Kapitel 45

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Mein Blick ist starr, meine Umwelt verschwommen. Ich sehe nichts. Ich höre nichts. Ich spüre nichts. Nicht mehr seit seine Leiche verbrannt und die Asche vergraben wurde.

Die Leute kommen auf mich zu, sprechen mir ihre Beileidsbekundungen aus und erzählen mir, wie toll Flynn doch gewesen ist.

Vorhin noch habe ich bitterlich geweint, aus Schmerz. Ich hatte Angst, der Schmerz reißt mich auseinander. Jetzt habe ich diese Angst nicht mehr, es ist zu spät. Ich bin zerbrochen, allerdings nur innerlich. Äußerlich habe ich nur einen starren Blick. Keine Trauer, keine Freude.

Die letzten Gefühle hatte ich, als die Soldaten salutiert haben.

Noch immer trage ich das schwarzes Kleid, Jack steht neben mir im Anzug. Die ganze Zeit klammere ich mich an ihn, sonst halte ich das hier nicht aus.

Nur ungern höre ich damit auf, mein Gesicht an seiner Brust zu vergraben. Doch Leute kommen auf mich zu und wollen anscheinend mit mir reden.

Abwartend sehe ich sie an. Es ein kräftiger Mann mit braunen Augen, kurz geschorenen Haaren und in einer Uniform. Daneben ist eine Kopie von ihm, nur in jünger. Und vor den beiden steht eine Frau mit dunkelbraunen, kurzen Haaren, die einen Anzug trägt. Vermutlich ist es die Familie, von der er einmal gesprochen hat, sie weisen alle eine verräterische Ähnlichkeit auf zu ihm.

Sie verbeugen sich vor mir und dann beginnt die Frau zu sprechen. „Miss, es war eine große Ehre für Flynn und für unsere gesamte Familie, Sie beschützen zu dürfen."

„Er ist gestorben.", sage ich leise.

„Er hat sein Leben für sein Vaterland und für seine Überzeugungen gegeben. Wir sind stolz auf ihn.", sagt die Frau mit einem traurigen Lächeln.

„Und trotzdem ist er tot. Weg.", murmele ich. Ob es nun ein ehrenvoller Tod war oder nicht, es ändert nichts daran, dass er weg ist.

„Doch sein Tod war nicht sinnlos.", stellt der ältere Mann fest.

Anstatt ihm zu widersprechen nicke ich nur leicht und gehe mit Jack davon. Es bringt nichts ihnen zu erklären, dass er trotz allem tot ist. Und worin bestand bitte der Sinn? Hätte er mich nicht beschützt, wäre ich gestorben. Er hat mich beschützt und ist selbst gestorben.

So oder so, es wäre jemand gestorben. Was macht es also für einen Sinn, dass er es ist und nicht ich?

Und worauf ist seine Familie bitte stolz? Darauf, dass er nun eingeäschert in der Erde liegt? Er hatte Recht, seine Familie ist schrecklich. Für sie ist seine Stellung und das Königreich wichtiger, als der eigene Sohn und Bruder.

„Gleich sind sie weg.", murmelt mir Jack beruhigend ins Ohr. Wortlos schaue ich ihn an.

„Ich weiß, es ist schrecklich. Sie sagen alle denselben Schrott.", sagt er traurig. Jack bezieht sich darauf, was sie mir alle erzählen. In ihren Reden sagen sie, was es doch für eine für ihn gewesen wäre, für mich zu dienen und mein Leben mit seinem zu beschützen. Doch das ändert nichts, egal ob Ehre oder nicht, er ist tot.

Aber dafür hatten sie genug Umschreibungen. Von uns gegangen, dahingeschieden, in einer besseren Welt. Anstatt die Sache einfach mal beim Namen zu nennen, benutzen sie Wörter, die harmloser klingen. Doch meinen tun sie genau dasselbe.

Allerdings habe ich kein Recht, mich darüber zu beschweren. Ich ertrage es schließlich noch nicht einmal, seinen Namen zu denken. Denn dann wird es endgültig. Dann ist er für immer weg.

Also stehe ich bei seinem Grab, bedanke mich artig für die Beileidsbekundungen und stimme ihnen allen zu. Und mit jedem Wort zerbreche ich ein wenig mehr, zerreißt es mich mehr. Sie spielen seinen Tod herunter und tun, als wäre das, was er getan hat, die einzige Lösung gewesen.

A new & "normal" lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt