich hin und sah vor mir ein Motorrad. Ein Motorrad, welches immer näher zu mir kam.

Ich schloss die Augen aus Angst, alles tat mir weh, da spürte ich wie mich jemand packte und ich mit der Person zur Anderen Straßenseite gelang. Das war verdammt knapp gewesen. Ich öffnete die Augen und erblickte ein vertrautes Gesicht. Es war die Mutter von Ece, die mich gerettet hatte. Mir kullerten lautlose Tränen die Wange entlang. Sie wischte sie schnell weg und umarmte mich dolle. »Wieso bist du hier allein, Olcay?«, fragte sie, obwohl sie wusste, dass ich fast nie sprach.

Aliye brachte mich zu sich nach Hause und holte schnell einen Verbandkasten. Das Gesicht des Mannes ging mir nicht aus dem Kopf, als sie mich auf die Theke setzte. Ich wollte nicht an den Mann denken, ich wollte alles vergessen. Mir wurde alles unangenehm und ich warf mich von der Theke und kam hart auf. Es kam mir immer noch so vor, als ob dieses Motorrad auf mich zu kam- immer näher. Die Angst packte mich. Ich hasste ab dem Zeitpunkt Motorräder.

»Olcay!«, rief Aliye und half mir hoch. Sie sah mich voller Mitleid an, meine Gedanken waren immer noch bei dem schwarz angekleideten Mann."

»Kriege ich denn eine Antwort?«, fragte der Mann und sein lächeln war noch immer nicht verblasst. Ich sah ihn schockiert an. War er es? Konnte er es sein?

»Was interessiert sie das?«, fragte ich kalt und drehte meinen Kopf weg. Die Aufzugstür glitt auf. »Na dann, meine Schöne, ich muss weg«, sagte er und ging aus dem Aufzug. Die Tür ging wieder zu und ich bekam wieder leichte Panik. Hatte er mich zurückerkannt? War er es überhaupt? Was sollte ich tun?

Die Aufzugstür glitt wieder auf und ich stieg aus. Sollte ich davon meinem Vater Bescheid sagen? Das letzte Mal, als ich geschwiegen hatte, hatte es fast mein Leben gekostet. Aber was war, wenn ich falsch lag? Was war, wenn ich einfach nur paranoid war?

Ich stand nun vor der Sekretärin, die mich lächelnd ansah. »Was kann ich für sie tun?«, fragte sie lächelnd.
»Ich möchte Metin Bener sehen«, antwortete ich mit einer brüchigen Stimme.

VerträumtWhere stories live. Discover now