Kapitel 6

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Ein Schritt vor, Schlag, zwei kleine Schritte zurück, Tritt. Ein Kick in den Magen mit dem linken Bein, gleichzeitig eine halbe Drehung in der Luft, dann ein Kick an den Kopf mit dem rechten Fuß. Und schließlich eine Landung auf dem Knie.

Ich richte mich wieder auf und strecke mich. Danach beginne ich wieder die Puppe zu verdreschen. Sie besteht aus hartem Leder und wurde mitten im Trainingsraum aufgehangen.

Seit vier Tagen, also seit mir die Erlaubnis erteilt wurde, komme ich täglich hier her, um in Form zu bleiben. Natürlich sind mir die ganzen Leute aufgefallen, die nur oberflächliches Training machen und eigentlich hier sind, um mich zu beschatten. Doch ich ignoriere sie einfach, genauso wie meine beiden Leibwächter, Flynn und Jerry. Sie sind wie zwei Schatten und achten auf jede meiner Bewegungen. Vermutlich haben alle Angst, ich könnte sie umbringen, wenn sie mich aus den Augen lassen. Als ob das mich aufhalten würde.

Ich weiß noch immer nicht was stimmt, versuche aber täglich, mit Lesen, Malen, Klavier spielen, Sport und allem anderen, was ich sehe, mich abzulenken. Aber man kann sagen was man will, die Königin ist wahnsinnig freundlich. Sie gibt mir beinahe alles, was ich will und ich muss mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass ich hier quasi gefangen bin.

„Prinzessin", ich zucke bei der Anrede zusammen und drehe mich zu Jerry, der gesprochen hat, um. „Die Königin bittet mit Ihnen zu Abend zu essen." Na toll. Die letzten beiden Male waren nicht besonders angenehm gewesen. An sich fühle ich mich in Ihrer Anwesenheit wohl, schließlich bin ich nun schon mehrere Wochen hier, doch gerade das verunsichert mich. Zum einen befehligt sie tausende von Vampiren und zweitens müsste ich sie eigentlich hassen.

„Muss das schon wieder sein?", frage ich meinen Leibwächter und kann mir einen leicht gequälten Blick nicht verkneifen.

„Ja", erwidert er tonlos. „Das Essen findet in einer Stunde statt. Ich empfehle Ihnen, sich jetzt zu duschen und umzuziehen. Es wäre nicht besonders angemessen mit nassen Haaren aufzutauchen." Genervt ziehe ich eine Grimasse in seine Richtung. Das ist zwar kindisch, aber beschreibt nun mal genauestens meine Gefühle für ihn. Danach stapfe ich in die Richtung zu meinem Zimmer davon. Augenblicklich höre ich natürlich die beiden Vampire hinter mir. Da ich nicht die geringste Lust auf das Abendessen habe, entscheide ich mich für ein kleines Späßchen.

Nachdem ich um die Ecke bin, laufe ich geräuschlos los und höre nicht lange später das schnelle Auftreten auf den Boden. Zweifellos rennen mir die beiden hinterher. Ich biege um mehrere Ecken und komme schließlich wie vermutet auf dem ursprünglichen Gang wieder an. Danach laufe ich mit voller Power den Gang entlang, hinter mir höre ich immer mehr Füße trampeln. Hinter der letzten Ecke bleibe ich dann stehen und warte auf sie. Es dauert nicht lange und ich weiß, sie werden in wenigen Sekunden um die Ecke biegen, vermutlich folgen sie meinem Geruch, schließlich bin ich verschwitzt und sie rennen nur paar Meter hinter mir.

Blitzschnell trete ich hinter der Ecke hervor und breite meine beiden Arme aus. Fast augenblicklich treffen diese auf die Halsbeugen meiner beiden Leibwächter und sie werden durch den plötzlichen, heftigen Aufprall zu Boden geschleudert. Schnaufend liegen sie auf dem Rücken.

Ich steige über die beiden drüber und gehe in mein Zimmer, doch vorher drehe ich mich noch einmal um und zwinkere ihnen zu. Während ich die Tür hinter mir schließe, höre ich wie noch andere Vampire angerannt kommen. Das ist die Gewissheit die ich brauche. Ich bin nicht hilflos, auch wenn sie mich hier gefangen halten. Und ich werde niemals hilflos sein, denn das ist was ich kann: Kämpfen.

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