Kapitel 58

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Ja, ich will. Wie ein Echo hallen diese Worte in mir wieder. Ja, ich will.

Diese Worte, die normalerweise Wörter der Liebe sind, sind für mich stechend wie ein Messer. Ein Messer, das in meinen Körper geschlagen und langsam herum gedreht wird.

Ich schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln und meine Gedanken zu ordnen. Und dabei wird mir eines klar. Noch immer halte ich es für das Richtige. Mag sein, dass ich mich immer wieder daran erinnern musste, doch es ist und bleibt noch die beste Möglichkeit. Denn was sollten wir denn sonst machen? Unsere Handlungen haben eben nicht nur starke Auswirkungen auf uns, sondern auch auf tausende andere.

Und trotzdem fühlt es sich an wie ein zweites Messer, als Zsófia dieselbe Frage gestellt wird und sie strahlend die gleiche Antwort verkündet.

Die nächsten Minuten verlängern sich für mich zu Stunden, die Stunden kommen mir vor wie Tage. Und doch schaffe ich es irgendwie sie auszuhalten. Setze mein liebstes Lächeln auf, das selbst nicht verrückt, wenn mir Leute bissige Kommentare geben oder mir ihren Hass mir gegenüber zeigen. Dann denke ich jedes Mal nur daran, dass sie mich mal können, schließlich habe ich ihnen gerade den Hals gerettet. Denn käme es zu einer Revolution, würden ihre Köpfe zu den ersten gehören, die rollen.

Nur zweimal verschwindet mein Lächeln. Nicht, als ich dem glücklichen Paar gratulieren muss, Ethan und ich vermeiden dabei beide tunlichst Blickkontakt. Dafür findet dieser aber beim Bankett statt. Es ist nicht das einzige Mal, dass ich seinen Blick auf mir spüre, er sieht mich bestimmt genauso häufig an wie ich ihn, aber diesmal kann ich nicht anders und gucke zurück. Und kaum treffen unsere Blicke aufeinander, sehe ich Traurigkeit in seinen Augen und auch ich kann mein Lächeln nicht mehr aufrechterhalten. Einen Moment trauern wir beide um das, was wir aufgeben mussten, dann kommt jemand Fremdes auf ihn zu und redet mit ihm und er wendet den Blick ab.

Es ist seltsam, dass ich auf einmal etwas für Ethan empfinde. Schließlich habe ich vorher keinen Gedanken an ihn verschwendet. Okay, nicht oft. Gefühle war ich mir auf jeden Fall nicht bewusst. Ich habe es geahnt, ja, aber nicht gewusst. Vielleicht ist das Problem jetzt einfach, dass ich weiß, dass aus uns niemals etwas werden wird. Dass er vergeben ist und das sogar nur einer der Gründe ist, wieso er für mich unerreichbar ist.

Das zweite Mal, dass mein Lächeln verschwindet, hat jedoch nichts mit Ethan zu tun. Stattdessen passiert das, als eine ältere Frau einen Kommentar zu meiner Mutter macht. Innerlich koche ich, doch statt zu antworten drehe ich mich wortlos um und gehe. Dabei füge ich ihren Namen einer langen Liste in meinem Kopf hinzu, von Leuten, bei denen ich dafür sorgen werde, dass sie in Rejalia niemals irgendetwas erreichen werden.

Eigentlich dachte ich immer, Adlige wüssten von der Wichtigkeit, sich keine mächtigen Feinde zu machen. Doch anscheinend können auch sie manchmal ihre Klappe nicht halten.

Als es immer später wird, habe ich schließlich die Gelegenheit unauffällig zu verschwinden. Schnell mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Kaum komme ich in den leeren Räumen an, streife ich das Kleid von meinem Körper und klettere in mein Bett. Sofort verkrieche ich mich zwischen den Laken und ziehe mir die Decke über den Kopf.

Ich kann und will nicht mehr. Wieso muss ausgerechnet ich Prinzessin sein? Es ist ja wohl mittlerweile schon ziemlich klar, dass ich nicht wirklich für diese Rolle geschaffen bin.

Am liebsten würde ich einfach abhauen. Vielleicht wieder nach Kanada, oder einfach gleich auf einen anderen Kontinent. Europa wäre schön. Oder Asien. Sie würden mich nicht finden und ich könnte all dem hier entfliehen. Es würde schwierig werden, zu viele der Vampire kennen nun mein Gesicht, aber nicht unmöglich. Wahrscheinlich würde ich es schaffen.

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